Eine Videoüberwachung ist an den überdachten Kästen installiert. „Trau dich und öffne mich“ steht auf der Tür.
„Trau dich und öffne mich“Warum viele bei diesem Häuschen in Leverkusen stehenbleiben
„Ich hatte Angst, dass jemand einen Böller durchs Herzchen wirft“. Marie Tenzer, 28, meint das in Herzform gesägte Loch, das die Tür ihres Selbstbedienungshäuschens ziert. Sie hatte Sorge, dass jemand in der Silvesternacht 2023 mit einem einzigen Feuerwerkskörper all ihre Werke zerstört. Doch: Ihr Häuschen blieb heil, die Zeit um die Jahreswende entpuppte sich als Verkaufsrekord.
Marie Tenzer – kurz Mary – betreibt zwei Selbstbedienungsläden. Einer steht in der Waldsiedlung in Leverkusen-Schlebusch (seit Dezember 2023), der andere in Wermelskirchen-Dabringhausen (seit April 2024). Die Idee zu „Plottloft by Mary“ kam ihr im Urlaub in Holland, wo Selbstbedienungsläden laut ihr deutlich häufiger anzufinden seien als hierzulande.
„Plottloft by Mary“: Drei bis vier Anfragen pro Woche
In der Schulzeit bediente die gelernte Automobilkauffrau ihre erste Nähmaschine, 2020 folgte dann der Plotter, der heute mit namensgebend für ihr Geschäft ist. Plotter sind digitale Schneidemaschinen, die optisch Druckern ähneln, mit denen man verschiedenstes Material schneiden, prägen, zeichnen, prickeln oder auch kratzen kann.
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Mittlerweile bearbeitet Tenzer drei bis vier Anfragen für persönliche Anfertigungen pro Woche. Das können Kerzen, T-Shirts oder Schlüsselanhänger sein. Zumeist kommen die Anfragen von Menschen, die vor einem der Läden stehengeblieben sind und sich dann den Weg über ihren auf dem Häuschen befindlichen Instagram-Account zu ihrer WhatsApp-Business-Nummer vorarbeiten.
Manchmal steht sie bis 4 Uhr nachts in ihrem Atelier, vergisst alles um sich herum, erzählt Mary. Vor allem, wie sie sagt, „wenn Saison ist“. „Saison“ ist in ihrer – in Leverkusen und Umgebung noch sehr kleinen – Branche meistens mit besonderen Anlässen verknüpft: Muttertag, Neujahr, Einschulung, Kita-Verabschiedung. 20 Stunden in der Woche wendet die gebürtige Dhünnerin (Ortsteil von Wermelskirchen) für ihr Kleingewerbe auf.
So funktionieren die Selbstbedienungshäuschen
Deko, Mitbringsel, Geschenke – alles zum Mitnehmen. Und auf Vertrauensbasis. Naja, fast. Eine kleine Videokamera überwacht das Geschehen vor dem Häuschen. Jedes Werk ist mit einem Preisschild versehen. Wer fündig wird, legt das Bargeld in die kleine, verschlossene Kasse im Häuschen.
Nicht umsonst steht auf der Tür des hoch gebauten Lädchens „Trau dich & öffne mich“. Einmal blieb vor dem Lädchen eine ältere Dame stehen, wie sich Tenzer erinnert. „Nee, da ist eine Kamera drin, das will ich nicht“, soll diese zu ihrem Begleiter gesagt haben und weitergegangen sein. Tenzer hätte der Dame am liebsten zugerufen: „Du gehst doch auch in den videoüberwachten Aldi!“ Offenbar erscheint manchem Kunden und mancher Kundin ein Selbstbedienungsladen intimer als der Discounter-Besuch.
Am Anfang habe Tenzer noch recht oft in die Videoaufnahmen geschaut, was sich in ihrem Häuschen am Tag so tat. „Mittlerweile gucke ich nur noch die Aufnahmen nach, wenn etwas fehlt und nicht mit dem Geldbetrag in der Kasse übereinstimmt“. Zwei Diebstähle hätte es bislang insgesamt gegeben. „Diebstahl muss man mit einkalkulieren“, sagt Tenzer. Der Warenwert in den beiden Häuschen belaufe sich jeweils auf mehrere hundert Euro.
Wer in einem der Selbstbedienungshäuschen ohne Bezahlung Ware entnimmt, begeht kein Kavaliersdelikt, sondern Ladendiebstahl. Aber: Viele Menschen aber würden sich über Tenzers Produkte so freuen, dass sie „auch mal einen Euro mehr reintun“. So halte sich das mit den diebstahlbedingten Verlusten die Waage.
Leverkusen: Baustelle nicht zwingend schlecht fürs Geschäft
Die Humperdinckstraße in Schlebusch wird seit September vergangenen Jahres von einer Baustelle flankiert, die sich mit den Monaten immer weiter durch die Straße bewegt. Tenzers Selbstbedienungshäuschen steht an einer Kreuzung, die Baustelle schneidet zurzeit drei Zufahrtswege zu ihrem Geschäft ab.
Böse ist sie deswegen aber niemandem, im Gegenteil. Die Bauarbeiter gehören laut Tenzer nicht nur zu ihren Kunden und ließen sich Sticker für ihre Baufahrzeuge anfertigen, sie machen auch viel Werbung bei Passanten, die an ihrer Baustelle vorbeilaufen.
Auf Nachfrage, ob sie sich auch vorstellen könnte, „Plottloft by Mary“ in Vollzeit zu widmen, antwortet Tenzer: „Wenn dann im größeren Stil“. Sie sei gerade an dem Punkt „Hop oder Top“, überlege sich zurzeit ernsthaft, ob sie sich den Sprung in die Selbstständigkeit vollends zutraut. Bis April dieses Jahres war sie bei einer IT-Firma tätig, ist zurzeit auf Jobsuche.
An ihrem Kundenstamm soll es nicht scheitern. Manche von ihnen reservieren einzelne Werke direkt per Facebook-Kommentar, wenn Tenzer dort berichtet, eines ihrer Häuschen sei „frisch aufgefüllt“. Manche fahren auch von Leverkusen nach Dabringhausen, weil sie gelesen hätten, dort gäbe es noch mehr Auswahl.
Für mehr Abwechslung in ihrem Selbstbedienungslädchen möchte Tenzer kleinen Handmade-Shops von anderen künftig ein Fach freiräumen, sodass diese auch einen Raum zum Verkauf und zur Ausstellung ihrer Ware haben.
Einen Tipp kann sie allen Neueinsteigenden aus Erfahrung auch mitgeben: „Keine Kerzen und keine Seife im Sommer“.
Die Selbstbedienungshäuschen befinden sich in der Humperdinckstraße in Leverkusen-Schlebusch und in der Weststraße in Wermelskirchen-Dabringhausen.