Sie haben die Corona-Infektion mit schweren Verläufen überstanden und versuchen nun, sich ins Leben zurück zu kämpfen.
Wie viele Menschen in Deutschland an Long Covid leiden, ist unklar.
Besuch einer Gruppe, die von ihrem Weg zurück auf die Beine und den Langzeitfolgen erzählt.
Leverkusen – Fünf Patienten sind es an diesem Morgen, die im Tiefgeschoss des Opladener St.-Remigius-Krankenhauses auf großen bunten Bällen im Kreis sitzen, über farbige Therabänder, die sich in einem Ring in der Mitte treffen, miteinander verbunden. Unter Anleitung von Sportlehrer Henryk Polanski absolvieren sie ihre Gruppengymnastik, heben und senken die Bänder mit den Händen, recken und dehnen sich.
Doch es sind nicht die bunten Gummibänder allein, die sie verbinden: Sie alle haben eine Corona-Infektion mit schweren Krankheitsverläufen überstanden und versuchen nun, mit diversen Trainings- und Behandlungsabschnitten im wahrsten Sinne wieder auf die Beine zu kommen. Denn sie kämpfen noch nach Wochen, wenn nicht Monaten, mit heftigen Spätfolgen des Krankheitsbildes Long Covid.
Einer von ihnen ist Markus P. (Name geändert). Der 51-jährige Kraftfahrer aus Essen hatte sich vor einem Jahr noch für „unkaputtbar“ gehalten, war gesund, im Fitness-Studio gestärkt, hielt so etwas wie Krankheit für ein Thema, das ihn nichts anging. Dann kam im November 2021, was er zunächst für eine heftige Erkältung hielt. „Da war erst so ein starkes Brennen auf der Brust, dann wurde mir unheimlich kalt.“ Ein Corona-Schnellest fiel negativ aus.
Doch nur Stunden später kam mit starkem Husten die erste Atemnot auf, nach drei Tagen war diese so schlimm, dass er sich in die Uniklinik Essen bringen ließ, wo er binnen Stunden so sehr abbaute, dass er auf die Intensivstation verlegt und beatmet wurde, nunmehr auch positiv getestet.
Elf Tage im Koma
In die Ruhrtalklinik mit dem Lungenfachbereich des Universitätskrankenhauses verlegt, verschlechterte sich sein Zustand so dramatisch, dass er kurz darauf in ein künstliches Koma versetzt wurde. Elf Tage lang. Weitere sechs Tage dauerte es, bis er allmählich wieder aufwachte, auf Ansprache reagierte.
„In der Zeit hatte ich Wahnsinns-Albträume. Ich sah die Schwestern in ihrer Schutzkleidung mit Masken und Schilden wie Monster und empfand sie als Bedrohung.“ Als eine Ärztin ihm dann sagte: „Sie werden nicht sterben, Sie haben es geschafft“, wollte er es – immer noch an Schläuchen und Geräten hängend – erst gar nicht glauben.
Tiefe Dankbarkeit
Tiefe Dankbarkeit empfindet Markus P. für die Geduld und Zuwendung der Schwestern, die ihn allmählich zurück ins Leben geleiteten. „Noch nie ist jemand so lieb zu mir gewesen“, erzählt er rückblickend.
Und erinnert sich bewegt an seine Heimkehr zu Weihnachten, nach fünf Wochen Krankenhaus, wie er zunächst kaum aufrecht sitzen konnte, sich nur mühsam mit einem Rollator von einer Zimmerecke zur anderen bewegte. „Ich war völlig schwach und hilflos, jede Bewegung war unmenschlich anstrengend.“
Das kann auch Patienten mit einem weniger schlimmen Krankheitsverlauf so ergehen, weiß Chantal Fuchs-Bergsma zu berichten. Die Lungenärztin arbeitet seit 2019 in der Ambulanten Pneumologischen Rehabilitation in Leverkusen („APRiL“) und kennt aus ihrer beruflichen Praxis auch milde Krankheitsverläufe, die in ein monatelanges Long Covid münden.
