Oberberg – Die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur in der Union hat Dr. Carsten Brodesser nicht nur über die Medien verfolgt. Auch in seinem E-Mail-Postfach, so der Lindlarer Bundestagsabgeordnete und oberbergische CDU-Vorsitzende, habe der Wettlauf zwischen NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und seinem bayerischen Kollegen Markus Söder (CSU) eine große Rolle gespielt.
„Mindestens zehnmal stand da sinngemäß: Wenn Ihr Armin Laschet aufstellt, wähle ich im September auf keinen Fall die CDU.“ Für Brodesser ein Indiz, wie intensiv die Debatte auch in Oberbergs CDU geführt wird. „Schon bei der Wahl des Parteivorsitzenden im Januar gab es hier viele, die nicht für Armin Laschet, sondern für Friedrich Merz waren“, erinnert sich Oberbergs CDU-Vorsitzender. Ähnlich schwierig sei der Stand von Laschet nun in der aktuellen Debatte an der Basis.
Zufrieden als Fraktionsvorsitzender
Wenig begeistert von Söders Ja zeigte sich am Sonntagabend auf Nachfrage der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Bodo Löttgen. Der Nümbrechter, als Generalsekretär der Landespartei bereits Architekt von Laschets NRW-Wahlsieg 2017, zeigte sich dennoch überzeugt von dessen Kandidatur. Zu eigenen Ambitionen nach einem möglichen Wechsel Laschets nach Berlin wollte er sich nicht äußern. Er sagte nur: „Ich bin Fraktionsvorsitzender im Landtag. Das ist vielleicht das am meisten unterschätzte Amt in Deutschland.“ (kmm)
Dabei sagt Brodesser, der ausdrücklich betont, dass er Armin Laschet unterstützt, dass es selbstverständlich sei, wenn der Kandidat werde. „Der CDU-Vorsitzende hat nun einmal quasi das natürliche Recht dazu.“ Dennoch spürt der Lindlarer nicht nur zu Hause, sondern auch in Berlin ein gewisses Unbehagen – auch in der Fraktion.
Grund seien vor allem Laschets schlechte Umfragewerte. Abgeordnete aus umkämpfteren Wahlkreisen als dem in Oberberg würden da schon nervös. Brodesser: „Die sagen hinter verschlossenen Türen ganz unverhohlen: Wenn wir mit Laschet antreten, bin ich im Herbst nicht mehr hier.“
Söder bescheinigt Brodesser mit seiner angekündigten Kandidatur für den Fall, dass die CDU will, einen Coup: „Damit kann er nichts verlieren.“ Niemand könne nach der Wahl behaupten, Söder sei nicht loyal gewesen: „Aber es kann auch niemand sagen, er hätte sich nicht zur Verfügung gestellt.“
Unabhängig von der Personalfrage ist Brodesser mit Blick auf die Wahl vor allem aber besorgt über das Bild, das die Politik insgesamt in der Corona-Krise gerade abgebe. „Wir erleben ständig Entscheidungen, die von politischer Taktik geprägt sind anstatt von den Notwendigkeiten der Pandemiebekämpfung – und das unabhängig vom Parteibuch der Verantwortlichen.“
Dabei hätten die Menschen „Sehnsucht nach echter Führung“. In solchen Tagen seien es auch über Parteigrenzen hinweg Persönlichkeiten wie der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), die man vermisse: „Menschen, die in der Krise Entscheidungen in der Sache treffen, weil sie sie für richtig halten, ohne darauf zu achten, welche politischen Folgen das für sie hat.“