Die Polizeistiftung NRW hat das „Alte Forsthaus” in Waldbröl umgebaut, um Zuflucht für traumatisierte Polizisten und ihre Familien zu bieten.
„Die Belastung im täglichen Einsatz ist sehr groß“, sagt Hauptkommissar Michael Frehn. Er selbst hätte eine Einrichtung wie diese nach einem brutalen Angriff vor knapp neun Jahren gut gebrauchen können.
Waldbröl – Blutend lag Michael Frehn auf dem Boden. Die Schädeldecke und beide Augenhöhlenboden waren gerissen, die Vorderzähne ausgeschlagen, 20 Brüche im Kopfbereich. „Das war es nun mit meinem Leben“, dachte der Polizist. Er war regungslos, aber bei Bewusstsein. In der Dunkelheit, auf einer Wiese vor einem Supermarkt in Mönchengladbach-Odenkirchen, bereitete er sich in Gedanken aufs Sterben vor.
Frehn war damals, am 28. August 2010, Leiter eines zivilen Einsatztrupps, der im Problembezirk Odenkirchen Einbrüche und Diebstähle verfolgen sollte. Kollegen forderten Unterstützung, weil sie Probleme mit einer Gruppe Jugendlicher hatten. Frehn und sein Team eilten herbei. Er fixierte den Hauptaggressor am Boden und kniete auf ihm. Einer der anderen Jugendlichen jedoch konnte sich befreien, nahm Anlauf und trat Frehn mit voller Wucht gegen den Kopf. „Es war, als würde man eine Kokosnuss knacken“, hätten seine Kollegen später erzählt. Einige hätten gedacht, er sei tot.
Am Montag ist der Hauptkommissar nach Waldbröl im Oberbergischen Kreis gereist, um der Einweihung einer Einrichtung beizuwohnen, die es nach Meinung vieler seiner Kollegen in NRW längst hätte geben müssen. Ein Haus für Polizisten, die im Einsatz traumatische Erfahrungen sammeln mussten und selbst der Hilfe bedürfen. „Dieses Haus ist wichtig. Es bietet Kollegen und ihren Familien die Ruhe, die sie nach solchen Erlebnissen dringend brauchen“, sagt Diethelm Salomon, Vorsitzender der Polizeistiftung NRW.
Rund eine Million Euro hat die hauptsächlich durch Spenden finanzierte Organisation in die Restaurierung des 1902 erbauten Jugendstil-Hauses „Villa Waldesruh“ auf einer Anhöhe Waldbröls gesteckt: Vier eingerichtete Apartments, ein Besprechungszimmer, ein großer Garten mit Klettergerüst, im Keller Fitnessraum mit Sauna und Whirlpool, ein Kinderspielzimmer.
„Wir brauchten einen Ort außerhalb der Polizei, an den sich betroffene Kollegen zurückziehen und das Erlebte mit professioneller Hilfe verarbeiten können“, sagt Salomon, der sich seit vielen Jahren für einen solchen Zufluchtsort eingesetzt hat. „Ein Traum geht in Erfüllung“, sagt der Polizei-Seelsorger bei der Einsegnung. Gerührt blickt Stiftungschef Salomon ihn an.
Thomas Frehn wäre damals froh gewesen, hätte es einen solchen Ort in der Nähe gegeben. Nachdem die Ärzte sein Gesicht nach zehn Operationen wiederhergestellt hatten, reiste er mit seiner Frau und den drei Kindern ins bayrische Fall am Sylvensteinsee. Die bayrische Polizei betreibt schon seit vielen Jahren mehrere Einrichtungen für traumatisierte und verletzte Beamte. Eine Woche lang blieb Frehn. „Vor allem meiner Frau und den Kindern hat das sehr gut getan. Es sind oft die Familien, die mehr unter der Situation leiden als man selbst“, sagt der 48-Jährige.
Auch NRW-Innenminister Herbert Reul ist nach Waldbröl gekommen, um sich das „Alte Forsthaus“ anzuschauen. Was hier entstanden ist, sei ein „Riesengeschenk“, sagt er. „Die Anwendung von Gewalt gegen Polizisten hat heute eine andere Qualität. Ich vermute, dass viele Polizisten das nicht so leicht wegstecken.“ Im vergangenen Jahr gab es laut NRW-Kriminalstatistik acht versuchte Tötungsdelikte gegen Polizisten, acht Beamte wurden im Einsatz schwer verletzt.
Überbringung von Todesnachrichten
Aber nicht nur mit Gewaltexzessen, Pöbeleien und Spuckattacken hätten die Einsatzkräfte psychisch zu kämpfen, auch die Erfahrungen nach schweren Verkehrsunfällen oder das Überbringen von Todesnachrichten würden manche Beamten in eine seelische Krise stürzen, sagt Salomon. Etwa 30 bis 40 Fälle betreue die Polizeistiftung in NRW jedes Jahr. „Das sind nur die Härtefälle und nur die, von denen wir Kenntnis haben.“ Belastbare Zahlen über traumatisierte Polizisten finden sich in den Statistiken nicht.
Noch heute würden sich Polizisten schwer damit tun, Hilfe in Anspruch zu nehmen, sagt Salomon. Meistens müssten er und sein Team auf mutmaßliche Betroffene zugehen. Die Informationen holt er sich aus den „Wichtige-Ereignis-Meldungen“ (WE) der Polizeibehörden, die gebündelt beim Innenministerium eingehen. Dennoch habe sich die Hilfskultur innerhalb der Polizei positiv gewandelt.
Loveparade-Katastrophe als Wendepunkt
Vor mehr als zehn Jahren haben die Psychosozialen Unterstützerteams (PSU) ihren Dienst aufgenommen, es gibt Polizeipsychologen und Seelsorger. Ein entscheidender Wendepunkt aber sei die Loveparade-Katastrophe 2010 in Duisburg gewesen. Spätestens da habe man gemerkt, dass man es Polizisten nicht zumuten könne, einfach so in den Alltag zurückzukehren.
Mitte Juli sollen die ersten Familien in das „Alte Forsthaus“ einziehen. Ein bis zwei Wochen dürfen sie in Waldbröl bleiben, um beim Gespräch mit Krisenhelfern den verletzten Seelen Linderung zu verschaffen. Einige potenzielle Gäste gebe es bereits, sagt Salomon. Einer habe im Einsatz einen Mann erschossen, der ihn mit einem Gewehr bedroht hatte. Ein anderer sei auf seiner Polizeistation als Geisel genommen und geschlagen worden. Am Ende habe ihm der Täter mit einer Gaspistole aus nächster Nähe ins Gesicht geschossen. Ein weiterer Polizist sei bei einer Verkehrskontrolle überfahren und schwer verletzt worden. „Sie alle tragen schwer an ihren Erlebnissen“, sagt Salomon.
Und doch würden viele Polizisten die Hilfsangebote wohl eher nicht in Anspruch nehmen, glaubt Michael Frehn. „Die Belastung im täglichen Einsatz ist sehr groß“, sagt er und spielt dabei vermutlich auch auf den Personalmangel an, unter dem die Polizeibehörden in NRW seit Jahren leiden. „Man will die Kollegen nicht hängen lassen.“ Drei Monate Erholung hatte Frehn sich und seiner Familie nach der brutalen Attacke gegönnt. Dann ging er zurück in den Dienst.