Leverkusen – Wo nachts um ein Uhr im Normalfall Straßenlaternen das letzte Licht über den Asphalt und parkende Autos werfen, beleuchtet ein an einer Birke aufgehängter Scheinwerfer das Geschehen. Drei von Pylonen umrandete, sieben Tonnen schwere Lkw zieren in all ihrer Wucht die enge Saarlauterner Straße, Verkehrsschilder weisen Parkverbotszonen aus. Der Kölner „Tatort“ rund um die Kriminalhauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) hat Einzug in die Leverkusener Waldsiedlung gehalten. Die Bavaria Film- und Fernsehproduktion dreht im Auftrag des WDR Teile der beliebten Sonntagabend-Unterhaltung in unserer Siedlung – auch in meinem früheren Kinderzimmer.
Bei unseren Nachbarn im Haus nebenan handelt es sich um eine eingespielte Filmdreh-Familie, die bereits ihre Zusage zum Tatort-Dreh in den eigenen vier Wänden gegeben hatte. Ihr Haus war den Filmschaffenden vorab schon bekannt. Ob Serie im Vorabendprogramm oder Spielfilm zur besten Sendezeit – das Haus war schon häufig zu sehen. So sollte die Kult-Krimireihe auch an unsere Tür klopfen – in Gestalt eines Motivscouts. Dieser gibt den Bewohnern potenzieller „Tatort-Häuser“ erste Einblicke, was die Dreharbeiten so mit sich bringen und fotografiert mit Zustimmung des Besitzers alle relevanten Räumlichkeiten des Hauses. Diese Bilder werden in Datenbanken eingestellt und von der Produktionsleitung bewertet, ob die räumlichen Gegebenheiten zum Drehbuch passen.
Veränderungen bis zum Umbau
Für Hauseigner, die in die Nutzung ihrer Räumlichkeiten einwilligen, ist das zwar eine lukrative Angelegenheit, bringt aber auch immense Einschränkungen mit sich. So werden die Häuser vom Filmteam komplett verwendet, teilweise renoviert, in Einzelfällen sogar umgebaut. Hierzu werden die Möbel wie aus dem Haus geräumt, in extra dafür angemieteten Räumlichkeiten der Produktionsfirma zwischengelagert und – nachdem alles im Kasten ist – wieder eingeräumt. In dieser Zeit sind die Häuser nicht bewohnbar.
Wie sich auch im Verlauf späterer Besichtigungen zeigen sollte, ist es nebensächlich, wie ein Haus eingerichtet ist. Fenster, Türen, Höhe der Wände, Anordnung und Größe der Räume – die Strukturen eines Gebäudes sowie Gärten sind für den Film interessant. So erleichtern hohe Decken das Ausleuchten des Drehortes. Die Größe der Räume ist wichtig, damit das Filmteam genug Platz hat. Innenrequisiteure und Bühnenbildner werden für die drehbuch-nahe Einrichtung der Räumlichkeiten beschäftigt.
Für diesen Tatort-Dreh besonders interessant: Das als „kompliziert“ beschriebene Drehbuch sieht vor, dass vier Häuser mit vier Familien bespielt werden. Man soll von jedem dieser Häuser aus auf und in die benachbarten Häuser sehen können, da sich die Story des Films um nachbarschaftliche Intrigen webt. Das kommt für Locationscouts einer Mammutaufgabe gleich, vier unmittelbare Nachbarn davon zu überzeugen, für jeweils etwa eine Woche ein Filmteam bei sich einziehen zu lassen und selbst auszuziehen. Da die bei uns gemachten Bilder auf Interesse bei den verantwortlichen Produktionsleitern gestoßen sind, stehen nur wenige Tage später fünf Filmmenschen im Garten, drei von ihnen später in meinem Kinderzimmer. Der Titel des Tatorts, der in etwa einem Jahr ausgestrahlt wird, lautet „Die 7. Zypresse“, weshalb der Garten ins Blickfeld kommt. Da auf der Grenze zwischen unserem Grundstück und dem unserer Nachbarn sieben Zypressen eingepflanzt werden sollen, rücken Gärtner an.
Der Garten wird umgestaltet
Der verantwortliche Produzent weist darauf hin, dass von unserem Garten aus der Blick über die noch einzupflanzenden Zypressen hinüber zum Nachbarhaus möglich sein soll. Hierfür müsse der Zaun zum Nachbarn geöffnet werden und etwaige Büsche sowie kleine Bäume für die Dreharbeiten weichen, diese würden aber später vom Gärtner wieder eingepflanzt. Ebenso soll in der Straße zur Nutzung des Kamera- und Beleuchtungs-Equipments ein Starkstromanschluss eingerichtet werden.
