Leverkusen – Auf der Campusbrücke steht am Montagmittag ein einzelner Mann in leuchtend rotem T-Shirt vor gleichfarbigem Absperrband. „Ich wollte meine hochschwangere Freundin von einem Arzttermin abholen“, berichtet Alexander. Die Praxis ist auf der anderen Seite der Campusbrücke, von hier aus gesehen auf der linken Seite. Auf der rechten Seite des Brückenendes stehen Einsatzfahrzeuge. Hier soll an der Werkstättenstraße die neue Sporthalle des Landrat-Lucas-Gymnasiums entstehen. Und bei den vorbereitenden Arbeiten wurde eine Bombe gefunden.
Sorgen macht Alexander sich nicht, er hat seiner Freundin Bescheid gegeben, dass er mit dem Auto nicht vorfahren konnte und auf der anderen Seite der Brücke wartet. „Ärgerlich ist nur der Euro für das Parkticket, dass ich hier ziehen musste“, sagt er schulterzuckend. Aber es gibt Wichtigeres.
Und zwar vor allem dieses: Gegen 19.30 Uhr melden die Entschärfer den Behörden, dass die Bombe entschärft ist. Die Spezialisten vom Kampfmittelräumdienst des Landes, Michael Hilgers und Marcel Biewald, brauchten gerade einmal eine halbe Stunde um die Fünf-Zentner-Bombe zu entschärfen. Zunächst hatte die Stadt nur von einer 2,5-Zentner-Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg gesprochen, sich später aber korrigiert. 500 Kilogramm waren es, die Opladen an diesem Tag ordentlich durcheinander würfeln.
Denn die Stadt hat mit der Feuerwehr die Aufgabe, den richtigen Rahmen zu schaffen für einen Entschärfungsversuch des Kriegsüberbleibsels. Heißt: Aus einem Umkreis von 400 Metern um die Werkstättenstraße müssen rund 2700 Personen aus Wohn- und Geschäftsgebäuden gebracht werden. Das braucht Zeit. Straßen müssen gesperrt, Zuständigkeiten geklärt werden. Gegen 13.30 Uhr beginnt die Evakuierung. Die Behörden starten Klingelrundgänge, durch die Straßen patrouillieren Einsatzfahrzeuge, die per Lautsprecher die Bevölkerung informieren. Die Anwohner werden gebeten, auch ihren Nachbarn zu helfen.
Am Nordende der Neuen Bahnstadt steht eine Gruppe Nachbarn zusammen. Sie sind unsicher, ob ihre Häuser rund um die Adam-Riese-Straße von der Evakuierung betroffen sind, sie liegen genau auf der Grenze der veröffentlichten Karte. Im Zehn-Minuten-Takt kommt das Feuerwehrauto mit der Lautsprecherdurchsage vorbei: „Verlassen Sie ihre Wohnungen.“
„Es kam aber eben jemand von der Feuerwehr, der meinte, wir seien außerhalb“, sagt Iris Pauler. Das Problem: Einige Kinder müssen aus der Grundschule Herzogstraße abgeholt werden. „Zum Glück ist die Schulleitung sehr gut organisiert und hat uns direkt alle Informationen zukommen lassen“, lobt Pauler. Allerdings kommt man zur Schule gerade nur über Umwege.
„Und dann fragen wir uns: Was ist, wenn das Gebiet noch angepasst wird, kommen wir dann wieder rein?“ Letztendlich schließen sie sich zusammen: Zwei Nachbarn mit Lastenrädern fahren los, um alle Grundschulkinder einzusammeln, der Rest bleibt mit den Kindern zurück, die noch oder bereits zu Hause sind.
Nicht einfach so nach Hause
So wie Olivia Rackwitz. Die Elfjährige geht in die sechste Klasse des Landrat-Lucas-Gymnasiums. „Wir hatten gerade Deutsch, als unsere Lehrerin sagte, was passiert ist“, berichtet sie aufgeregt. Die klare Ansage der Schule: Niemand darf alleine nach Hause gehen, ohne das vorher mit seinen Eltern abgesprochen zu haben. Schließlich kann es sein, dass der Schulweg blockiert ist oder das Zuhause gar in der Evakuierungszone liegt.
