Die Übernahme von Covestro durch Adnoc ist eine Zäsur nicht nur für den Chempark, sondern die deutsche Wirtschaft.
Rückblick 2024Wie Leverkusen einen Konzern verliert
Es ist so gut wie vollbracht, mehr als 91 Prozent der Anteile hat die Abu Dhabi National Oil Company übernommen. Jetzt müssen nur ein paar renitente Aktionäre rausgedrängt werden. „Squeeze-out“ heißt das Verfahren. Mit der Übernahme durch Adnoc geschieht etwas, das man in Leverkusen so noch nicht kannte. Zum ersten Mal übernimmt ein Investor einen ganzen Konzern. Noch dazu einen, der bisher im Deutschen Aktien-Index gelistet war. Der Plan von Adnoc ist, das Unternehmen ganz von der Börse zu nehmen.
Was sich sonst noch ändert? In der Struktur von Covestro einiges, denn im Aufsichtsrat werden künftige Emissäre von Adnoc-Chef Sultan Ahmed Al Jaber sitzen. Dass einer der größten Erdölproduzenten der Welt einen Konzern übernimmt, in dem seit Jahren das Ziel verfolgt wird, vom Öl wegzukommen, erscheint nur auf den ersten Blick als Widerspruch. Die Ölfirmen aus dem arabischen Raum tun alles, um sich breiter aufzustellen. Denn das Erdöl-Zeitalter neigt sich dem Ende zu. Adnoc spricht davon, um Covestro herum einen der fünf größten Chemiekonzerne der Welt zusammenzubauen.
Billiges Öl könnte helfen
Für den Moment könnten die neuen Eigentümer Covestro zwar auch als Rohstoff-Lieferant dienen. Womöglich zu guten Preisen, denn das Geschäft des Kunststoff-Konzerns steht unter massivem Preisdruck. Das liegt gar nicht mal an den Rohstoffpreisen, sondern an anderen Misslichkeiten, über die sich Markus Steilemann gerade auf der Jahrespressekonferenz des Verbands der Chemischen Industrie beklagt hat. Dessen Vorsitz hat der Covestro-Chef ebenfalls inne. Da sind vor allem die sehr hohen Energiepreise, die deutsche Unternehmen immer mehr ins Hintertreffen brächten, klagte der Manager. Und was das Geschäft mit alltäglichen Chemikalien angeht, da sind deutsche Produzenten ohnehin nicht mehr so gut dabei.
Alles zum Thema Leverkusen Chempark
- Rückblick 2024 Auch Bill Anderson beendete Bayers Leiden nicht
- EVL Was Leverkusen für die Energiewende braucht
- Kunststoff-Konzern Covestro holt neue Vertriebschefin nach Leverkusen
- Leverkusener Konzern Warum Covestro verrät, was jeder verdient
- Nach einem Jahr Austausch der defekten Lüftung am Campus Leverkusen hat begonnen
- Bayer-Kasino Leverkusener Chempark-Mitarbeiter feiern unter den Platanen
- Probleme nach Explosion Anwohner des Leverkusener Sondermüllofens erhebt Dienstaufsichtsbeschwerde
Das ist ja der Grund, warum es etwa im Chempark Leverkusen nur noch um Spezialitäten geht. Das gilt für Covestro, das gilt auch für die Nachbarn von Lanxess. Es ist schon einige Jahre her, dass dort die Notbremse gezogen – und dabei sogar ein Vorstandschef geschasst wurde: Axel Heitmann hatte die erste Bayer-Ausgründung allzu sehr auf die Herstellung von Synthese-Kautschuk ausgerichtet. Ein Massengeschäft, in dem die internationale Konkurrenz groß ist. Mit dem Bau einer neuen Anlage in Asien war Lanxess auch noch mitten in eine Hochlaufphase geraten, mit weltweiten Überkapazitäten. Am Ende war nicht nur der Vorstandschef weg, sondern auch die damals größte Konzernsparte von Lanxess.
Auch Lanxess hat an Araber verkauft
Zunächst wurde das Geschäft in ein Joint Venture mit dem Ölkonzern Saudi Aramco eingebracht; inzwischen läuft sie unter dem Namen Arlanxeo komplett unabhängig von Lanxess. Die Trennung erfolgte früher als gedacht. In gewisser Weise kann man in dem Deal zwischen Lanxess und Saudi Aramco eine Vorstufe dessen sehen, was gerade zwischen Covestro und Adnoc passiert: Ein schwerreicher Ölkonzern angelt sich ein deutsches Geschäft. Allerdings ging es bei Lanxess und Saudi Aramco tatsächlich vor allem um das billige Öl aus Saudi-Arabien, mit dem die Produktion billiger zu machen war.
Für Adnoc dient die Übernahme von Covestro hingegen der Ausweitung seiner Geschäfte. Dafür wurde eigens eine deutsche Holding gegründet. Sie heißt neuerdings XRG und übernimmt die Covestro-Aktien zu einem Preis von 62 Euro. Das ergibt einen Preis von 11,7 Milliarden; außerdem fließen dem Unternehmen durch Erhöhung des Grundkapitals um zehn Prozent weitere 1,17 Milliarden zu. Geld, das man in Leverkusen gut gebrauchen kann.
Adnoc hat sich auch verpflichtet, Covestro zunächst mal so zu lassen, wie es ist. Der Vorstand um den branchenweit profilierten Markus Steilemann bleibt im Amt, gerade erst wurde mit Monique Buch eine Nachfolgerin für die Vertriebsvorständin Sucheta Govil gefunden. Vor allem aber soll Adnoc die Umstellung der Produktion Richtung Klimaneutralität genau so weiterlaufen lassen, wie es Steilemann vorhat. Der Manager will beweisen, dass man Kunststoffe klimaneutral herstellen kann. Und dass Wiederverwertung im industriellen Maßstab möglich ist. Allerdings: Die Klima-Vorgaben in Europa zwingen ihn auch dazu.
Warum passt das zur Strategie von Adnoc? Wohl, weil ein Kunststoff-Konzern recht nah am ursprünglichen Geschäft eines Öl- und Gas-Produzenten ist. Ist das eine Bestandsgarantie für die Bayer-Ausgründung? Und bleibt in Leverkusen alles beim alten?
Im Betriebsrat gibt man sich gelassen. Entscheidende Vereinbarungen sind auch unter dem neuen Eigentümer abgesichert, darauf verweist Irena Kuestner, die Vorsitzende in Leverkusen und Konzernbetriebsrätin ist, auf Anfrage. Bis 2032 sollte nichts Grundstürzendes passieren mit Covestro.
Vorstandschef Steilemann hat gerade noch einmal betont, dass die weitgehende Aktienübernahme „eine sehr gute Nachricht für Covestro, unsere Mitarbeitenden und alle weiteren Stakeholder“ ist. Die strategische Partnerschaft mit Adnoc sei „genau der richtige Schritt zur richtigen Zeit“, die Partnerschaft langfristig ausgerichtet. Das frische Geld erlaube es dem Unternehmen, die „laufende Transformation weiter zu beschleunigen.“ Alles in Butter also mit dem Kauf? Das wird sich erst in Jahren zeigen. Sicher ist: Die Übernahme eines ganzen Konzerns ist eine Zäsur – für Leverkusen, für Deutschland.