Vor genau 100 Jahren begann Bayer, Chemieabfall in die Dhünnaue zu kippen. Heute hat Currenta das Geschäft inne.
100 Jahre GiftmüllSo geht es mit der Leverkusener Deponie weiter
Mit Bergen lässt sich Geld machen. Meistens, indem man sie abbaggert und Rohstoffe ausbeutet. Bei den „Leverkusener Bergen“ ist es genau andersherum: Die gab es früher gar nicht und heute bringen sie ihrem Besitzer umso mehr Geld, je höher sie werden.
Es sind mehrere Berge am Nordwestrand von Wiesdorf, aber nur einer davon wächst heute noch, das ist die aktive „Deponie Bürrig“, die anderen Hügel im Leverkusener Sondermüll-Gebirge sind geschlossene Altlasten.
Die Verfüllung der Dhünnaue begann vor 100 Jahren nördlich von Tor acht, man kippte nach und nach die alte Flussniederung zu, über die von hinten immer wieder Rheinhochwasser nach Wiesdorf geflossen war. Nahe am Werk liegt die heutige „Altlast-Süd“. Das Gelände steigt von dort leicht an. Die höchste geschlossene Altlast heute ist der Bergrücken im Autobahnkreuz Leverkusen-West: Der Gipfel ragt bei normalem Wasserstand gute 30 Meter über das Rheinniveau (36 Meter NN) hinaus.
Alles zum Thema Currenta
- Probleme nach Explosion Anwohner des Leverkusener Sondermüllofens erhebt Dienstaufsichtsbeschwerde
- Tag der Ausbildung bei Currenta Zukünftige Azubis schnuppern in verschiedene Berufe
- Leverkusener Sondermüllofen „Versprechen kann niemand, dass nie wieder etwas passiert“
- Kommentar Sicherheit der Leverkusener Sondermüllverbrennung bleibt eine Aufgabe
- Energiewende Die Leverkusener Gas-Pipeline geht ins deutsche Wasserstoffnetz
- Vorfall im Klärwerk Leverkusen Currenta wieder im Visier der Staatsanwaltschaft
- Übung Feuerwehren aus Leverkusen und Köln proben Großeinsatz im Chempark
Das Gelände der offenen und aktiven Deponie im Norden der Autobahn ist jetzt schon höher als die Altlast: Das Gelände steigt in Terrassen vom Rhein zurzeit über 40 Meter an. Die Deponie ist voll, wenn sie nochmal um 30 Meter gegenüber heute gewachsen sein wird: Die zulässige Endhöhe wird von der Bezirksregierung mit 110 Meter NN angegeben; spätestens dann wird sie geschlossen.
Wenn 25 Millionen Kubikmeter Abfall liegen, ist Schluss
In der vollen Deponie werden 25 Millionen Kubikmeter Müll liegen. Zum Vergleich: 61-mal hätte das Volumen des Kölner Doms darin Platz; der Rhein müsste über drei Stunden fließen, um ein Loch gleicher Größe mit Wasser zu füllen. Ein Sprecher des Betreibers Currenta schreibt, die Deponie sei heute zu drei Viertel gefüllt.
Sechs Millionen Kubikmeter giftigen Abfalls kann Currenta noch in Bürrig annehmen, bis dort die letzte Schicht gefahren wird. Laut der derzeit gültigen Genehmigung muss der Betreiber den Müllberg anschließend rekultivieren. Genaueres steht im ursprünglichen Bescheid von 1982: „Die endgültige Erholungsnutzung des gesamten Geländes (z.B. Aussichtspunkte, Wanderwege etc.) ist schon bei Beginn der Verfüllung zu berücksichtigen.“ Fünf Hektar Wald sollen irgendwann auf dem Bergkegel stehen.
Deponie Leverkusen: Untenrum nicht sauber
Interessant ist der innere Aufbau: Ganz unten wurde laut damaligem Bescheid der Bezirksregierung „die noch nicht überschüttete Basisfläche“ gut vorbereitet, mit Kunststoff und mit einer 50 Zentimeter dicken Ton- oder Lehmschicht abgedichtet. Ist dort also alles sauber? Nein, denn am unteren Zipfel lag schon eine ältere Ablagerung auf der blanken Erde, als man in den 1970er-Jahren mit dem neuen Abfallbeseitigungsgesetz der Industrie endlich ein paar Vorschriften zur Deponierung machen konnte.