„Zwei Kinder durften dann alleine nach Hause, weil die Eltern am Telefon gesagt haben, dass der Weg frei ist“, so Olivia. Der Rest sei abgeholt worden. Eifrig verfolgt die Elfjährige den Weg des Feuerwehrautos. „Die Durchsage kann ich bald auswendig.“ Nicht für alle aus ihrer Klasse ist der Einsatz so aufregend: „Wir haben eine Mitschülerin aus Köln, die hatte schon 15 Bomben-Einsätze.“
An anderer Stelle herrscht beinahe Verzweiflung. „Ich wollte nur schnell etwas einkaufen gehen. Jetzt komme ich über keine Straße mehr in meine Wohnung“, sagt Adriano Aschmann. „Als ich aus meiner Wohnung gegangen bin, habe ich die Sperrzone verlassen, wurde aber nicht darauf aufmerksam gemacht, dass ich meine Wohnung nicht wieder betreten kann.“
„Angst um unsere Sicherheit“
Loredana Dore und Yvonne Beckmann könnten in ihren Wohnungen bleiben, haben sich jedoch dagegen entschieden. „Aus Angst um unsere Sicherheit sind wir jetzt eigenständig aus unseren Wohnungen gekommen“, meinen sie. Dore hat noch eine Katze in der Wohnung, um die sie sich Sorgen macht, traut sich jedoch nicht wieder zurück ins Gebäude.
Zwischendurch kommt eine für viele erfreuliche Nachricht: Das Abschlusskonzert der Opladener Bierbörse mit Guildo Horn soll wie geplant stattfinden. Die Anreise könnte sich zwar schwierig gestalten, der Abend auf der Schusterinsel ist aber gesichert. Die Bombe kann vielleicht Opladen auf den Kopf stellen, den Auftritt des Schlagersängers aber verhindern? Nein.
Gegen 17 Uhr machen sich die Sperrungen in Opladen deutlich bemerkbar. Auf der Kölner Straße geht es mit dem Auto nur stockend voran. Zeitgleich wird die Bahnstrecke zwischen Köln und Wuppertal gesperrt, RE 7 und RB 48 werden über Düsseldorf umgeleitet, viele Halte entfallen deshalb.
155 Anwohner in der Sammelstelle
In der Anwohner-Sammelstelle des Deutschen Roten Kreuzes im Landrat-Lucas-Gymnasium sind derweil 155 Leute untergekommen: „Die meisten kommen selbst vorbei, einige werden auch per Rettungswagen gebracht, wir nehmen auch Liegendtransporte“, berichtet Einsatzleiter Maximilian Groß.
Die Gruppe sei bunt gemischt, Probleme gebe es keine. „Das ist schön zu sehen, dass alle sich so gut verstehen“, sagt Groß. „Gleich gibt es noch etwas zu essen. Wir gehen aktuell nicht davon aus, dass es über Nacht geht, aber wissen kann man das natürlich nicht. Wir sind auf alles vorbereitet.“
Und nein, es geht nicht über Nacht. Um 19 Uhr gehen die Kampfmittelräumer Hilgers und Biewald ans Werk. Die Profis sind flott. Keine 40 Minuten später witzelt Oberbürgermeister Uwe Richrath mit ihnen schon am geöffneten Heck ihres Transporters. Im Laderaum, festgeschnallt, liegt die Bombe. 122 Zentimeter lang, 31 Zentimeter dick.
Die Campusbrücke bleibt gesperrt
Die Stadt zieht ein Fazit: 66 Leverkusener und 32 externe Einsatzkräfte der Feuerwehren, des Rettungsdienstes und von Hilfsorganisationen haben die Evakuierung über die Bühne gebracht und die Entschärfung gesichert. Das Ordnungsamt hat 63 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beigesteuert.
Die Campusbrücke aber bleibt weiterhin gesperrt. Beim Verlassen der Baustelle am Fundort hatte ein Bagger ein Brückenelement verschoben und beschädigt. Einsturzgefahr bestehe zwar nicht, die Brücke sei stabil, teilt die Stadt mit. Am Dienstag soll aber dennoch ein Gutachter das Bauwerk untersuchen.
In Opladen kehrt am Abend langsam wieder Ruhe und Normalität ein.