Seit dem Coming-out mit der Initiative #OutInChurch können die beiden Frauen endlich ihre Liebe offen ausleben. Doch so einfach ist das nicht.
„Ich muss das noch üben“Frei nach 40 Jahren Versteckspiel wegen katholischer Kirche
„Ich würde noch mit dem Bestellen auf meine Frau warten.“
Es ist ein Satz, den in Restaurants und Cafés im ganzen Land tagtäglich wahrscheinlich Tausende sagen, ganz selbstverständlich. Doch für Monika Schmelter ist es immer noch ein Akt der Überwindung.
„Ich muss das noch üben“, sagt sie. Dabei ist die 67-Jährige bereits seit mehr als 40 Jahren mit ihrer Partnerin Marie Kortenbusch (64) zusammen. Doch bis vor knapp eineinhalb Jahren hielten die beiden Frauen aus Lüdinghausen in Nordrhein-Westfalen ihre Beziehung geheim, aus Angst, sonst ihre Jobs zu verlieren. Denn beide arbeiteten für die katholische Kirche.
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Katholische Kirche hat ihr eigenes Arbeitsrecht
Schmelter war lange in leitender Position bei der Caritas tätig, Kortenbusch war Religionslehrerin an einer Ordensschule. Wer für die katholische Kirche arbeitete und sich in einer nicht heterosexuellen Beziehung befand, konnte dafür gekündigt werden. So stand es in der kirchlichen Grundordnung, die für Mitarbeitende der Kirche gilt und in der die Diskriminierung queerer Menschen fester Bestandteil war. Bis vor Kurzem: Ende vergangenes Jahres wurde eine neue Fassung veröffentlicht, laut der der Kernbereich privater Lebensgestaltung keinen rechtlichen Bewertungen mehr unterliegt und sich dem Zugriff des Dienstgebers entzieht. Einfach gesagt: Beziehung und Sexualität gehen den kirchlichen Arbeitgeber nichts mehr an.
Ein Erfolg, den Monika Schmelter und Marie Kortenbusch auch auf die Initiative #OutInChurch zurückführen, die Anfang des vergangenen Jahres an die Öffentlichkeit ging. Mehr als 100 Mitarbeitende der katholischen Kirche outeten sich in der Öffentlichkeit als queer, darunter auch Schmelter und Kortenbusch. Die beiden Frauen sind mittlerweile im Ruhestand, vor einer Kündigung mussten sie zu dem Zeitpunkt keine Angst mehr haben. Auch Kortenbuschs Sorge, dass ihr die Pension gestrichen werden könnte, wurde ihr genommen.
40 Jahre Versteckspiel hinterlassen ihre Spuren
Dennoch: 40 Jahre Versteckspiel hinterlassen ihre Spuren. Nach Öffentlichwerden der Initiative und der parallelen Ausstrahlung der ARD-Doku „Wie Gott uns schuf“ im Januar 2022 hätten sie viele angesprochen, dass sie sich ja nun freier fühlen müsse, jetzt wo es raus sei, erzählt Schmelter. „Bei mir war aber eher das Gegenteil der Fall, dass es mir danach erst mal ziemlich schlecht ging“, sagt die 67-Jährige, „weil die Dokumentation bei mir bewirkt hat, dass mir mein ganzes Leid noch mal durch 124 Menschen gespiegelt wurde.“
Besonders schockierend sei für sie gewesen, wie viele junge Menschen heute noch dasselbe erlebten. Im Film und der Initiative outeten sich auch viele junge Menschen, die ihr Arbeitsleben noch in großen Teilen vor sich haben. In einer Kirche, die sie diskriminiert, und die sie wegen ihres Glaubens doch nicht verlassen wollen.
„Dass junge Menschen heute auch noch Suizidgedanken haben, weil die kirchliche Moral und Sittenlehre eben so über Generationen eingepflanzt ist in die Herzen der Menschen, dass eben nicht ein oder zwei Generationen reichen, die Wirkungsgeschichte sozusagen wettzumachen“, führt Schmelter weiter aus, „das hat mich besonders betroffen. Damit war ich eine ganze Zeit lang beschäftigt.“ Aber ja, heute fühle sie sich natürlich freier. Auch wenn der Schmerz immer Teil ihres Lebens bleiben werde.
Folgedoku begleitet Menschen nach dem Coming-out
Das sagt die Katholikin auch in der neuen ARD-Doku „Wie Gott uns schuf – Nach dem Coming-out“, die einige der Protagonistinnen und Protagonisten etwa ein Jahr nach dem Coming-out erneut begleitete und die ab diesem Freitag (19. Mai) in der Mediathek zu sehen ist. Sie atme heute freier, ergänzt ihre Partnerin Kortenbusch in dem Film.
