Leverkusen – Hin und her gerissen, als würden zwei Herzen in einer Brust schlagen: So müssen sich viele der 1500 Jecken gefühlt haben, die am Karnevalssamstag zur Open-Air-Party des Festausschusses Leverkusener Karneval (FLK) in die 2G-Plus Brauchtumszone auf den Opladener Marktplatz gekommen sind. Auch Veranstalter Marco Döhmer lasse die Situation in der Ukraine sprachlos zurück: „Dennoch: Absagen hilft den Menschen dort auch nicht weiter.“ Am Donnerstag hatte sich der FLK dafür ausgesprochen, die Veranstaltung stattfinden zu lassen. „Ob einem nach so einer Veranstaltung ist, auf der es letztendlich auch fröhlich zugehen wird – hier gibt es sicherlich nicht die eine richtige Meinung“, so Döhmer. Die Rückmeldung zu dieser Handhabe sei durchweg positiv gewesen.
Wer sich trotz allem dazu entschieden hat zu feiern, hatte am Samstag in Opladen eine „superjeile Zick“ mit dem Programm von allen Leverkusener Karnevalsgesellschaften mit Brings als Höhepunkt – in welchem der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine aber auch einen festen Platz einnimmt.„Das es nun hier so nicht direkt mit „Polka, Polka, Polka“ los gehen kann, war dann auch Klar. Gemeinsam mit den Bands haben wir Programmanpassungen vorgenommen, um der Lage zumindest ein Stück weit gerecht zu werden“, erklärt Döhmer.
Worte von Stadtdechant Teller
So ist der Bruch hart, als nach Alleinunterhalter Achim erst „Die Kirchen Combo“ spielt, bevor es ein Friedensgebet von Stadtdechant Pfarrer Heinz-Peter Teller gibt, der Stellvertreter oder Beiträge aus allen Leverkusener Religionsgemeinschaften mitgebracht hat. Augenscheinlich sind viele erst mal verwirrt, als die bunte fröhliche Karnevalswelt auf die dunkle ernste Realität prallt, doch alle lauschen still und gespannt den Gedanken der Geistlichen: „Frieden beginnt in mir, Frieden beginnt in dir, Frieden beginnt in uns.“
Die großen LED-Wände und das Licht der Scheinwerfer sind in die blau-gelben Landesfarben getaucht. Dann richtet Teller noch ein Grußwort von Oberbürgermeister Uwe Richrath aus, bevor er mit einem lockeren „Nu is aber auch jut“ endet und die Party losgehen kann.
„Es ist wichtig, dass wir auch in so einem Rahmen im Moment an die Menschen in der Ukraine denken“, sagt Besucherin Jessica Klein zufrieden, wenn auch überrascht über die Gebete auf der Party. „Man kann nicht oft genug daran erinnert werden, dankbar für den Frieden im eigenen Land zu sein!“ Auch Leonie Grantek findet es gut, wie der Thematik Raum eingeräumt wird, gesteht aber ein: „So bevor es richtig mit der Party los geht finde ich das gut. Wenn das jetzt mitten drin gewesen wäre, wäre das ein bisschen komisch ehrlich gesagt.“
Kostüme angepasst – aber nicht immer
Wie Claudia Welches und ihre Töchter Lena und Josefine möchten einige ihre Solidarität und ihr Mitgefühl auch in ihren Kostümen zum Ausdruck bringen. Dafür haben viele eigens Ohrringe, Haargummis, Schleifchen, Buttons und andere Accessoires in den Farben blau-gelb, mit Peace-Zeichen oder Friedenstauben gebastelt. Familie Welches hat sogar ihre Schminke abgestimmt: „Das Thema ist super schwierig für uns. Wenn man es aber bewusst einbindet, kann das im Karneval mit seiner einerseits melancholischen und andererseits fröhlichen Stimmung aber auch passend sein.“
Andere haben die Kostümwahl wohl nicht so bewusst getroffen – denn das Publikum ist doch immer wieder auch mit Uniformen in Tarnfarben gespickt. Die 20-jährige Pia aus Leverkusen geht dieses Jahr als Bundeswehrsoldatin und erklärt: „Ich hatte das Militär-Kostüm schon, bevor der Krieg ausgebrochen ist und musste das jetzt anziehen, weil ich kein anderes hatte.“
Später ist die Stimmung dann gänzlich ausgelassen und nur noch wenige Gespräche drehen sich um das Unheil in der Welt. Mit einer Fasseintrittskarte bekommt man sogar ein kleines Fässchen direkt an seine Bierbank, um nicht nochmal in die Schlange zu müssen. Das Opladener Mottolied kommt wie jedes Jahr von Tillmann Loef. „Wir können uns jetzt ja auch nicht vergraben“ und ähnliches ist zu vernehmen. Für viele hier ist dies auch das erste Mal, dass sie Karnevalsmusik hören in den letzten Tagen mit der so bedrückenden Nachrichtenlage – auch nach zwei Jahren Corona. „Als ich nach zwei Jahren mal wieder eine Kindergruppe tanzen gesehen habe, kamen mir die Tränen“, so eine Leverkusener Besucherin. Dabei sei psychisch ganz viel von ihr abgefallen.
Das man den Krieg nicht weg beten kann, ist wohl klar. Und das auch sonst vieles nur sehr symbolisch ist, ebenfalls. Aber klar ist auch: Politik hatte schon immer ihren Platz im Karneval. Auch wenn es natürlich besonders schwierig ist, einen so frischen, so nahen Krieg, angemessen zu thematisieren. „Mit dem, was wir hier tun, stellen wir uns entschlossen gegen Krieg und jegliche Form der Gewalt“, ruft FLK-Präsident Thomas Lingenauber unter großem zustimmenden Beifall. Und so ist es dann ja vielleicht doch möglich, mit Konfetti und Alaaf-Raketen Frieden in die Welt hinaus zutragen.