Leverkusen – Wenn „ihre Männer“ so richtig gut singen, dann liegt sie ihnen zu Füßen. Das sagt Annette Mörsberger voller Überzeugung – und muss doch lachen. Denn sie, die Leiterin des Männerchores Hitdorf, weiß ganz genau: Diese ihre Männer müssten eher vor ihr, der Dame, auf die Knie fallen. Aus Dankbarkeit.
Schließlich übernahm sie den Männerchor Hitdorf kurz vor dem Corona-Ausbruch, als die Sänger ohne jemanden dastanden, der sie leitete. Von jetzt auf gleich lag es also an ihr, diese traditionsreiche Sangestruppe irgendwie durch die Pandemiezeit zu führen. Und jetzt: Führt sie sie in die Zukunft. Wohl wissend, dass diese Aufgabe es erst recht in sich hat und alles andere als ein Zuckerschlecken werden dürfte.
Laie mit viel Idealismus
Denn erstens ist Annette Mörsberger ja keine ausgebildete Chorleiterin. Noch nicht einmal ausgebildete Musikerin. Nein: Sie ist Berufsschullehrerin mit einem Faible für Musik und Instrumente und Gesang seit Kindertagen sowie „mit viel Idealismus“, wie sie sagt.
Und zweitens hat sie sich als Laie mit den Hitdorfern ein echtes Schwergewicht der Szene ausgesucht: Im vergangenen Jahr feierte der Chor seinen sagenhaften 175. Gründungstag. „Wir sind der älteste Chor weit und breit“, betont der erste Vorsitzende Werner Rauen. Und meint mit „weit und breit“ mindestens das Einzugsgebiet des Chorverbandes Rhein-Wupper-Leverkusen.
Kurzum: Annette Mörsberger hat eine Mammutaufgabe angenommen. Auch weil dieses altersmäßige Flaggschiff der regionalen Chorlandschaft nicht erst seit gestern schwere See durchkämmen muss.
Den Hitdorfern fehlt nämlich der Nachwuchs. Und das ausgerechnet im Jahr eins nach dem Jubiläum, das jüngst endlich quasi pandemienachgefeiert werden konnte. Mit einem festlichen wie umjubelten Konzert in der Stadthalle. Und einer Rede des Kabarettisten und Ur-Hitdorfers Wilfried Schmickler, dessen Vater einst Mitglied im Chor war.
25 Aktive gibt es derzeit. Sprich: Männer, die einmal in der Woche, immer montags um 18 Uhr, die Probe in der Stadthalle besuchen und ein paar Mal im Jahr bei Konzerten auf der Bühne stehen. Sie alle sind alt. Und es gibt niemanden, der den Altersschnitt senken könnte, wie Hans Werner Rauen erklärt: Junge Menschen seien nämlich kaum zu erreichen. Man habe sich ja bereits von der Illusion verabschiedet, „Männer unter 40 zu begeistern“. Aber: Auch potenzielle Sänger in den 50ern seien nicht zu bekommen.
Keine Zeit
Woran das liegt, ist klar: Zum einen lebt so ein Chor ja auch von einer gewissen sozialen Komponente. Im besten Falle sitzt man nach den Proben noch gesellig beisammen und trinkt ein paar Bierchen und zeigt sich darüber hinaus natürlich auch regelmäßig bei Festen im Veedel. „Diese Freizeit fehlt heute vielen“, sagt Pressewart Günter Arentz.
Zum anderen, davon ist Annette Mörsberger überzeugt, „ist so ein Männerchor auch mit vielen Klischees behaftet“. Viele davon sind nicht gerade schmeichelhaft: Das seien alles seltsame Vögel, Nationalisten, politisch sehr zweifelhafte Menschen mit ihrer Traditionsreiterei und Heimatverbundenheit und alten Liedtexten. Die ganze Palette eben. „Dabei sind wir all das nicht. Wir sind ein Querschnitt des Lebens hier in Hitdorf und Menschen, die Spaß an der Gemeinschaft und dem gemeinsamen Singen haben", betont Hans Werner Rauen.
Zwei Alternativen
Insofern bleiben zur Zukunftssicherung nur zwei Alternativen: „Wir werden zum Projektchor, suchen neue Sänger erst einmal nur für eine gewisse Zeit, für ein gewisses Konzertprojekt eben – und hoffen, dass danach ein paar dabeibleiben. Oder wir werden ein gemischter Chor." Wobei das selbst der Chefin als Frau nicht wirklich zusagt, denn: „Dadurch ändert sich ja der ganze Gesang. Die Gesangsregister von Männern und Frauen sind doch vollkommen unterschiedlich.“ Wie gesagt: Die Lage ist verzwickt.
Und so bleibt wohl erstmal nur das Weitermachen wie bisher. Und die unerschütterliche Zuversicht. Immerhin hat der Männerchor ja auch die Pandemiezeit überstanden und wirkt für den einen oder anderen als wahrer Jungbrunnen: Werner Weber etwa steht kurz vor seinem 94. Geburtstag, singt seit unfassbaren 75 Jahren in diesem Chor – und ist immer noch bei jeder Probe dabei.
Zudem gehören diese Herren und ihre Leiterin nach wie vor felsenfest zur Hitdorfer Veedelsgemeinschaft. Was auch so bleiben soll. Mehr noch: „Wir wollen uns in Zukunft häufiger präsentieren. Bei allen möglichen Anlässen", sagt Hans Werner Rauen. Was nichts anderes bedeutet als: Rausgehen. Und zeigen: „Hier sind wir! Kommt zu uns! Und: Habt Spaß!“ Auch nach 175 Jahren geht das noch.