AboAbonnieren

„Massive Anwohner-Beschwerden“Polizei machtlos gegen Motorradlärm in der Region

Lesezeit 5 Minuten
Motorradfahrer

Jetzt, im Frühling, sind die Mittelgebirgs-Landschaften der Eifel oder des Bergischen Landes wieder voll von Zweirad-Fans aller Art. (Symbolbild)

Köln – Sonntags, wenn es warm und sonnig ist, ergreifen Marliese und Werner Niedenhof regelmäßig die Flucht. Dann machen sie einen Ausflug nach Köln, „da ist es leiser“. Das Ehepaar wohnt direkt an der Hauptstraße in Odenthal-Blecher, einem kleinen Ort im Bergischen Land. Unterhalb ihres Hauses schlängelt sich die Straße in atemberaubenden Haarnadelkurven in Richtung Altenberger Dom hinab.

Das Problem für die Niedenhofs: Seit einigen Jahren hat eine Gruppe von Motorradfahrern die etwa zwei Kilometer lange Strecke für sich entdeckt. Wenn es warm und sonnig ist, würden rund fünf Biker im Pulk immer wieder hin und her fahren, sagt Marliese Niedenhof: „Die drehen richtig auf.“ Sie führen zwar nicht an ihrem Haus vorbei, sondern drehten kurz vor dem Ortseingang ab, um dann wieder hinab ins Tal zu knattern. Trotzdem sei der Lärm der außergewöhnlich lauten Motoren gut hörbar und nur schwer erträglich. „Wir haben eine Terrasse, die wir aber samstags und sonntags nicht nutzen, weil es zu laut ist“, sagt die 70-Jährige.

Höhere Unfallzahlen

Jetzt, im Frühling, sind die Mittelgebirgs-Landschaften der Eifel oder des Bergischen Landes wieder voll von Zweirad-Fans aller Art. Die Polizei im Rheinisch-Bergischen Kreis spricht nicht nur von steigenden Unfallzahlen mit Motorradfahrern, sondern auch von „massiven Anwohner-Beschwerden“ an den Ausflugs-Routen.

„Es gibt genug schwarze Schafe, die ihre Fahrzeuge so umbauen, dass es infernalisch laut wird“, so Polizeisprecher Richard Barz. Andere haben das Nachsehen: „90 Prozent der Lärmbeschwerden sind berechtigt“, sagt Dietrich Kühner, öffentlich bestellter Sachverständiger für Akustik und Verkehrslärm: „Zehn Prozent erklären sich – insbesondere bei älteren Menschen – durch ein verändertes Gehör.“

Tüv und Polizei maßen kürzlich in Wermelskirchen den Schall von Motorrädern, viel tun können sie gegen Lärm jedoch nicht.

Bernd Luchtenberg, Vorsitzender des Landesverbands Rhein-Ruhr im Bundesverband der Motorrad-Fahrer, geht davon aus, dass etwa fünf Prozent der bundesweit rund vier Millionen zugelassenen Motorräder zu laut sind und ihre Fahrer „die Pistensau“ geben. Es gelte, diese „schwarzen Schafe“ aus dem Verkehr zu ziehen. Doch die Polizei kann in vielen Fällen nur wenig ausrichten.

Grenzwerte nur auf dem Papier

Die Probleme sind politischer Natur und fangen meist bei der Erstzulassung einer Motorrad-Baureihe an. Gesetzlich auf 78 Dezibel (dB (A)) beschränkt ist bei einem neuen Motorrad-Typ nur der Schallpegel, der während der Fahrt in einem bestimmten Geschwindigkeitsbereich entsteht (siehe Interview).

Laut Ralf Brünig vom Verkehrsdienst der Polizei des Rheinisch-Bergischen Kreises wenden dann einige Hersteller einen Trick an, mit dem die Grenzwerte auf dem Papier eingehalten werden, in der Realität aber nicht. Sie setzten elektronisch gesteuerte Systeme ein, die im Auspuff eine Klappe schließen und so den Sound abdämpfen. „Die Motorräder merken auch, wenn sie sich im Prüfmodus befinden“, so Brünig. Auch dann dämpft die Klappe das Motorradgeräusch. Brünig nennt dies Manipulation und „ein bisschen Betrug“. Andere Experten ziehen Parallelen mit den Abgas-Manipulationen der Auto-Industrie.

