Köln/Berlin – Wenn Deutschland die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens noch erreichen will, dürfen aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler II im Rheinischen Revier ab Januar 2021 nur noch maximal 200 Millionen Tonnen Braunkohle für die Kohleverstromung und die Kohleveredelung gefördert werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das die Bürgerinitiative „Alle Dörfer bleiben“ in Auftrag gegeben hat.
Die aktuellen Pläne der Bundesregierung, die im Kohleausstiegsgesetz verankert sind, sehen hingegen eine Fortführung der Kohleverstromung bis spätestens ins Jahr 2038 vor. Nach den Berechnungen des Energiekonzerns RWE werden dafür aus den beiden Tagebauen insgesamt 780 Millionen Tonnen benötigt.
Ausstiegsdatum allein nicht entscheidend
Anlass der Studie ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Ende April. Die Richter hatten Teile des Klimaschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt und im Kern festgestellt: Die Politik müsse deutlich mehr tun, damit die Klimaziele erreicht werden. Und sie dürfe drastische Schritte, um die Treibhausgas-Emissionen zu senken, nicht zu Lasten der jungen Generation auf die lange Bank schieben.
„Wir haben uns gefragt, wieviel schneller wir aus der Kohle aussteigen müssen und was das für die Tagebauverläufe bedeutet“, sagte Professor Pao-Yo Oei vom DIW bei der Vorstellung der Studie. „Mit der Beschränkung auf 200 Millionen Tonnen würden Deutschland und Nordrhein-Westfalen ihren fairen Anteil an einem 1,5 Grad-Ziel leisten. Die derzeitigen Planungen von RWE bedeuten, dass fast das Vierfache der Menge noch verbrannt wird.“
Die 200 Millionen Tonnen könnten problemlos aus Hambach und Garzweiler II gewonnen werden, ohne dass Lützerath, die fünf Garzweiler-Dörfer oder der Hambacher Wald abgebaggert werden müssen“, sagt Pao-Yo Oei. Das gelte auch für die Höfe, die dazwischenliegen. Dafür müsse die Tagebauplanung angepasst werden und würde nach den Berechnungen des DIW bereits im Jahr 2028 enden, zehn Jahre früher als bisher geplant. „Wir schlagen diesen neuen Kohleausstiegspfad vor.“ Letztlich sei das Ausstiegsdatum aber nicht der entscheidende Faktor.
Für das Erreichen der Klimaziele sei vor allem die Mengenbegrenzung auf 200 Millionen Tonnen von Belang. Über welchen Zeitraum man das strecke, sei eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Die gesamte förderfähige Kohlemenge aus Garzweiler II und Hambach liegt nach den Berechnungen des DIW bei 230 Millionen Tonnen. „Ob ich dann etwas mehr Kohle aus Garzweiler oder aus Hambach nehme und dann entweder einen etwas größeren Abstand zum Hambacher Wald oder in Garzweiler zu den Dörfern zulasse, bietet noch ein bisschen Spielraum", sagte Pao-Yo Oei. Der Tagebau Inden wird in der Studie nicht berücksichtigt, weil dort keine Dörfer mehr vom Abbruch bedroht sind. Sein Kohle-Budget zur Erreichung des Klimaziels würde auf 35 Millionen Tonnen schrumpfen.
Braunkohle verliert an Bedeutung
Die Energieversorgung in Deutschland ist nach Auffassung des DIW auch bei einem zehn Jahre früheren Ausstieg gesichert. „Das haben andere Studien bereits gezeigt.“ Voraussetzung sei ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien. Auch aus energiewirtschaftlicher Sicht werden künftig „drastischere Tagebauverkleinerungen notwendig“, heißt es in der Studie. Deutschlandweit sei die Stromproduktion aus der Braunkohle Ende 2020 im Vergleich zu Anfang 2019 nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts um 40 Prozent zurückgegangen. Im vergangenen Jahr habe sich der Preis für CO2-Zertifikate, die für den Ausstoß des schädlichen Treibhausgases gezahlt werden müssen, auf mehr als 50 Euro pro Tonne verdoppelt. Weitere negative Effekte seien sinkende Gaspreise und die Corona-Pandemie.
Bürgerinitiative fordert Rechtssicherheit
„Die Wirtschaftlichkeit der Braunkohleverstromung wird sich daher weiter verschlechtern und somit auch die Auslastung der Kraftwerke nicht auf das vorherige Niveau zurückkehren“, so die Studie. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand bei RWE noch davon ausgeht, die Tagebaue noch bis Ende 2038 betreiben zu können. Das macht wirtschaftlich keinen Sinn“, sagte Professor Pao-Yo Oei. „Das bereits jetzt freiwillig einzugestehen, macht aus Sicht des Unternehmens aber politisch keinen Sinn.“
Die Bürgerinitiative „Alle Dörfer bleiben“ fordert von der Landesregierung „jetzt Rechtssicherheit und nicht erst in fünf Jahren, wie es die Leitentscheidung vorsieht“, sagte Sprecher David Dresen. Über Erhalt und Ausbau der Garzweiler-Dörfer soll nach den bisherigen Plänen erst 2026 entschieden werden, Lützerath noch in diesem Jahr abgebaggert werden. Dort wehrt sich ein Landwirt derzeit mit juristischen Mitteln gegen die drohende Enteignung.