Im Jahr werden vom Kölner Ableger der Krimireihe drei bis vier Episoden abgedreht. 23 Drehtage sind für „Die 7. Zypresse“ geplant, das Filmteam muss täglich auf drei bis vier Sendeminuten kommen, um das vom Sender vorgegebene Zeitraster einzuhalten. Für den Hausbesitzer setzen sich die Dreharbeiten neben den eigentlichen Drehtagen aus „Vorbautagen“, „Gartenvorbautagen“, „Rückbautagen“ und „Gartenrückbautagen“ zusammen. An den Vorbautagen werden Möbel sowie Einrichtung aus dem Haus geschafft, an den Gartenvorbautagen die Pflanzen aus dem Boden gezogen. An den Rückbautagen für Haus und Garten wird das Haus wieder bezugsfertig gemacht und der Garten wieder hergerichtet. Für eventuelle Schäden, die während der Arbeiten auftreten können, haftet die Produktionsfirma. Zudem erklärt man sich als Hausbesitzer dazu bereit, sein Eigentum für Wiederholungsaufnahmen, sogenannte „Nachdrehs“ (wenn etwas wegen im Schnitt bemerkten Anschlussfehlern auffällig wird) erneut zur Verfügung zu stellen.
Ein weiterer Besichtigungstermin. Diesmal sind es anstelle von fünf Personen elf. Wohnzimmer, Schlafzimmer und Kinderzimmer werden begutachtet, Abstandsmessungen durchgeführt. Der Blick aus den Fenstern des Hauses rüber zu den Nachbarn wird von allen geprüft, von Regisseur, Produzent, Set- und Motivaufnahmeleiter, Innenrequisiteuren und weiteren Filmschaffenden.
Die Treppe Richtung oberes Stockwerk gerade hinter sich gelassen, tritt beim Team ein Moment der Faszination auf: „Schaut mal, Frau Friedrichs (Name geändert) steht gerade am Küchenfenster und spült.“ Jeder aus dem elfköpfigen Team verbiegt sich um einen Blick aus dem Treppenfenster zu erhaschen. Was nicht nur ulkig aussieht legt offen, was Filmschaffende bei Motiv-Besichtigungen für ihren Job mitbringen müssen: Neben gekonnter Höflichkeit im Umgang mit den Hausbewohnern die Phantasie und Erfahrung, sich die Wirkung der Räume im Film vorzustellen.
Im Wohnzimmer wird es düster
Als Bewohner beginnt man, sein Haus mit neuen Augen zu betrachten. Das vormals helle Zimmer wird tiefgrau gestrichen, Fenster werden zeitweise zugeklebt, die Räume spärlich mit einfachen Möbeln ausgestattet, das „Tatort-Haus“ gleicht einer dunklen Höhle. Ein großes Aufgebot an Menschen hantiert in den Räumen.
Noch bevor die Produktionsfirma von allen Seiten ein „Go“ für die Dreharbeiten bekommen hat, spricht man in heller Aufregung in der Nachbarschaft schon von „Tatort-Partys“, die nach Abzug der Kölner Filmlandschaft geschmissen werden sollen. Allerdings auch von der Problematik, dass die sowieso schon angespannte Park-Situation in der Straße durch die von der Stadt genehmigten Parkverbotszonen innerhalb der Drehzeiten weiter forciert wird. Für die Zeit der Dreharbeiten werden teilweise Sperrungen an beiden Enden der Straße vorgenommen. Gerade für Tonaufnahmen ist ein Motorengeräusch im Hintergrund störend.
Versorgungsstation Waldschule
Der Fuhrpark der Produktion inklusive Maske, Garderoben der Schauspieler und das für die Mittagspause der Crew vorgesehene Catering ist an den Drehtagen auf den Parkplätzen vor der Waldschule Schlebusch platziert. Der Catering-Wagen steht auch denjenigen zur Verfügung, die ihre Häuser zur Verfügung stellen. Also auch uns, denn wir haben nach Gesprächen mit der Nachbarschaft und den Verhandlungen mit dem Produktionsteam „ja“ gesagt zum Tatort im eigenen Haus. Gemäß des Drehbuches wohnt statt Familie Schneider in der Fiktion also „Familie Holtkamp“ in der Saarlauterner Straße.
Das ist nun Geschichte. Bilanz des Tatort-Drehs in der Schlebuscher Waldsiedlung nach turbulenten Tagen: Während der Dreharbeiten im eigenen Haus ließen zwei Lampen ihr Leben und die Parksituation stellte sich für die Anwohner mehr als vertrackt dar. Von den im Haus durchgeführten gestalterischen Änderungen war nach Ende der Dreharbeiten nichts mehr zu sehen, alles, was für den Zeitraum aus dem Haus geschafft wurde, befindet sich wieder an Ort und Stelle.
Ein Plus: Als weitere Erinnerung an den Tatort ließ der Gärtner die siebte Zypresse in unserem Garten stehen. Sie kennt den Mörder.