NRW – Wenn Pauline Neumann zur Arbeit kommt, dann hat sie meist mehr zu tun, als sie schaffen kann. Neumann, die eigentlich anders heißt, ist Lehrerin an einer Kölner Gesamtschule. Eine Klasse, 30 Kinder, dazu Kinder mit besonderem Förderbedarf und Kinder aus Flüchtlingsfamilien. „Eigentlich bräuchte ich eine zweite Kollegin in der Klasse“, sagt sie und lacht ironisch, weil es dazu wohl sobald nicht kommen wird. Eher muss sie viele Vertretungsstunden schieben, wenn Kollegen erkranken. Und die Situation wird nicht besser: „Wir bekommen kein Fachpersonal mehr, der Lehrermarkt ist wie leer gefegt.“
Wer mit Experten spricht, merkt schnell, dass es an allen Ecken und Enden brennt. Mal meldet das Schulamt Duisburg, dass sich auf 85 Stellen nur 19 Bewerber gemeldet hätten. Mal hört man von einer Kölner Schule, in der neun Monate lang der Mathematik-Unterricht ausfällt. Der Vorsitzende der Kölner Schulpflegschaft, Reinhard Goss, kann Geschichten erzählen von Schulen, die in Containern auf dem Hof unterrichten. Von Lehrern, denen ein Klassenzimmer fehlt und anderen, die keinen Raum haben, um sich mit Eltern zu besprechen. „Acht bis zehn Prozent des Unterrichts fallen aus“, schätzt Goss.
Viele Studenten werden nicht angenommen
Selbst im Schulministerium spricht man von „Engpässen“ und Hunderten unbesetzten Stellen allein im Grundschulbereich. In Düsseldorf ist die Not offenbar mittlerweile so groß, dass man das Seiteneinsteiger-Programm ausbauen will und eine Werbekampagne plant, um Menschen für den Lehrer-Beruf zu gewinnen. Anfang des Jahres hatte die damalige Schulministerin Sylvia Löhrmann sogar erwogen, pensionierte Lehrer über den Ruhestand hinaus zu verpflichten. „Das sind alles nur Mosaiksteinchen, die vielleicht langfristig zum Tragen kommen“, bewertet Michael Schulte, Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW, das Maßnahmenpaket.
Warum setzt das Land aber nicht auf die reguläre Ausbildung und baut das Lehramtsstudium aus? Bedarf wäre offenbar vorhanden. So haben sich allein für das kommende Wintersemester 13.000 Bewerber für einen Lehramtsplatz an der Kölner Universität beworben. Die meisten werden eine Absage erhalten. So wie der Sohn von Pauline Neumann, der gerne Deutsch und Englisch auf Lehramt studiert hätte. Nicht anders sieht das an anderen Hochschulen im Land aus. An der Universität Paderborn haben sich für 130 Studienplätze mehr als 2100 junge Menschen beworben. Udo Beckmann, der Vorsitzende des Verbandes Erziehung und Bildung (VBE), plädiert nun für eine Ausweitung der Studienkapazitäten im Bereich Lehramt. „Die pädagogischen Aufgaben wachsen immer weiter. Wenn man die Inklusion in NRW ernst nimmt, fehlen derzeit bis zu 7000 Lehrer.“
„Zehntausende Lehrer und Klassenräume fehlen“
Die Hochschulen arbeiten allerdings an der Kapazitätsgrenze. „Wir platzen aus allen Nähten“, sagte Merle Hettesheimer vom Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Köln. Mehr als die derzeit 12.000 Studenten im Lehramtsbereich könne die Kölner Hochschule nicht betreuen. Dazu benötige man mehr Personal, mehr Räume und vor allem mehr Geld. Andreas Archut, Sprecher der Universität Bonn, sieht das genau so.
Nach Angaben des Wissenschaftsministeriums steckt das Land jährlich 95 Millionen Euro in die Ausbildung von Lehrern. Seit 2007 ist die Zahl der Lehramtsstudenten denn auch von 51 000 auf 80 000 angestiegen. Das Schulministerium teilt mit, dass in den vergangenen zehn Jahren im Durchschnitt 7100 Lehrer eingestellt worden seien. Dennoch könnte sich die Lage künftig verschärfen, vermuten die Autoren der Bertelsmann-Stiftung, die von 8,3 Millionen Kindern ausgehen, die 2025 deutsche Schulen besuchen werden. Die Kultusministerkonferenz geht bislang von nur 7,2 Millionen Mädchen und Jungen aus. „Es kommen erhebliche Investitionen auf die Bundesländer zu, weil Zehntausende Lehrer und Klassenräume fehlen“, so die Autoren.
Das sieht VBE-Chef Beckmann ganz ähnlich: „Wenn Bertelsmann recht behält, fehlen uns in NRW 11.000 bis 12.000 Lehrer.“ Beckmann schlägt vor, nicht nur die Seiteneinsteiger besser pädagogisch zu schulen, sondern auch den Lehramtsstudenten mehr Anreize zu geben, später einmal Grundschüler zu unterrichten. „Wir müssen zusehen, dass wir die Gehälter von Grundschul- und Gymnasiallehrern endlich angleichen.“ Zwischen beiden Jobs lägen 500 Euro auf dem Lohnzettel.