Im bayrischen Dorf feierte Jigen Roshi in ihrer Kindheit Weihnachten als Katholikin. In der Jugend wurde sie Atheistin, heute ist sie Zen-Buddhistin.
Kein WeihnachtenBuddhistin verbrachte die Feiertage bereits als Katholikin und Atheistin
70 Weihnachtsfeste hat Jigen Roshi aus Euskirchen schon erlebt. Manche davon hat sie als Katholikin ehrfürchtig gefeiert. Andere hat sie als Atheistin trotzig verweigert. Heute führt die ehemalige Bundestagspolitikerin ein Leben als Zen-Buddhistin – und hat einen versöhnlichen Umgang mit dem Fest gefunden.
Jigen Roshi heißt mit bürgerlichem Namen anders. Sie ist in Bayern aufgewachsen, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Regensburg. Ihre Familie habe sie „liberal katholisch“ erzogen, sagt Roshi. „Jedenfalls für die damaligen Verhältnisse“, schiebt sie hinterher. „Aber wer seine Kindheit auf dem bayrischen Dorf verbracht hat, ist sehr verbunden mit den alten Traditionen und Normen der Kirche.“
Ihre Kindheit verbrachte die Zen-Meisterin in einem bayrischen Dorf
Eine dieser alten Traditionen ist das Weihnachtsfest. „Das fand ich als Kind ganz wunderbar – die Lichter, der Glanz, die ganze Aura.“ Sie erinnert sich, dass sie gemeinsam mit ihrer Schwester hinter der geschlossenen Wohnzimmertür stand und auf das Klingeln des Glöckchens wartete. Wenn die Tür dann aufging, fiel Roshis Blick immer als Erstes auf den Weihnachtsbaum. „Der erstrahlte in unserer Familie immer ganz in Silber.“ Zu Essen gab es dann eine ihrer Kinder-Leibspeisen: „Rostbratwurst mit Sauerkraut und heißen Kipferl“.
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Damals habe sie das alles aufgesaugt wie ein Schwamm. „Durch Weihnachten habe ich gelernt, was Ehrfurcht ist“, sagt die Buddhistin heute. Und dass sie glaube, dass es wichtig sei, dass Kinder solche Riten erlebten. Dadurch würden sie „berührbar“, auch von anderen Dingen. Dinge, die nicht unbedingt einen religiösen Hintergrund haben müssten.
Zum Beispiel von Naturereignissen: Als Jigen Roshi in die Pubertät kam, war sie wie so viele Teenager oft trotzig. „Bockig“, sagt sie dazu. Immer wenn Roshi bockig war, lief sie raus in die Natur. „Ich erinnere mich, dass es da einen Hang gab, auf den ich oft stieg. Wenn er im Winter beschneit war und die Sonne schien, dann glitzerte alles.“ Die Ehrfurcht, die sie dabei empfunden habe, sei dieselbe Ehrfurcht, die sie als Kind empfand, das vor der verschlossenen Tür auf das Weihnachtsglöckchen wartete.
In ihrer Jugend war die Euskirchener Buddhistin eine Atheistin
Doch nicht immer war Jigen Roshis jugendliche Bockigkeit aufzulösen. Als sie heranwuchs, begann sie ihre Religion zu hinterfragen. Sie stellte Fragen, die niemand ihr habe beantworten können. Zum Beispiel die nach der Unbefleckten Empfängnis Marias. „Ich fand das albern“, sagt sie. Und dass sie das Jesuskind doch nicht weniger geachtet hätte, nur weil seine Eltern Geschlechtsverkehr gehabt hätten. Zum Ende ihrer Schulzeit, begann Jigen Roshi sich als Atheistin zu bezeichnen. Und als solche hörte sie auch auf, das Weihnachtsfest zu feiern.
Sie studierte Soziologie, machte Karriere in der Politik, saß bis 1987 sogar für die Grünen im Bundestag und bekam Kinder: zwei Töchter. Als diese älter wurden und begannen, Kontakt zu anderen Kindern zu haben, merkte Jigen Roshi, dass es Bräuche gibt, denen man sich nicht gänzlich entziehen kann, wenn man Teil einer Gesellschaft ist.
