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Im InterviewDie Bundestagsabgeordnete Sabine Grützmacher kämpft gegen den Krebs

Lesezeit 5 Minuten
Sabine Grützmacher trägt eine Mütze auf dem Kopf. In den Händen hält sie ein Magazin mit dem Titel „Natur in NRW“.

Bei Sabine Grützmacher wurde im vergangenen Jahr eine Krebserkrankung diagnostiziert.

Im vergangenen Oktober wurde bei Sabine Grützmacher, Oberbergs Bundestagsabgeordnete der Grünen, Brustkrebs diagnostiziert.

Sabine Grützmacher (37) ist seit 2021 Bundestagsabgeordnete der Grünen für den Oberbergischen Kreis. Im vergangenen Oktober wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Reiner Thies sprach mit der Gummersbacher Diplom-Sozialpädagogin über den Kampf gegen die Krankheit.

Wie geht es Ihnen?

Sabine Grützmacher: Ich habe gerade eine Chemopause. Ich fühle mich nicht gerade so, dass ich Bäume ausreißen könnte, aber ich könnte ein paar Grashalme zupfen. Ich bewerte meinen Zustand inzwischen ganz anders. Ich habe durch die Therapie taube Finger, das hätte mich früher wahnsinnig gemacht. Jetzt weiß ich, dass ich mich viel schlechter fühlen könnte. In dieser Woche steht die nächste Chemo an.

Wie wurde bei Ihnen der Krebs erkannt?

Ich kann jedem nur dringend raten, zur Vorsorge zu gehen. Im vergangenen Oktober war ich ja seit einem Jahr im Bundestag, hatte mich in meine Themen eingearbeitet und wollte richtig loslegen. Gerade hatte ich eine Corona-Erkrankung hinter mich gebracht. Dann kam der Krebs. Ich habe Knoten ertastet, hätte aber eine Woche später ohnehin eine Ultraschalluntersuchung gehabt. Es hätte furchtbar schiefgehen können, wenn ich nichts gemerkt oder gehofft hätte, dass es sich von allein erledigt. Ich war aber auch für das Thema besonders sensibilisiert, weil ich viele Krebserkrankungen in der Familie hatte. Mein Vater ist an Krebs gestorben, als ich 16 war.

Mussten Sie sich im Bundestag krankmelden?

Nein, theoretisch könnte ich vier Jahre lang einfach nicht zur Arbeit gehen. Aber natürlich habe ich der Bundestagspräsidentin und meiner Fraktion mitgeteilt, was Sache ist. Am Anfang dachte ich, es reicht, wenn ich die Arbeitszeit etwas reduziere. In den Sitzungswochen in Berlin habe ich bis dahin oft mehr als 80 Stunden gearbeitet. Und die erste Chemo habe ich auch zunächst gut vertragen. Dann aber bekam ich Fieberschübe von mehr als 39 Grad. Wenn ich mich gerade davon erholt hatte, stand die nächste Chemo an. Schließlich musste ich tagelang stationär im Krankenhaus bleiben. Es ist so, als hätte man monatelang eine schwere Grippe.

Ich kann jedem nur dringend raten, zur Vorsorge zu gehen.
Sabine Grützmacher, Bundestagsabgeordnete der Grünen

Wie geht die Therapie in den nächsten Wochen weiter?

Ich hoffe, dass ich im April operiert werde. Dann wird sich zeigen, wie gut die Chemotherapie gewirkt hat. Ich möchte im Sommer wieder an Bord sein im Bundestag.

Wie viel politische Arbeit war in den vergangenen Monaten möglich?