Polizei kann kaum durchgreifen

Die Lobby der Motorradproduzenten weist den Vorwurf der Manipulation zurück. Die Klappensysteme seien völlig legal und funktionierten eben auch im Prüfmodus der Erstzulassung, so Achim Marten, Sprecher des Industrie-Verbands Motorrad Deutschland. Seit 2017 seien die Regeln für die Typenzulassung jedoch verschärft worden: „Die Vorbeifahrt muss so stattfinden, dass die Klappe geöffnet bleibt.“ Die Prüffahrten seien „mehr an die Realitäten angepasst“ worden.

Die Polizei kann die Fahrgeräusche allerdings in den meisten Fällen gar nicht kontrollieren. Dazu fehlten die technischen Voraussetzungen, bestätigt Ralf Brünig. In der Regel werde nur der in den Papieren eingetragene Grenzwert für das Standgeräusch überprüft. „Das Standgeräusch kann jedoch höher sein als das Fahrgeräusch“, so Brünig. Und zwar ganz legal. Denn beim Standgeräusch gebe es bei der Typenzulassung keine gesetzlichen Grenzwerte. „Hier wird dann von den Herstellern auch nicht gemogelt“, sagt Holger Siegel von der Arbeitsgemeinschaft Motorradlärm im BUND.

Strecken-Sperrungen als Sanktion

Die Folge ist, dass bei Polizeikontrollen ein Motorrad im Stand regelkonform einen Schallpegel von 95 Dezibel und mehr entwickeln kann – ungefähr so viel wie eine Motorsäge. Dazu kommt eine Messtoleranz von fünf Dezibel, um die der Grenzwert überschritten werden darf, ohne dass Strafen drohen. „Fünf dB (A) mehr liegen in der Wahrnehmung knapp unterhalb der Verdoppelung der Lautheit“, sagt Dietrich Kühner.

„Uns sind in gewissen Bereichen die Hände gebunden“, so Ralf Brünig von der Polizei: „Das ist frustrierend.“ Auch Bernd Luchtenberg fordert eine Verschärfung der Zulassungs-Bedingungen. Dies sei im Interesse aller angepasst fahrenden Biker. Sonst drohten Repressionen wie Strecken-Sperrungen für Motorradfahrer, unter denen dann alle Biker zu leiden hätten.

Hinzu kommt, dass seit der Bußgeldreform vor drei Jahren keine Punkte in Flensburg mehr zu erwarten hat, wer zu laut mit seinem Motorrad unterwegs ist. Auch der Fahrer der Harley Davidson, der bei einer Schallmessung der Polizei in Wermelskirchen kürzlich 109 Dezibel erreichte und damit (nur) fünf Prozent über dem Toleranzwert lag, muss lediglich ein Bußgeld von 90 Euro plus 25 Euro Verwaltungsgebühr sowie 143 Euro für das Tüv-Gutachten zahlen. Der Besitzer hatte den Mittel-Schalldämpfer gegen ein illegales Exemplar ausgetauscht. Die Maschine erreichte in etwa den Schallpegel eines Presslufthammers. Die Polizei zog die Harley vorübergehend aus dem Verkehr.

Probleme in Euskirchen

Die Polizei Euskirchen hat es zwar auch mit extrem lauten Maschinen zu tun. Vor allem aber gebe es Probleme mit Rasern, sagt Sprecher Norbert Hardt. Unfallgefährdet seien vor allem junge Männer zwischen 18 und 26 Jahren oder Motorradfahrer, die nach langer Abstinenz wieder in den Sattel steigen.

Die Strecken Richtung Nürburgring würden auch gerne von Motorradfahrern aus Holland genutzt, die zum Teil mit „extremen Auspuffanlagen“ und überhöhter Geschwindigkeit fahren, so Hardt. „Gerade die holländischen Motorradfahrer wissen, dass sie hier zum Beispiel auf den Autobahnen mehr Freiheiten haben als in der Heimat“, sagt Hardt: „Das wird ihnen manchmal zum Verhängnis.“ (cht)