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Leverkusens Amtsarzt„Omikron wird nicht die letzte bedrohliche Variante sein“

Lesezeit 5 Minuten

Dr. Martin Oehler leitet das Leverkusener Gesundheitsamt, das nie soviel Bedeutung gehabt hat, wie in den vergangenen zwei Jahren.

LeverkusenHerr Dr. Oehler, was hätten Sie gedacht, wenn ich Ihnen vor einem Jahr gesagt hätte, zu Silvester 2021 haben wir eine Inzidenz von 200 und stehen vor dem nächsten Lockdown?Dr. Martin Oehler: Das wäre auch aus der damaligen Perspektive gar nicht so unwahrscheinlich gewesen. Dass wir aber vorübergehend in Leverkusen auf eine Inzidenz von 400 kommen würden und in NRW sich Spitzenwerte von über 500 einstellen würden, hätte ich tatsächlich damals nicht erwartet.

Wenn Sie auf das Jahr zurückblicken, was ist Ihnen am stärksten im Gedächtnis geblieben?Dieses Jahr war so übervoll an Erlebnissen und Eindrücken, dass es auch für ein ganzes Jahrzehnt hätte reichen können. Im Vergleich zu 2020 bleibt natürlich, dass wir mit dem Impfstoff nun ein besseres Instrument zur Pandemiebekämpfung hatten. Am Anfang war der Impfstoff knapp und wir hatten mit Menschen zu kämpfen, die vehement ihre Ansprüche vorgetragen haben, obwohl sie noch nicht impfberechtigt waren. Und dann kam die Phase, in der genug Impfstoff da war, aber die Nachfrage nachließ. Es war ein Wechselbad der Gefühle mit immer neuen Anforderungen.

Leverkusen war im Sommer wochenlang Spitzenreiter bei den Infektionszahlen in NRW, teilweise sogar im Bund. Trifft es Sie persönlich, die eigene Stadt in den Schlagzeilen zu sehen?Ich hatte damals ja die Gründe dargelegt, die für die Inzidenzkonstellation verantwortlich waren, und dass daraus nicht auf ein Missmanagement der Stadt geschlossen werden kann. Dass nicht wenige dies dennoch taten, kann ich sehr gut aushalten. Es gehört sozusagen zu den Berufsvoraussetzungen für einen Amtsarzt, breite Schultern zu haben.

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Ihre Mitarbeiter müssen Kontakte nachverfolgen und Quarantänen aussprechen, dabei stoßen sie sicher nicht immer auf Begeisterung am anderen Ende der Leitung. Wie belastend ist das?Mitunter kommt es hier schon zu Situationen, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr viel abverlangen. Die psychische Belastung kann zeitweise beträchtlich sein und das kann nicht jeder gleich gut verkraften. Insgesamt bin ich aber sehr angetan und sehr dankbar dafür, Mitarbeiterteams zu haben, die das Engagement und die Bereitschaft haben, sich dieser Aufgabe auszusetzen und damit auch umgehen können. Das verdient große Anerkennung.

Können Sie persönlich in ihrer Freizeit abschalten oder wälzen Sie wie Karl Lauterbach nächtelang Studien?Mir die Nächte um die Ohren zu schlagen, würde meinem Arbeitspensum am Tag nicht gut tun. Aber natürlich: Ich bin immer mit der Thematik beschäftigt, informiere mich über die neuen Entwicklungen. Man wird zwangsläufig zum Medienmensch. Richtig abschalten kann man nicht.

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Das Impfzentrum

Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn hat gesagt, am Ende dieser Pandemie werden wir alle uns viel zu verzeihen haben. Welche Entscheidung aus dem Jahr 2021 würden Sie im Nachhinein gerne ändern?Es sind vor allem zwei Dinge zu nennen, die in der Pandemiebekämpfung im nun zu Ende gehenden Jahr nicht wirklich gut gelaufen sind, die aber kommunal nicht beeinflussbar waren. Zum einen ist die Expertenwarnung vor der vierten Welle politisch nicht konsequent genug aufgegriffen worden, und zum anderen sind die Boosterimpfungen zu spät in den Fokus gerückt. Hier hätte es früher zu einer Forcierung der Drittimpfungen kommen müssen, nicht erst im Zusammenhang mit der Omikronvariante.

Und in Bezug auf die städtische Ebene?Ich kann von keiner konzeptionellen Entscheidung sagen, dass ich Sie heute gerne anders treffen würde. Natürlich ist die Umsetzung nicht immer reibungslos gelungen, in der Kommunikation hätten wir manchmal vielleicht schneller und konsequenter sein können. Aber ich bin überzeugt, dass die Entscheidungen, die wir in Leverkusen getroffen haben, grundsätzlich richtig waren.

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Das Impfmobil der Stadt (Archivbild)

Was ist in Leverkusen 2021 besonders gut gelaufen?Unser Impfzentrum war ein Erfolgsmodell, ich hätte es auch gerne länger offen gehalten. Die Schließung hat das Land beschlossen, es war aber natürlich auch sehr teuer. Danach ist es uns in Leverkusen gelungen, in kurzer Zeit eine Fülle anderer Impfangebote zu schaffen, so dass wir in dieser Hinsicht weiterhin sehr gut aufgestellt waren und sind. Wir haben wie überall leider das Impfziel nicht erreicht, weil es zu viele geistige Brandstifter gibt, die Unsicherheiten schüren. Deswegen kann man nicht von einem vollen Erfolg sprechen. Aber konzeptionell ist die Impfstrategie ein Erfolgsmodell. Ich möchte daher auch all denjenigen danken, die an den unterschiedlichsten Stellen hieran mitgewirkt haben.

Was denken Sie heute: Wo stehen wir nächstes Jahr zu Silvester?Ich wage hier keine Prognose. Eines ist aber sicher: Die Evolution geht weiter. Insofern wird Omikron vermutlich nicht die letzte besorgniserregende Variante sein, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

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Die Intensivstation im Klinikum

Zum Abschluss haben Sie einen Wunsch für die Pandemiebekämpfung 2022 frei …Mein Wunsch wäre, dass es gelingt, die Krankenhäuser in Deutschland dauerhaft strukturell und personell im intensivmedizinischen Bereich zu stärken. Ich habe nicht das Gefühl, dass dieser Punkt in der Bundespolitik richtig ankommt. Selbst wenn wir es schaffen – wie angestrebt – ohne weitere Varianten in eine endemische Lage zu kommen, werden wir mit dem Virus leben müssen. Das heißt, dass wir im Herbst neben der Influenza-Welle nun immer auch eine Covid-Welle bekommen werden. Und Corona-Patienten, die auf der Intensivstation landen, bleiben dort wesentlich länger und müssen aufwändiger beatmet werden, als Influenzapatienten. Dafür braucht es dauerhafte Kapazitäten. Das Virus haben wir jetzt im Repertoire, damit müssen wir umgehen können.