Nyke Slawik (28), Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Leverkusen, blickt auf ein „extrem anstrengendes“ erstes Jahr in Berlin zwischen Verzweiflung und Freude zurück.
Ein Jahr für Leverkusen im ParlamentDas hat Nyke Slawik bewegt
Wenn sie das Jahr 2022 mit einem Lied beschreiben müsste, dann würde Nyke Slawik „Der letzte Song“ von Felix Kummer nehmen. Der nie um irgendein Wort verlegene Sänger der Chemnitzer Band Kraftklub stellt darin fest: „Die Welt ist am Arsch, die Gesellschaft versagt. Aber alles wird gut.“ Das ist recht eindrücklich. Und das ist wohl das, war viele Menschen derzeit fühlen. Nyke Slawik jedenfalls gibt zu: „Ich schwanke ständig hin und her zwischen ‚Das Glas ist hab voll‘ und ‚Das Glas ist halb leer‘.“
Es war ein extrem anstrengendes Jahr, wie sie beim Gespräch im Opladener Café „Zettels Traum“ betont. „Wir alle mussten große Opfer bringen.“ Die schlimmsten zweifelsohne „die Menschen in Osteuropa“, Flucht und Tod nämlich.
Aber da war noch mehr: Sie selbst zum Beispiel - worauf sie später dann noch eingehen wird. Und dies: „Wir sind noch immer nicht auf einer klaren Zielgeraden, was die Lösung der Klimakrise angeht.“ Nyke Slawik hat in ihrem ersten Jahr in Berlin gemerkt, „wie viele Leute im Bundestag sitzen, die nichts mit dem Thema anfangen können. Denen das total egal ist“.
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Leverkusener Themen im Fokus
Dieses „total egal“ ärgert sie auch bei der Frage, „die uns hier in Leverkusen alle umtreibt“: Wie geht es weiter mit dem Autobahnausbau? Diesem „aus der Zeit gefallenen Projekt“. Nyke Slawik ist stellvertretende Vorsitzendende des Verkehrsausschusses des Bundestages. Sieht sich in der Pflicht. Betont: „Ich hake da ständig nach im Ministerium. Wir haben da eine klare Erwartungshaltung.“ Es geht um den Erhalt des Straßennetzes. Nicht um den Neu- oder Ausbau von Autobahnen „auf die Breite eines Fußballfeldes.“ Und das werde im Ausschuss auch stetig diskutiert.
Sie ist jedenfalls überzeugt: „Ich habe die Leverkusener Themen im Fokus.“ Siehe die Sanierung des Hallenbades in Bergisch Neukirchen: Die 2,6 Millionen Euro dafür stammen aus Bundesmitteln. Und für die hat sich Nyke Slawik in Berlin über Kollegen im Haushaltsausschuss eingesetzt.
Überarbeitet und desillusioniert
Apropos Berlin: Was hat diese Stadt mit ihr gemacht? „Eine schwere Frage“, sagt Nyke Slawik und denkt lange nach, ehe sie zugibt: „Berlin hat mir ganz schön harte Herausforderungen gegeben.“ Da waren die Monate im Spätsommer, als sie sich eine Auszeit nehmen musste. Sie hatte Panikattacken. War überarbeitet. Und desillusioniert. „Es kam irgendwann der Punkt, an dem ich merkte: Es geht nicht mehr.“
Aufgestaut über lange Zeit. Befeuert durch den Krieg in der Ukraine. Nyke Slawik, ein hoch empathischer Mensch, wachte plötzlich auf: „Vorher hatte ich gedacht: Ich bin jetzt hier als Bundestagsabgeordnete – und wir reißen das Ruder herum. Nur um dann festzustellen, dass das nicht so einfach geht, weil die Mehrheiten noch nicht so weit sind.“ Eine Erkenntnis, die ihr „sehr viele Verzweiflungsmomente“ bescherte.
Einen erlebte Nyke Slawik gleich nach ihrer Auszeit, einen der emotional schlimmsten. „Da saß ich zum ersten Mal wieder im Verkehrsausschuss – und die CDU beantragte, mal wieder, eine Debatte zur Rettung des Verbrennungsmotors.“ In diesem Moment kam der Schwindel zurück. „Ich bin raus und habe am Spree-Ufer erstmal frische Luft geschnappt.“ Danach ging's wieder.
Neun-Euro-Ticket als Erfolg
Auch weil Nyke Slawik gelernt hat: „Ich kann nicht alle Probleme alleine lösen.“ Sie kämpft nun für das 49-Euro-Ticket. Will den Autobahnausbau in Leverkusen verhindern. Will sehen, dass die Themen, die ihr gesellschaftspolitisch wichtig sind, umgesetzt werden: das Selbstbestimmungsgesetz, der Aktionsplan „Queer leben“. Und damit ist Nyke Slawik auch gleich bei den positiven Dingen in 2022.
Ihr„Highlight des Jahres“ war die Einführung des von ihr maßgeblich vorangetriebenen Neun-Euro-Tickets. Ein erster Schritt des Umzuges von der Straße auf die Schiene. Bezahlbar, für alle.
Und überhaupt: „Es sind viele Dinge passiert, die Hoffnung machen.“ Da sind die Menschen im Iran, die sich gegen das religiöse Regime auflehnen. „Die erste feministische Revolution der Welt.“ Und da sind die Gesetzespakete hierzulande für den Ausbau erneuerbarer Energien. Die Kindergelderhöhung. Das Bürgergeld. Kurzum: „Die Ampelkoalition hat einen schlechteren Ruf, als sie verdient.“
Und Nyke Slawik weiß jetzt: Man braucht zwar eine Prise Realismus in Berlin. „Aber ohne Idealismus und den Wunsch, die Welt zu verbessern, ist es nicht gut, in der Politik zu sein. Es gibt genug Leute, die das wegen des Geldes oder des Status' machen.“ Sie gehört nicht dazu.