Oberberg – Die Bundestagswahl könnte dazu führen, dass nicht nur der direkt gewählte Kandidat aus Oberberg ins Parlament einzieht, sondern über die Landeslisten auch die Bewerber weiterer Parteien. Von 1990 an waren die Oberberger mal zu dritt. Reiner Thies sprach mit Ina Albowitz-Freytag und Friedhelm Julius Beucher über diese Zeit.
Seit wann sind Sie beide per Du?
Albowitz: Wir waren beide etwa 100 Tage im Amt, als im Frühjahr 1990 ein Pressegespräch im „Langen Eugen“, dem Bonner Abgeordnetenhaus, anstand. Friedhelm kam wie immer zu spät und trug einen Gips.
Beucher: Ich hatte mir beim Skifahren das Handgelenk angebrochen.
Albowitz: Er hat sich trotzdem ein Schnitzel bestellt, konnte es aber nicht richtig essen. Da habe ich ihm Hilfe angeboten und das Fleisch in mundgerechte Stücke geschnitten.
Beucher: Und beim nächsten Bergneustädter Schützenfest habe ich sie im Gegenzug auf ein Kölsch eingeladen.
Albowitz: Ich habe ihm dann das Du angeboten, ich bin ja ein paar Tage älter.
Gab es damals im Bundestag eine überparteiliche bergische Connection?
Albowitz: Als wir beide in Bonn ankamen, hat Horst Waffenschmidt gesagt: „Jetzt habt Ihr Euch genug gezankt, hier wird jetzt für Oberberg gearbeitet.“
Beucher: 1990 war ja der erste gesamtdeutsche Bundestag gewählt worden, und die feierliche Vereidigungsfeier fand im Berliner Reichstag statt. Horst Waffenschmidt hat dafür gesorgt, dass wir drei Oberberger zusammen fotografiert wurden. Und ich habe angeregt, dass wir eine gemeinsame Postkarte an die Heimatzeitungen schreiben.
Albowitz: Zu den Veranstaltungen im Wahlkreis wurden immer alle drei eingeladen. Ich erinnere mich an eine Jubiläumsfeier in Hardt-Hanfgarten. Der Gastgeber sagte vorher, es gebe so viele Redner, wir sollten doch alle nur drei Sätze sagen. Und daran haben wir uns natürlich gehalten. Jeder hat exakt drei Sätze gesagt. Der Saal hat getobt.
Beucher: Wir haben uns bei solchen Einladungen oft abgesprochen und abgeklärt: „Gehst Du dahin oder nicht?“ Im Wahlkampf galt dagegen natürlich das Hase-und-Igel-Prinzip.
Albowitz: Die Leute im Wahlkreis haben ja enorme Ansprüche an ihren Abgeordneten.
Beucher: Im Parlament gab es damals eine Pairing-Vereinbarung, mit der das Kräfteverhältnis gewahrt wurde, wenn Abgeordnete einer Fraktion verhindert waren. Das geht heute alles nicht mehr.
Albowitz: Wir konnten Dinge diskret besprechen, weil es zwischen den Fraktionsgeschäftsführern ein Vertrauensverhältnis gab. Da kam es vor, dass Peter Struck von der SPD auf mich zukam und mich bat, die Leitung des Personalausschuss des Bundestages zu übernehmen.
Beucher: Das hat sich erst 1999 mit dem Umzug des Bundestags nach Berlin verändert. Danach waren solche Vertraulichkeiten nicht mehr möglich. Die Nachricht wurde zur Ware. Wenn zu Pressekonferenzen in Bonn ein Dutzend Journalisten kamen, war das viel. Heute sind es doppelt so viele.
Dr. Horst Waffenschmidt war 1990 schon ein alter Hase. Haben Sie von seiner Erfahrung profitiert?
Albowitz: Ich habe von seinen Beziehungen profitiert, er kannte ja in Bonn wirklich Hund und Katze. Wenn man ihn traf, gab er einem immer drei Dinge auf den Weg ...
Beucher: ...Grüße vom Bundeskanzler, Anerkennung für das Ehrenamt und irgendetwas mit dem lieben Gott. Waffenschmidt und ich sind früher auch arg aneinandergeraten. Aber als Bundestagsabgeordnete haben wir uns bemüht, auch etwas gemeinsam zu machen. Etwa mit der Gruppe der Bergischen Abgeordneten bei Initiativen in der Verkehrspolitik.
Albowitz: Als Corinna Schumacher, die Frau des Rennfahrers, 1997 in Wipperfürth ihre Tochter zur Welt gebracht hat, haben wir zusammen eine Gratulationskarte geschrieben. Auf der persönlichen Ebene sind wir drei immer anständig miteinander umgegangen. Friedhelm und ich waren beide sehr traurig, als Horst Waffenschmidt 2002 gestorben ist und haben persönlich einen gemeinsamen Kranz niedergelegt. In meiner Partei wurde ich öfter kritisch beäugt, weil ich mit den Kollegen von CDU und SPD so vertraut umgegangen bin.
