- Die in Köln geborene Britta leitet die Gelsenkirchener Polizei und gilt als jüngste Polizeipräsidentin Deutschlands.
- Die Juristin bearbeitete vorher am Landgericht Fälle von Gewalt gegen Beamten, rief die klagenden Staatsdiener auch schon einmal persönlich an, wenn ein Verfahren eingestellt werden musste.
- „Wir müssen jetzt Haltung zeigen und keine abwegige Rassismus-Debatte führen“, sagt sie im Interview und erzählt von einer Nacht mit ihrer Einsatzhundertschaft in der Düsseldorfer Altstadt.
Gelsenkirchen – Samstagnacht in der Düsseldorfer Altstadt. Eine Frau schreit minutenlang, rastet aus, tritt, schlägt um sich. Es braucht zwei männliche Polizisten, um sie zu fixieren. Sie setzen sich auf die Frau, um sie und andere zu schützen. Die Szene geht Britta Zur nicht mehr aus dem Kopf. „Eine Mädelsgruppe hat sofort ihr Handy gezückt, das Ganze gefilmt und sich aufgeregt“, erzählt die Gelsenkirchener Polizeipräsidentin drei Tage später in ihrem Amtszimmer im denkmalgeschützten Altbau des Präsidiums. Britta Zur hat die dunkelgrauen Tischplatten gegen weiße eingetauscht, Bilder mit Sprüchen aufgehängt, es gibt viel pink und viele Punkte. Ein bisschen Instagram zwischen grauen Akten.
Die gebürtige Kölnerin ist seit Anfang des Jahres im Amt, gilt mit 39 Jahren als „jüngste Polizeipräsidentin Deutschlands“, ist die jüngste Behördenleiterin, die dem Innenministeriums NRW untersteht, und eine von vier weiblichen Polizeipräsidentinnen im Bundesland. 18 Präsidien gibt es insgesamt. Die Juristin wurde von Innenminister Herbert Reul berufen, nachdem er sie bei einer Podiumsdiskussion kennenlernte. Und plötzlich hat sie die Verantwortung für 1500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Leicht ist das nicht. „Ich hatte von Sekunde eins an mit Vorurteilen zu kämpfen“, sagt sie, die eben bunt ist, jung, weiblich, sie trägt zum Interview ein geblümtes Kleid und eine Goldkette, die dem Gegenüber dezent den Mittelfinger zeigt.
Bei ihrer Amtseinführung spielte das Polizeiorchester „Supergirl“. „Die meisten stellen sich eine Polizeipräsidentin anders vor.“ Denn man tappt sehr schnell in die Falle, von der Bürodekoration und den bunten Pumps auf die Art zu schließen, wie Britta Zur ihre neue Aufgabe angeht. Ein Fehler.
„Einer wird kontrolliert, sofort solidarisieren sich die Umstehenden“
Zurück zum vergangenen Wochenende: Britta Zur hat eine Gelsenkirchener Hundertschaft beim Einsatz in der Nachbarstadt begleitet. Die ganze Nacht, bis sechs Uhr morgens. „Es reicht nicht, fünf Minuten vorbeizuschauen und sich dann zum nächsten Edel-Italiener zu verabschieden“, sagt sie. Die Düsseldorfer Altstadt ist wie die Zülpicher Straße in Köln derzeit ein Ort, an dem sich Feierwütige treffen – und dann nicht feiern dürfen. Die Polizei musste die Rheintreppe räumen, die Stimmung war aggressiv, es flogen Glasflaschen. „Einer wird von der Polizei kontrolliert, sofort solidarisieren sich die Umstehenden und rotten sich zusammen.“ Die Zündschnur sei gerade extrem kurz, sagt Zur. Die Menschen seien frustriert, hätten existenzielle Sorgen und fühlen sich mit den Corona-Beschränkungen von einem Staat gegängelt, der in Form von Beamten greifbar ist. „Wir sind auf der Straße für manche Menschen Freiwild.“
Die Juristin war zuvor bei der Staatsanwaltschaft erst neun Jahre für Kapitalverbrechen, dann zwei Jahre in einem Sonderdezernat für Gewalt gegen Beamte zuständig. Erstmals wurden so genannten Widerstandsdelikte dort gesondert erfasst. „Es waren unfassbar viele“, erinnert sich Britta Zur. „Damit haben wir überhaupt nicht gerechnet.“ Polizisten und Rettungskräfte, Lehrer und Bademeister zeigten Beleidigungen und Angriffe an. Normalerweise klagen Staatsanwälte etwa 20 Prozent aller Anträge tatsächlich bei Gericht an, im Sonderdezernat 82 waren es 70 Prozent. Wurde ein Verfahren eingestellt, hat Britta Zur den klagenden Beamten persönlich angerufen und erklärt warum. Sie habe Post aus der ganzen Republik bekommen: Dankbarkeit, dass sich endlich jemand um das Problem kümmert, die Ängste ernst nimmt. Laut einer Studie des Deutschen Beamtenbundes wurde jeder zweite Staatsdiener schon einmal verbal oder körperlich angegriffen.
Die aktuelle Debatte führt zu einer Anti-Haltung gegenüber der Polizei
„Wir machen uns viel zu wenig Gedanken, wie wichtig eine funktionierende Polizei für unsere Gesellschaft ist“, sagt Zur und schiebt einen Satz hinterher, der so auch von Horst Seehofer stammen könnte: „Wir müssen jetzt Haltung zeigen und keine abwegige Rassismus-Debatte führen.“ Glaubt man Britta Zur mehr als dem Minister, weil sie als Polizeipräsidentin einer Ruhrpott-Stadt mit 20 Prozent Ausländeranteil eher weiß, wovon sie redet?
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Die Polizei sei ein Querschnitt der Gesellschaft, Menschen mit schlechtem Charakter gebe es überall. Im März musste sie einen Kollegen vom Dienst suspendieren, weil er verdächtigt wird, volksverhetzende Inhalte im Netz verbreitet zu haben. Doch die aktuelle gesellschaftliche Debatte und die „Ihr seid doch alle Rassisten“-Haltung gegenüber Polizisten führe ihrer Meinung nach nur zu noch tieferen Gräben.
Britta Zur nutzt ihren Exoten-Bonus. Sie will die Polizei nahbar machen, ihr ein freundliches Gesicht geben. Notfalls mit Blumen auf dem Kleid. „Die Polizei leistet großartige Arbeit, darüber müssen wir reden.“ Das kann Britta Zur überzeugend und offen. „Aber fragen Sie mich nicht, wie ich Familie und Karriere unter einen Hut kriege.“ Das wäre dann doch eine Klischee-Frage zu viel.