- Schon Mitte der 1970er Jahre herrschte Personalnot in der Pflege, daran hat sich bis heute wenig geändert, sagt die scheidende Chefin.
- Ehemann und Sohn tolerierten all die Jahre, dass Kriesten auch abends und an den Wochenenden für die Pflege arbeitete.
- Auch im Ruhestand wird sie nicht von dem Thema lassen.
Gummersbach – Ihr ganzes Berufsleben lang hat sich Ursula Kriesten dafür eingesetzt, dass es Kranken und Alten besser geht. Als Krankenschwester hat sie vor mehr als vier Jahrzehnten begonnen, als Chefin der bundesweit renommierten „Akademie für Gesundheitswirtschaft und Senioren“ (Agewis) wechselt sie jetzt in den passiven Teil ihrer Altersteilzeit.
Dazwischen liegen 46 Jahre, in denen sie viel hat bewegen können für eine bessere Ausbildung und eine bessere Qualität in den Pflegeberufen. Deren Angehörige erleben in der Corona-Pandemie in Bevölkerung und Politik gerade eine ungewohnte Wertschätzung.
Sie geht ohne Verbitterung
Aber so schön der abendliche Beifall von Balkonen auch war: „Die Milliarden für die Lufthansa wären in der Pflege besser angelegt, davon hätten alle Menschen etwas gehabt“, sagt die 61-Jährige – ohne Verbitterung, aber doch in der Gewissheit, dass es immer noch viel zu verbessern gibt. Schon Mitte der 1970er Jahre herrschte Personalnot in der Pflege, daran hat sich bis heute wenig geändert.
Die Agewis könnte viel mehr Pflegekräfte ausbilden, Bewerber gebe es genug, sagt Kriesten. Allein, sie darf es nicht, die Zahl der Teilnehmer ist gedeckelt. Unter Kriestens Leitung wurde das Altenpflegeseminar der Kreisvolkshochschule in Gummersbach-Niederseßmar, dessen Leitung sie 1995 übernommen hatte, von 2004 bis 2007 Modellschule für ein bundeseinheitliches Pflegegesetz.
Sie könnte ein Buch über die zahllosen Sitzungenmit Politikern schreiben
Seit sie begann, sich landes- und auch bundesweit für Qualitätsverbesserungen in der Pflege zu engagieren, hat Kriesten mit allen Bundesgesundheitsministerinnen und -ministern zu tun gehabt. Schmidt, Gröhe, von der Leyen, Bahr, Schwesig, Spahn und, und, und . . . Sie könnte ein Buch über die zahllosen Sitzungen schreiben und darüber, wie die einzelnen Ressortchefs dem Thema ihren Stempel aufzudrücken versuchten.
Wie an der Qualität der Pflege, so arbeitete Kriesten zeitlebens auch an ihren eigenen Qualifikationen: Der Ausbildung zur Krankenschwester mit Arbeitsstellen auf der Station und im OP-Saal folgte die Ausbildung zur Lehrerin für Gesundheitsberufe. Sie holte das Abitur nach, studierte, machte erst den Bachelor, dann den Masterabschluss in Betriebswirtschaft und promovierte schließlich – alles neben Beruf und Familie.
Ursula Kriesten geht auch im Urlaub in Kliniken und Pflegeeinrichtungen
Ehemann und Sohn tolerierten all die Jahre, dass Kriesten auch abends und an den Wochenenden für die Pflege arbeitete. Sogar in den Ferien. Wohin die Familie auch reist, marschiert Ursula Kriesten bis heute am Urlaubsort einfach in Kliniken und Pflegeeinrichtungen, um sich dort umzusehen.
Altenpflege, sagt Kriesten, wird für die Menschen erst zum Thema, „wenn es die eigene Mutter betrifft“. Dass das Thema inzwischen in Oberbergs Politik angekommen ist, kann sich Kriesten als Verdienst anrechnen. Ganz wesentlich hat dazu die Agewis beigetragen, von deren Gründung sie 2009 die Kreishausspitze überzeugen konnte.
Kriesten war auch am neuen Pflegeberufegesetz beteiligt
Trägerunabhängig und mit den aktuellsten Lehrinhalten wird hier der Nachwuchs für die Altenpflege ausgebildet. Im Januar 2020 trat nach mehrjährigen Beratungen, an denen natürlich auch Kriesten beteiligt war, das neue Pflegeberufegesetz in Kraft, die ersten beiden Ausbildungskurse nach dem neuen Reglement laufen (trotz aller Kritik Kriestens an der in weiten Teilen undifferenzierten Ausbildung von Kranken- und Altenpflegern) bereits seit einigen Wochen.
Eine Vielzahl von Aus- und Fortbildungen, anerkannte Studienabschlüsse, eine eigene Rettungsfachschule – die Arbeit der Agewis kommt vor allem der Region zugute, wirkt aber weit darüber hinaus.
Vielleicht wird sie auch anderweitig von sich hören lassen
Auch im Ruhestand wird Dr. Ursula Kriesten nicht von der Pflege lassen. Sie will weiterhin schreiben und wissenschaftlich arbeiten, und sie bleibt Bundesvorsitzende des Berufsverbands der Altenpflegeschulen Deutschlands. Vielleicht wird sie auch anderweitig von sich hören lassen, denn in ihrer Freizeit singt sie und spielt Gitarre.
2011 bezog die Agewis auf dem Steinmüllergelände ihr modernes Schulungszentrum. Von der Terrasse aus kann Ursula Kriesten an ihren letzten Arbeitstagen verfolgen, wie gleich gegenüber der dringend benötigte Erweiterungsbau entsteht. Wäre er fristgerecht fertig geworden, hätte sie ihn noch mit einweihen können. So aber weiß sie nicht einmal, ob sie dazu eingeladen wird.
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Wer ihr nachfolgt, ist auch noch nicht klar. Obwohl man beim Kreis seit zwei Jahren von ihrer Altersteilzeit wisse, sei ihre Stelle noch nicht wieder ausgeschrieben worden. Das könnte man auch als Zeichen fehlender Wertschätzung deuten, aber Kriestens Vorgesetzter, Kreisdirektor und Agewis-Betriebsleiter Klaus Grootens, sieht darin kein Problem: Vorläufig würden Kriestens Aufgaben auf ihr Team verteilt: „Die schaffen das.“