Ich bin froh, wenn ich mal ein paar Stunden digital arbeiten kann. Seit Corona hat sich auch im Bundestag in dieser Hinsicht viel getan. Ich kann online an Sitzungen teilnehmen und sogar mein Stimmrecht wahrnehmen. Meine Themen machen ja leider keine Pause. Zu meinen Aufgaben gehört die Berichterstattung über Geldwäsche und Digitalisierung, ich muss mich vorbereiten auf neue Gesetzgebungsverfahren. Ich bekomme viel Unterstützung von den Kollegen im Finanzausschuss, aber ich kann nicht verlangen, dass andere sich in gewisse Spezialfragen einarbeiten. Und man trennt sich ja auch selbst nicht so gern davon, sondern fühlt sich verantwortlich.

Müssen Sie im Haifischbecken der Politik fürchten, dass man Sie verdrängt?

Der harte Machtkampf gehört nicht zur DNS der Grünen. Anders als Mobilität oder Energie ist die Digitalisierung zudem nicht unbedingt ein Thema, für das sich viele in der Fraktion begeistern. Das ist etwas für Nerds, man rennt entweder schreiend davon oder kniet sich rein.

Wie sehr knien Sie sich rein in die medizinischen Fragen, mit denen Sie nun zu tun haben?

Wenn man sich informiert, gibt das einem das Gefühl, ein wenig Kontrolle zu bekommen in einer Situation, in der einem alles entgleitet. Ich kann aber nur davon abzuraten, nach Antworten zu googeln. Was man auf diese Weise erfährt, ist oft nicht aktuell und verunsichert einen noch mehr. Mir haben eher die Tipps geholfen, die man von anderen Betroffenen in Online-Selbsthilfegruppen bekommt.

Wie kommen Sie zu Kraft?

Es ist ein Auf und Ab. Man darf sich nicht selbst in den Wahnsinn treiben, sondern muss die Gedankenspirale stoppen. Ich bin nicht der Typ für Yoga, aber es ist gut, sich mit Stressbewältigung zu beschäftigen. Ich bekomme viel Unterstützung aus der Familie, von Freunden und Bekannten. Zwischenzeitlich hätte ich einen Blumenladen aufmachen können. Das Mitgefühl trägt einen, aber am Ende muss man mit den eigenen Dämonen allein zurechtkommen. Und manche Sprüche helfen nicht weiter. Wenn ich für jedes „Du bist eine starke Frau“ fünf Euro ins Phrasenschwein bekommen hätte, wäre ich reich. Besonders seltsam war, als mir jemand über die Chemo gesagt hat: „Das könnte ich nicht.“ Als hätte ich eine Alternative! Aber die Leute meinen es ja gut, und es ist immer schwer, die richtigen Worte zu finden.

Wie erleben sie die Behandlung im Krankenhaus?

Die Menschen, die in Köln-Holweide arbeiten, sind Gold wert. Man ist dort als Patient nicht nur eine Nummer. Die Klinik ist ein zertifiziertes Brustkrebszentrum. Das gilt auch für Gummersbach, aber ich habe mich aus dem Bauch heraus für Holweide entschieden, weil ich persönliche Kontakte dorthin habe. Nachdem ich das Krankenhaus aus der Perspektive der Kranken erlebt habe, gehe ich mit anderen Augen durch die Welt. Ich bin selbst nicht privat versichert und trete wie meine Fraktion für eine allgemeine Bürgerversicherung ein, jetzt mit gestärkter Überzeugung. Wenn man im Krankenhaus mit anderen Patientinnen oder Pflegekräften zusammensitzt, heißt es irgendwann: „Und was machen Sie beruflich?“ Als Bundestagsabgeordnete werden mir dann natürlich viele Wunschzettel mit auf den Weg gegeben. Ich sehe jetzt deutlicher, dass das Krankenhaus eine kritische Infrastruktur ist, die man im Zuge der Digitalisierung schützen muss.

Haben Sie daran gedacht, das Mandat zurückzugeben?

Nein, ich kann es nicht erwarten, wieder im Bundestag zu arbeiten. Ich liebe, was ich tue. Ich hatte am Anfang ein schlechtes Gewissen, aber den Zahn hat mir die Fraktion gezogen und gesagt: „Deine Aufgabe ist es jetzt, gesund zu werden.“