„Jeder Fall ist anders und muss ganz individuell betrachtet werden“, so ihre Erfahrung. Aber klar ist auch, dass es Menschen mit einer Schwächung durch eine Vorerkrankung weitaus härter treffen kann, selbst wenn diese nicht direkt mit den Atemwegen zu tun hatte.
Völlig erschöpft
Kurzatmigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung, Konzentrations- und Erinnerungsprobleme, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Organkomplikationen und Muskelschwäche sind einige der bekannten Folgeerscheinungen von Covid-19-Infektionen. Im Fall von Markus P. sind es auch Nervenschädigungen infolge des langen Liegens im Krankenhaus und daheim. Alter, Konstitution und Widerstandsfähigkeit sind bei den Patienten ebenso individuell ausgeprägt wie die davongetragenen Schäden.
Deshalb sei es wichtig, dass die unterschiedlichen Experten in der Behandlung eng zusammenarbeiten, unterstreicht Fuchs-Bergsma. In St. Remigius gibt es dafür gemeinsame Fall-Konferenzen aller, die an der Behandlung beteiligt sind. Das Team ist noch überschaubar, die Patienten sind noch namentlich bekannt, das fördert die enge wie individuelle Zusammenarbeit.
Alleinstellungsmerkmal
Das Opladener Krankenhaus ist eine von nur zwei ambulanten Lungen-Reha-Einrichtungen in Deutschland und die einzige, die an einem Akutkrankenhaus angesiedelt ist. 1600 Patienten werden hier im Jahr behandelt, nach anderen schweren Lungenkrankheiten, seit zwei Jahren nun auch nach Corona-Infektionen. Hier kommen – mit zeitlicher Verzögerung nach den höchsten Infektionswellen – die Post-Covid-Patienten gerade erst an und die in Kliniken weiterhin geltenden Hygiene-Vorschriften begrenzen die Teilnehmerzahlen deutlich.
Uneingeschränkt dankbar ist Markus P. für die ihm hier gebotene Hilfe. Nach der Genehmigung einer Verlängerung durch seine Kasse werden es am Ende fünf Wochen sein, die er täglich mit der Bahn aus Essen nach Opladen kommt, um Atemmuskeltraining und Ergotherapie, Ausdauer- und Krafttraining an den Geräten im Fitnessraum, Krankengymnastik und Physiotherapie, Hirnleistungstraining am Computer sowie Inhalationen im Halb-Stunden-Takt über den Tag zu absolvieren. Ein weitaus intensiveres Programm als in jeder stationären Reha-Klinik – und mit dem im Krankenhaus so schmerzlich vermissten Familienanschluss.
Knapp zwei Drittel seiner körperlichen Leistungsfähigkeit hat Markus P. inzwischen wieder erreicht, urteilt Sportlehrer Henryk Polanski. Er steigert sich – trotz gelegentlicher Rückschläge – langsam auf dem Laufband und fühlt sich nach der Massage durch die Hände von Annette Sommer in der Physiotherapie gestärkt für weitere Übungen. Und hat bei Martina Germersdonk in der Ergotherapie gelernt, wie er mit der „Lippenbremse“, einer speziellen, verlangsamten Ausatemtechnik, besser Schuhe schnüren und Treppen steigen kann.
Aber er weiß: Sein Weg ist noch lang. „Ich will mein altes Leben zurück“, ist sein Ziel. Daran arbeitet er, will wieder in den Beruf zurück, wieder Familie und Freunde erleben. Was er bereut: Dass er sich nicht hatte impfen lassen. Was er zum ersten möglichen Zeitpunkt nun nachgeholt hat.
Nein, er sei kein Impfgegner, halte diese Verschwörungsgeschichten für gefährlichen Unsinn, sagt er. Er habe es nicht für wichtig genug gehalten, weil er sich so stark und gesund gefühlt habe.
Nun hat er sich anders erlebt. „Es ist unfassbar, wie schnell du wirklich alle Kraft verlierst.“ Und ein Erlebnis wird ihn nie verlassen: „Wenn du atmen musst und es nicht mehr kannst. Wenn du weißt, du wirst jetzt ins Koma versetzt und vielleicht wachst du nie wieder auf.“ Das habe ihn zu einem anderen Menschen gemacht: Verletzlicher, vorsichtiger – und dankbarer.