Lucia Riemenschnitter trat im Oktober vor drei Jahren ihre Stelle als Kunstvermittlerin im Museum Morsbroich an.
KunstvermittlerinEine Idealistin ist im Leverkusener Museum Morsbroich am richtigen Platz
Es gibt Menschen, die arbeiten, weil das eben dazugehört. Morgens hin, abends zurück. Gelächelt wird ab Feierabend. Und es gibt Menschen, die lächeln, wenn es um ihre Arbeit geht. Morgens lächelnd aufstehen. Hin. Weiter lächeln. Abends zurück. Nicht aufhören mit dem Lächeln. Genau so eine ist Lucia Riemenschnitter. Sie ist Kunstvermittlerin im Museum Morsbroich und brachte als solche frischen Wind in ein Haus, das seit Jahren frischen Wind dringend nötig hat. Da kann man schonmal lächeln. Und leuchtende Augen bekommen, wenn man über die Arbeit spricht.
Auch wenn der Anfang eher trist und traurig war. Lucia Riemenschnitter (38) blickt auf den Beginn ihrer Tätigkeit im Oktober 2019 zurück und erinnert sich: „Es war kurz nach der Zeit der drohenden Schließung des Museums und kurz bevor mit Stefanie Kreutzer die Kuratorin des Museums ging. Dann kamen noch die Lockdowns wegen Corona. Niemand wusste, wie es weitergeht. Es gab kein Leitbild.“
Und, noch schlimmer für ein Haus, das doch eigentlich einen internationalen Ruf als erstes deutsches Museum für zeitgenössische Kunst nach dem Krieg zu verteidigen hat, jedoch viel eher als Sinnbild für Unwirtschaftlichkeit steht: „Es gab gefühlt wenig bis gar keine Identifikation der Menschen in Leverkusen mit dem Museum.“
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Es lief quasi nach dem Motto: Alle lieben das Bayer-Kreuz, Bayer 04, aber nicht Morsbroich. „Fatal“ sei so etwas, sagt sie. Nicht zuletzt für die Kunstvermittlung. Für sie. Lucia Riemenschnitter war damals schnell klar: „Das müssen wir ändern.“ Also setze sie sich dran und änderte es. Als eine Idealistin, die für ihre Sache brennt.
Leverkusen: Kunstvermittlerin hat den Lockdown genutzt
Sie nutzte die Zeit des Lockdowns für Dinge, für die im normalen Alltagsgeschäft normalerweise keine Zeit bleibt: „Ich habe mich ein Jahr lang allein ins stille Kämmerlein gesetzt und an meinem Konzept gearbeitet.“ Sie fragte sich: „Welche Bedürfnisse gibt es hier vor Ort?“ Ein wesentlicher Punkt ihrer Arbeit.
Es geht Lucia Riemenschnitter nicht nur darum, ein paar Schulklassen oder Kitagruppen durchs Museum zu führen. So war es vor ihrer Zeit in Morsbroich der Fall gewesen, damals noch unter dem Namen „Museumspädagogik“. So etwas sei Standardprogramm. „Sparflamme“. Nicht nachhaltig. Nicht genug.
Und vor allem nicht angemessen, denn: „Ich sehe es als unseren Bildungsauftrag: Wir müssen als durch Steuern finanzierte Institution das, was im Museum passiert, an die Bedürfnisse der Menschen anpassen. Ich muss Vielschichtigkeit ins Museum reinholen.“ Kuratoren – im Falle Morsbroichs sind das Thekla Zell und Fritz Emslander – sind für den künstlerischen Inhalt da. „Ich als Kunstvermittlerin muss in den direkten Dialog mit den Menschen vor Ort gehen.“ Es geht um Teilhabe.
Jugendclub „Klub M“ gegründet
Lucia Riemenschnitter schaute genau hin, recherchierte, begann – Neudeutsch – zu netzwerken. Fragte sich: „Wen oder was gibt es vor Ort?“ Und gründete gemeinsam mit dem von ihr geleiteten Team der Kunstvermittlung, zu dem von Anfang an auch wechselnde freie Mitarbeitende gehören, zuallererst mal den Jugendclub „Klub M“, in dem sich Jugendliche dem Museum widmen. Die Teenager gestalteten mit Hilfe des Künstlers Alex Wissel, der seinerzeit an der Ausstellung zu Joseph Beuys beteiligt war, sogar ihren eigenen Clubraum in den Remisen des Schlosses. Dort, wo die Kunstvermittlung beheimatet ist. Die Sache nahm immer mehr Fahrt auf, sagt Lucia Riemenschnitter – und lächelt natürlich.
