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FreilichtmuseumSo lebten die Frauen in Oberberg vor 100 Jahren

Lesezeit 4 Minuten
Schwarzweiß-Foto von jungen Frauen mit Haube und Schürze in einer Küche.

Die Mädchenklasse der Lindlarer Winterschule bot den jungen Landfrauen immerhin eine Berufsausbildung.  

Anlässlich des Weltfrauentags warf eine Führung durch das Freilichtmuseum einen „weiblichen Blick“ auf das Landleben vor 100 Jahren. Petra Dittmar erzählte von traurigen Schicksale und erstaunlichen Erfolgsgeschichten.

Der erste Halt des Rundgangs ist die alte Schmiede aus Lindlar-Linde. „Welches Bild haben wir vor Augen, wenn wir an die hier arbeitenden Menschen denken?“, fragt Petra Dittmar. „Kräftige Männer!“ Das sei aber eben nur das halbe Bild. Bei den Familien Pohl und später Anhalt, erläutert die wissenschaftliche Leiterin des Freilichtmuseums, standen die Frauen zwar nicht am Amboss, haben aber in anderer Weise erheblich zum Geschäftserfolg beigetragen.

„Der weibliche Blick“ ist der Titel der Führung über das Museumsgelände, die anlässlich des Internationalen Frauentags einen Eindruck vom Alltag der bergischen Bäuerinnen und Handwerkerinnen vor 100 Jahren gibt. Eingangs und später in der neuen Ausstellung, die eines der beiden Kleinstwohnhäuser aus Hilden beherbergt, geht es auch um die große Politik, um den Kampf um das Frauenwahlrecht und um die wichtige Rolle von Pionierinnen wie Helene Stöcker in Elberfeld oder Marie Juchacz in Köln für die frühe Frauenbewegung.

Wenn wir heute einen heißen Sommer haben, stöhnen wir viel. Vor 150 Jahren wussten die Frauen nicht, wie sie die Familie durchbringen, wenn wegen der Dürre die Ernte verloren ging.
Petra Dittmar, LVR-Freilichtmuseum Lindlar

Im Vordergrund stehen an diesem Tag aber die oberbergischen Frauen, die einst in den im Museum gezeigten Häusern lebten. Petra Dittmar betont, wie weit deren Alltag von einer „Landlustidylle“ entfernt und von einem harten Existenzkampf geprägt war. „Wenn wir heute einen heißen Sommer haben, stöhnen wir viel. Vor 150 Jahren wussten die Frauen nicht, wie sie die Familie durchbringen, wenn wegen der Dürre die Ernte verloren ging.“  

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Eine Frau bedient einen Webstuhl.

Im Bandweberhaus war schon damals eine Frau die Chefin. Petra Dittmar führt den Webstuhl vor.

Bis heute sei die rechtliche und wirtschaftliche Situation von Frauen, die in der Landwirtschaft als „mitarbeitende Angehörige“ geführt werden, schwierig, etwa im Scheidungsfall. Dittmar erzählt aber auch Erfolgsgeschichten wie die von den oben erwähnten Frauen der Schmiedefamilien Pohl und Anhalt.

Es gab auch Erfolgsgeschichten. Diese bewiesen Geschäftstüchtigkeit und boten den Kunden, die in Linde während des Beschlagens auf ihre Pferde warteten, eine Konsumgelegenheit in der gegenüberliegenden Gaststätte nebst Einkaufsladen. Später wurde eine zweite Schmiede in Wipperfürth eröffnet.

Bergische Männer mit gepflegten Händen

Das Gewerbe im Bandweberhaus aus Ronsdorf musste Maria Thiemann   übernehmen, als ihr Vater einen Schlaganfall erlitt. Frauen waren in dieser Heimarbeitsbranche eigentlich mit Zuarbeit beschäftigt und kümmerten sich sonst um den Gemüsegarten – die Männer durften wegen des Umgangs mit empfindlicher Seide keine rissigen Hände haben. Thiemann betrieb ihren Webstuhl bis in die 1970er Jahre. Am Ende litt sie unter Schwerhörigkeit. Kein Wunder bei einem Lärm, den Petra Dittmar schon bei ihrer kurzen Vorführung erzeugte.

Auch die Hermesdorfer Schule ist mit einem Frauenschicksal verbunden, nämlich von Clara Wirths, die dort als Lehrerin tätig war, bis sie den Beruf wegen der miserablen Bezahlung aufgab. Später verlor sie mehrere Kinder an die Diphterie, die Gesundheitsversorgung war   Ende des 19. Jahrhundert katastrophal. Die „Restauration Fritz Römer“ aus Wuppertal-Sandfeld wurde bis 1903 von dessen Ehefrau Wilhelmine Küpper geführt. Sicher nicht ohne Grund hatten deren Eltern das Haus nicht dem Bruder überschrieben. Obwohl schon 32 Jahre alt, konnte die Gastwirtin einen zwölf Jahre jüngeren Gardeoffizier für sich gewinnen, der auch noch ein stattliches Erbe mitbrachte, mit dem die Gaststätte modernisiert wurde.

Am Ende bekommen die Teilnehmerinnen der Führung einen exklusiven Blick in die Ausstellung „Land – Frauen – Arbeit“, die Mitte April in einem der Kleinstwohnhäuser aus Hilden eröffnet werden soll. Petra Dittmar erzählt von Carola Lob, die es bis zur Prokuristin im Lindlarer Steinbruch brachte, und von Luise Krämer. Beide Frauen saßen nach dem Ersten Weltkrieg für die Zentrumspartei im Gemeinderat.

Dittmar zeigt Fotos von Oberbergerinnen, die Mitte der 1920er Jahre Bubikopf und kniekurze Röcke tragen, und berichtet von der ersten Mädchenklasse der Lindlarer Winterschule. „Ich würde nicht von Emanzipation sprechen, was die jungen Frauen in diesem konservativen ländlichen Umfeld erlebten“, sagt die Wissenschaftlerin. „Aber sie bekamen hier eine qualifizierte Ausbildung und Gelegenheit zum Netzwerken und damit Einblicke in das Leben außerhalb des eigenen Hofs.“

Viel hat sich seitdem geändert. Aber noch immer   werden Frauen beispielsweise schlechter bezahlt. Einen Tag vor dem Weltfrauentag wurde der Equal-Pay-Day begangen, merkt Petra Dittmar an.   „Der müsste eigentlich schon längst überflüssig sein.“


Neue Ausstellung über die medizinische Versorgung

Das LVR-Freilichtmuseum ist seit dem 1. März wieder dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Das Fest zum Saisonstart steigt am Sonntag, 30. März. Zwischen 10 und 18 Uhr gibt es Handwerksvorführungen, Aktionen und ein Mitmachprogramm für Kinder.

Im Ausstellungsraum im Hof Peters soll im kommenden Jahr eine Schau zum Thema „Medizinische Versorgung auf dem Land“ vor 100 Jahren eröffnet werden. Wie Petra Dittmar, Abteilungsleiterin Wissenschaftliche Dienste, berichtet, sind die dafür erforderlichen Forschungen noch nicht abgeschlossen. Sie könne aber schon versprechen, dass das Museum eine ganze Reihe von interessanten Exponaten aus seiner Sammlung präsentieren wird. Die Objekte stammen unter anderem aus der Drogerie Stöcker in Hückeswagen und der Praxis Luyken aus Gummersbach. Besonders beleuchtet wird der Beitrag von Frauen für das ländliche Gesundheitswesen, in dem Hebammen und Gemeindeschwestern eine zentrale Rolle spielten.