Seit 1959 kippte Bayer dort Abfälle ab, auf einer Karte ist dort ein „Salzlager“ eingezeichnet. Die alte Ablagerung hat, grob geschätzt, eine Fläche von 100.000 Quadratmetern. Insgesamt ist die Basis der aktiven Deponie ungefähr 700.000 Quadratmeter groß.
Jede Schicht darf zehn Meter dick sein. Der Müll darf nicht explosiv sein, darf nicht leicht giftige Gase freisetzen. Wenn er stinkt, muss er verpackt werden, Flüssiges ist verboten, der Abfall muss mindestens stichfest sein. Auf den Abfall kommen neben anderen Schichten eine Kunststoffbahn (mindestens 2,5 Millimeter dick, Polyethylen), eine Lehm- und eine Drainageschicht, die Sickerwasser zur Kläranlage ableitet.
Der Müll soll von oben dicht sein. Oberflächenwasser darf, wenn es sauber ist, einfach ablaufen. Das Thema Grundwasser ist ein wichtiger Bestandteil der Technik: Um die Altlast und Deponie gibt es seit dem Jahr 2000 eine 3,6 Kilometer lange unterirdische Barriere. Direkt an der Barriere fördern Pumpen in zehn Brunnen täglich ständig Hunderte Kubikmeter Wasser.
Sie erzeugen einen Grundwasser-Trichter: Der Müll soll nicht von unten nass werden. Lösliche Gifte würden sonst ausgeschwemmt. Die Deponie wird deshalb auch in 1000 Jahren nicht ohne eine funktionierende Kläranlage auskommen. Wer kommt dafür auf? Zunächst einmal der Betreiber, also Currenta. Heute darf laut Genehmigung durch den Betrieb „die Gesundheit der Menschen und ihr Wohlbefinden nicht beeinträchtigt werden … Ungeziefer und Ratten müssen bekämpft werden“.
In der Nachsorgephase soll der Betreiber, also Currenta, alle Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zur Verminderung und Vermeidung von Belästigungen und Gefährdungen zum Wohl der Allgemeinheit durchzuführen, schreibt ein Sprecher der Bezirksregierung.
Wer macht Profit, wer zahlt hinterher?
Soweit die Theorie, denn diese Ewigkeitskosten der Altlasten aufzubringen, wurden bisher stets irgendwann der Öffentlichkeit überlassen – eine Aufgabe für kommende Generationen.
Zwar lagern in der Deponie und Altlast überwiegend Bayer-Abfälle. Aber auch schon früher durften laut Bescheid von 1982 Fremdfirmen gegen Geld ihren Abfall nach Leverkusen bringen, wenn sie den Vorgaben entsprachen, „gleichwertig sind“, heißt es etwas unscharf in der Genehmigung. Auch heute ist das so: Currenta wirbt auf der Firmen-Webseite offensiv mit der Annahme von Sondermüll auf der Webseite: „Kurze Transportwege durch Nähe zu Produktionsstandorten an Rhein und Ruhr.“
Laut dem Umweltüberwachungsprogramm der Bezirksregierung soll die Sonderabfalldeponie Bürrig einmal im Jahr geprüft werden. Unter anderem soll der ordnungsgemäße Aufbau des Deponiekörpers, die Überprüfung der angenommenen Abfälle sowie die korrekte Rekultivierung nachgewiesen werden. Kontrolliert werden sollen Grund-, Sicker-, und Oberflächengewässer sowie die Systeme zur Deponiegas-Erfassung und -behandlung.
Das Wachstum der Deponie haben wir mit vergleichenden, digital erstellten Gelände-Scans sichtbar gemacht. Das linke Bild zeigt den Zustand von etwa 2015, das rechte ist die zurzeit auf dem NRW-Geoportal „Tim-Online“ gezeigte Höhenvisualisierung. Auf den Bildern sieht man, dass die Deponie nicht, wie eine Torte Schicht für Schicht erhöht wird, sondern dass gleichzeitig an mehreren Schichten parallel gearbeitet wird. Am Nordrand der Deponie (nach Rheindorf, Bürrig hin) hat sich viel getan.
Aber nicht nur die Deponie wuchs seit 2015, auf der länglichen Altlast „Dhünnaue Nord“ unter der Deponie sind auf der Oberfläche die Veränderungen zu sehen, die durch den Autobahnbau gekommen sind: dort wurde für eine neue Autobahnspur Deponat abgebaggert. 2015 war der Bergrücken glatt, jetzt wird dort Baumaterial gelagert. Diese Altlast gehört mittlerweile zu einem großen Anteil nicht mehr Bayer, die Bundesrepublik übernahm sie wegen des Autobahnausbaus.