Beucher: Bei Podiumsdiskussionen habe ich oft gesagt: „Ina, Dir werfe ich es nicht vor, aber was Deine Partei macht, ist nicht richtig.“
Albowitz: Bei meiner ersten Kandidatur, das muss im Winter 1986/87 gewesen sein, gab es eine Podiumsdiskussion in Wipperfürth. Am Abend vorher klingelte bei mir das Telefon. Horst Waffenschmidt war dran: „Wie kommen Sie dahin?“ Als ich ihm von meinem klapprigen VW erzählte, sagte er nur: „Ich hole Sie ab.“ Tags darauf fuhr er pünktlich vor, mit Dienstwagen und Chauffeur. Und er hatte noch Pralinen für meine achtjährige Tochter dabei. Wenn ich später im Südkreis Termine hatte, war ich oft zum Mittagessen bei den Waffenschmidts eingeladen, damit ich ja nicht verhungere.
Beucher: Ich habe seine joviale Ruhe bewundert. Er war mit sich im Reinen. Er hat gern gesagt: „Friedhelm Julius Beucher gewinnt die Podiumsdiskussionen. Und ich die Wahl.“ Und so war es dann ja auch immer. Wir haben zusammen die politische Vielfalt des Bergischen Landes widergespiegelt. Das war gelebte Demokratie.
Albowitz: Wir haben abenteuerliche Reisen gemeinsam überstanden, das schweißt auch zusammen. Ich erinnere mich an einen Flug in einem uralten Hubschrauber in Polen. Horst Waffenschmidt sagte: „Der liebe Gott ist bei uns.“ Und ich entgegnete nur: „Ja, bei Dir bestimmt – aber bei mir?“
Beucher: Ina und ich gehörten einmal zu einer Delegation des Bundestags, die an der Eröffnung der Makkabiade in Tel Aviv teilnahm, als dort eine Brücke einstürzte. Vier Sportler kamen ums Leben.
Albowitz: Alle dachten zunächst, es wäre ein Terroranschlag, und der Botschafter musste uns schnell aus dem Stadion bringen.
Sie, Frau Albowitz, und Horst Waffenschmidt waren Mitglieder der damaligen Regierungskoalition. Wie eng war die Zusammenarbeit?
Albowitz: Da gibt es eine schöne Geschichte, für die ich weiter ausholen muss. Ich wurde ja schon bald Fraktionsgeschäftsführerin und nahm an den Koalitionsberatungen teil. Einmal bin ich mit dem damaligen Finanzminister Theo Waigel aneinandergeraten. Es ging um den Abzug der russischen Soldaten aus der DDR. Ich wollte, dass deutsche Firmen an dem Bau von Wohnungen beteiligt werden, die wir in Russland finanzieren sollten. Ich wollte nicht, dass das Geld in dunklen Kanälen versickert.
Eines Tages ruft mich der Parteivorsitzende Otto Graf Lambsdorff an: „Ich brauche Sie im Kanzleramt.“ Kohl putzte an diesem Tag die Leute runter, ich wurde immer kleiner. Aber als mein Thema dran war, hat Kohl darauf bestanden, dass ich zu Wort komme, und sagte hinterher: „Das ist doch eine gute Idee.“ Nach der Sitzung rief er mich noch einmal zu sich und verriet: „Ich habe aus der Sauna heraus mit dem Horst telefoniert. Der hat sich für Sie eingesetzt. Erzählen Sie doch mal, warum das bei Ihnen zu Hause so gut klappt zwischen CDU und FDP?“
Beucher: Da sieht man mal, was ich für einen schweren Stand gegenüber den Regierungskoalitionären hatte.
Albowitz: Du Armer, das hast Du aber gut gemacht.
Wie war es für Sie, Herr Beucher, in der Opposition?
Beucher: Ich kam bald in die Untersuchungsausschüsse. Da war es meine Aufgabe, den politischen Gegner zu stellen. Das ist eine Arbeit wie im Bergwerk, da muss man Akten fressen, sonst geht man als Opposition unter. Und ich habe mich bemüht, meine Kontakte in die SPD-Landesregierungen für Oberberg zu nutzen und Mittel für uns herauszuschlagen. Die anderen beiden hatten ja Bundesmittel zur Verfügung.
Albowitz: Als Mitglied des Haushaltsausschusses saß ich, wo das Geld verteilt wird. Ich habe mich immer als Abgeordnete für ganz Deutschland verstanden, aber Oberberg sollte auch nicht schlechter wegkommen als andere Wahlkreise. Die Leute hier haben bis heute nicht vergessen, dass man sich eingesetzt hat. Und sei es, wenn mich mein Mann als kostenloses Unterhaltungsprogramm für die diversen Schützenfeste gebucht hat.
Beucher: Wir sind jetzt beide seit zwei Jahrzehnten nicht mehr im Bundestag, aber das haben offenbar viele Leute noch nicht bemerkt. Da vergeht kaum ein Tag, an dem einen nicht ein Anliegen erreicht.
Nun könnte es sogar dazu kommen, dass vier Oberberger ins Parlament einziehen.
Beucher: Ein übergroßer Bundestag ist nicht gut, den kriegt man gar nicht organisiert und er ist nicht vermittelbar. Die Reform des Wahlrechts mit einer Begrenzung der Abgeordnetenzahl ist leider an der CDU gescheitert.
Albowitz: Man muss Schäuble den Vorwurf machen, dass er als Bundestagspräsident seine Partei nicht überzeugen konnte. Wir waren damals im wiedervereinigten Deutschland 580 Abgeordnete. Wenn wir Pech haben, werden es jetzt 840!