Bei ihr sei schon durch die Nachricht damals, dass ihre Pension sicher sei, „ein Gefühl von Befreiung entstanden“, erzählt sie dem RND. Aber auch im Nachhinein habe das Coming-out viel mit ihr gemacht. Sie habe viele Interviews geführt, auf Veranstaltungen gesprochen, Fragen beantwortet. „Ich habe noch mal neu auf mein Leben geschaut. Gar nicht nur auf das Thema Queersein in der Kirche“, erzählt sie. „Ich habe schon in meiner Kindheit, bevor das Thema Lesbischsein überhaupt aufkam, Gewalt erfahren. Da haben sich Fäden jetzt noch mal neu verflochten mit Blick auf mein eigenes Leben.“ Das Coming-out habe viel in ihr bewegt. „Es war für mich persönlich einer der wichtigsten Momente in meinem Leben.“
Vorwurf des Pinkwashings
Gleichzeitig kritisieren die beiden Frauen den Umgang der Kleriker mit der Initiative. „Nach dem Film ging ein Aufschrei durch die katholische Kirche vonseiten der Kleriker“, erzählt Schmelter. Diese hätten „mehr oder weniger einstimmig“ gesagt, dass sie doch hinter der queeren Community stünden und nicht verstünden, dass diese sich so diskriminiert fühle. „Da kam dann doch ziemlich schnell die Frage auf: Ist das Pinkwashing?“, so die Katholikin. Pinkwashing bedeutet, dass sich nur aus einer Strategie heraus hinter die queere Community gestellt wird, ohne diese wirklich zu unterstützen.
„Männer, die uns sozusagen qua Dekret oder qua Arbeitsrecht diskriminiert haben, taten plötzlich so, als wären wir natürlich Vollmitglieder der römisch-katholischen Kirche“, sagt Schmelter weiter. Ein hochrangiger Kleriker ihres Bistums habe gerade kürzlich erst gesagt, dass die Kirche noch so viel mit der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs zu tun habe, dass im Moment keine Kapazitäten für die Aufarbeitung der Schuldgeschichte im Hinblick auf queere Menschen da seien. „Das fand ich ziemlich schockierend.“
Initiative #OutInChurch fordert Schuldaufarbeitung
Gerade ein solches Schuldeingeständnis fordern sie als Initiative auch weiter ein, betont der #OutInChurch-Pressesprecher Rainer Teuber. „Es muss aufgearbeitet werden, wie es zu so einem System der Diskriminierung, der Homo- und Transphobie kommen konnte“, sagt er, am besten von einer unabhängigen Stelle. Gleichzeitig gingen der Vorstand und die Mitglieder, die mittlerweile auf mehr als 500 angewachsen seien, auch in Gespräche mit der Politik. „Wir haben immer weniger Lust, uns mit den immer selben Sachen an den Bischöfen abzuarbeiten. Wir gehen jetzt auch auf die politische Ebene“, betont der Essener Katholik, der ebenfalls mit einem Mann verheiratet ist.
So lägen gerade Treffen mit Lamya Kaddor, religionspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, sowie mit Heike Troles, queerpolitische Sprecherin der CDU im NRW-Landtag, hinter ihnen. „Die hatten uns von sich aus eingeladen“, betont Teuber, „etwas, was wir von einigen Bischöfen trotz zahlreicher Gesprächsangebote von unserer Seite aus immer noch vermissen“.
Diese Offenheit erlebten Kortenbusch und Schmelter auch in ihrem Heimatort Lüdinghausen. „Wir werden seitdem auf der Straße gegrüßt, werden irgendwie anders wahrgenommen“, sagt Schmelter über die Menschen in der Stadt. „Man hat uns nach der Doku sogar Blumen nach Hause gebracht und uns angesprochen.“ Und auch sie selbst würden sich in der Kommunikation mit anderen Menschen anders verhalten, berichtet Kortenbusch. „Wir haben ja vorher unsere Beziehung, außer im engsten Freundeskreis, immer in der Schwebe gehalten. Also im Unklaren gelassen, in welcher Verbindung wir stehen. Ich merke jetzt im Nachhinein erst, dass das auch dazu geführt hat, dass ich in meiner Kommunikation oft sehr herumlaviert habe und nicht klar, offen und authentisch war, auch außerhalb der Kirche.“
Andere Kommunikation seit dem Coming-out
Das habe sich nun geändert. „Ich erlebe es so, dass ich mich im Kontakt mit Menschen sehr verändert habe und meine Begegnungen offener geworden sind, freier“, freut sie sich. Auch wenn die alten Muster immer wieder noch im Kopf sind.
Gerade war das Paar etwa im Urlaub, in der Nähe von Oldenburg. Da war Schmelter in so einer Restaurantsituation, in der sie auf „ihre Frau“ wartete, die noch etwas aus dem Auto holen musste. Sie sagte also genau das – dass sie noch mit dem Bestellen auf „ihre Frau“ warten wolle. Mit diesen Worten. Auch wenn es sich immer noch ungewöhnlich anfühlt.
Die Doku „Wie Gott uns schuf – Nach dem Coming-out“ ist ab dem 19. Mai in der ARD-Mediathek abrufbar. Außerdem läuft der Film am 21. Mai ab 10.30 Uhr im SWR, am 24. Mai ab 22 Uhr im RBB und am 8. Juni ab 22.40 Uhr im MDR.