Das Weihnachtsfest gehöre dazu. Sie wollte nicht, dass ihre Kinder unter ihrer Verweigerung des Festes leiden. Deshalb begann sie Weihnachten wieder zu feiern. Eine kleine Ermunterung war für die Atheistin dabei immer der Weihnachtsbaum. „Das ist doch eigentlich ein heidnisches Symbol“, sagt sie: „Ich meine, was soll der Baum? Was soll der Tannenbaum bei Jesu Geburt?“
Weihnachten war für die ehemalige Politikerin immer Familienfest
Das Weihnachtsfest war für sie immer ein Fest der Familie. Es gab auch Geschenke, wenn auch wenige. Wenn jemand eines auspackte, war es wichtig, dass auch alle anderen mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit dabei waren. Zwischen dem Auspacken der Geschenke wurde gesungen. Das habe „den kleinen Heidenkindern“ gefallen. Roshi lacht.
Doch irgendwann hörte das auf. „Eine meiner Töchter starb bei einem Unfall“, sagt Roshi. Die andere beschloss irgendwann, den Geburtstag ihres Mannes am 25. Dezember zu feiern – anstelle des Christenfestes. So schlich sich Weihnachten wieder aus Roshis Leben.
Doch inzwischen hatte sie sich ohnehin auf einen anderen Pfad begeben – auf den des Buddhismus. Angefangen hat das in den 80er Jahren zu ihrer Zeit als Politikerin. „Damals war ich viel mit der Bahn unterwegs“, sagt sie. Und ständig war sie müde auf den Fahrten. Zwar wollte sie etwas lesen, doch reichte ihre Aufmerksamkeit nach der fordernden Arbeit nur für leichte Kost. Sie griff zu Ratgebern zu Persönlichkeitsentwicklung und Spiritualität, interessierte sich zunehmend für die Sannyas-Bewegung.
Zen-Meisterin Prabasha Dharma Oshi war Inspiration für die Buddhistin
1990 nahm Roshi an einem Kongress teil. Dort lernte sie die Zen-Meisterin Prabasha Dharma Oshi kennen. Diese Frau hat Roshi fasziniert. „Das war eine ganz kleine, zierliche Person“, sagt sie. „Trotzdem hatte sie das Auftreten einer...“, Roshi sucht nach dem richtigen Wort: „... einer richtigen Lady“, sagt sie. Sicherheit und großes Vertrauen habe sie ausgestrahlt. „Ich wollte wissen, wie wird man so wie diese Frau?“
Seit 1991 folgt Jigen Roshi nun dem Weg des Zen-Buddhismus. „Ich wusste damals einfach, das führt irgendwohin, auch wenn ich noch nicht wusste, wohin genau“, sagt sie und lacht. Mehr und mehr ließ sie alles andere, was ihren Alltag bis dahin bestimmte, fallen.
Sie beschloss, in ein buddhistisches Zentrum in den Niederlanden zu ziehen, zu ihrer „Sangha“. Das ist die Gemeinschaft der Praktizierenden, die Buddhas Lehre folgen. So wurde sie selbst zunächst zur Unsui (einer Art Nonne), dann zur Osho (eine Art Priesterin) und erst im vergangenen Frühjahr im Euskirchener Dharmahaus zur Roshi (Meisterin).
Heute praktiziert Jigen Roshi im Dharmahaus in Euskirchen
Durch den Zen-Buddhismus habe sie den Zugang zu der Quelle gefunden, die jeder in sich trage, sagt sie. Zen-Buddhisten glaubten, dass das äußerliche Leben nicht wirklich Glück bringe, sondern dass alles – Liebe, Mitgefühl, Gelassenheit und Freude – aus dieser Quelle komme, unabhängig davon, wie die äußeren Umstände seien.
Ein buddhistischer Feiertag – vergleichbar mit Weihnachten – sei der 8. Dezember gewesen, sagt sie: „Der Erleuchtungstag von Buddha“. Auf der ganzen Welt säßen Menschen dann in Meditation – meistens für längere Zeit. „Bei uns sind das sieben Tage.“
Am Weihnachtswochenende fährt die Zen-Buddhistin nach München. „Dort habe ich noch einen alten Vater“, sagt sie. 93 Jahre sei der alt – und inzwischen ein Pflegefall. Gemeinsam mit ihrer Schwester wird sie die Feiertage mit ihm verbringen. „Und vielleicht stellt meine Schwester sogar ein Bäumchen auf.“