„Dann kamen die jüngeren Kinder, die ‚Schlossgespenster‘, hinzu.“ Sie entwarfen in Zusammenarbeit mit dem „Leverkusener Anzeiger“ eine eigene Museumszeitung. Lucia Riemenschnitter holte zudem Studierende der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf nach Morsbroich, die sich angeleitet von ihr vor Ort praktisch auf ihren Abschluss zur Kunstvermittlerin oder zum Kunstvermittler vorbereiten. Unter anderem mit Führungen, die sie bei den kommenden Museumstagen im Sommer anbieten werden. Deren Professorin Dr. Ulli Seegers war aus dem Häuschen und sprach bei der Pressekonferenz zum Projekt begeistert von dessen Exklusivität. Von einem „Glücksfall“.
Ein „Proberaum“ im Museum
Und sie schaffte es – gewissermaßen als Sahnehäubchen auf der mit Vehemenz aufgeschichteten Gestaltungstorte – im Obergeschoss des Museums einen Raum ausschließlich für all die Menschen zu reservieren, mit denen sie kunstvermittelnd arbeitet. Den „Proberaum“. Den bespielen seither Gruppen, die Lucia Riemenschnitter aussuchte und die sie ans Museum heranführt, nach eigenen Vorstellungen.
Den Anfang machten jüngst die „Schlossgespenster“, die sich in der Sammlung des Hauses umsahen, sich Kunstwerke für den Raum aussuchten – und diese etwa auf ihre, auf Kinderhöhe hängten. „Ihre Ideen sind für uns verpflichtend. Sie sehen: Ich kann etwas bewirken. Ich werde gehört.“ Als nächstes sind Mitglieder des Leverkusener Bündnisses gegen Depression an der Reihe. Dann die Leverkusener Aktivistin gegen Rassismus Gina Hitsch. Gruppen von Menschen mit verschiedenen Behinderungen. Menschen, die der LGBTQI-Community angehören.
Hinzu kommen Kooperationen der Kunstvermittlung mit dem Jungen Theater aus Opladen. Mit dem Naturgut Ophoven. Mit dem Sensenhammer. Mit den Jugendkunstgruppen. Mit Medien vor Ort. Ein Ende der Fahnenstange: nicht in Sicht. Es zählt die Prämisse: „Teilhabe.“ Die Beteiligten sollen hinterher rausgehen in die Welt und sagen: „Es gibt da dieses Museum in Leverkusen. Ich habe dort etwas erlebt.“
Leverkusen: Vorteile gegenüber Köln und Düsseldorf
Und gerade Morsbroich sei für so etwas perfekt. „Natürlich sind wir eine kleine Nummer im Vergleich zu Köln oder Düsseldorf“, weiß Lucia Riemenschnitter, die selbst Kunstgeschichte studierte, in der international enorm renommierten Kunstsammlung NRW volontierte und dort auch von 2012 bis 2018 arbeitete. „Und wir können nicht mit so viel Geld aufwarten wie solche Einrichtungen.“ Indes: „Das kann auch ein Vorteil sein: Wir müssen nämlich nicht am laufenden Band High-End-Produkte abliefern, sondern können ausprobieren. Wir können Räume für die Menschen öffnen und entwickeln.“
Es gehe nicht um Perfektion und Blockbuster-Kunst. Es gehe auch nicht um Besucherzahlen. „Man kann den Erfolg des Museums nicht an der Menge von Leuten messen, die hierherkommen.“ Vielmehr sollen sich „Kinder und junge Menschen mit unserer Hilfe ihr Leben lang für Kultur begeistern“. Es gehe darum, die Identifikation zum Haus wieder herzustellen.
Ein Team mit der Museumsleitung
Das deckt sich natürlich bestens mit dem Konzept, das der neue Museumsdirektor Jörg van den Berg mitbrachte, das er seit Amtsantritt 2021 im Team mit seinen Kuratierenden sowie der Kunstvermittlung verfolgt und das da lautet: Wir öffnen das Museum. Wir gehen raus in die Stadt, holen die Menschen mit ins Boot und lassen sie ihre Ideen für das Haus äußern. Ganz klar: „Mein Konzept wäre ohne Jörg van den Berg und die anderen im Team nicht möglich“, sagt Lucia Riemenschnitter.
Beinahe schon unglaublich mutet es da an, dass sie als eine, die dem im städtischen Besitz befindlichen Museum mit Idealismus und Begeisterung für die eigene Sache nicht wenig Gutes beschert, keine offizielle Anstellung bei der Stadt hat: Lucia Riemenschnitters Arbeit wird bisher ermöglicht vom Museumsverein. Vielleicht aber ändert sich das schon bald, wenn im 72. Jahr der Existenz des Museums endlich die erste offizielle Stelle einer Kunstvermittlung eingerichtet wird. Davon unabhängig aber lächelt Lucia Riemenschnitter sowieso einfach weiter.