Die Dechant-Wolter-Straße wird umbenannt: Der verstorbene Geistliche soll sich an Kindern vergangen haben, darunter der Waldbröler Michael Schenk.
KindesmissbrauchErzbistum bestätigt – Straße in Waldbröl trägt noch Namen eines Täters
Auch der in den Jahren von 1945 bis 1973 als Dechant und Pfarrer in der katholischen Pfarrei St. Michael tätige Emmerich Wolter gehört zum Kreis von wahrscheinlich fünf mutmaßlichen Tätern, die sich in Waldbröl und später auch in der Nachbargemeinde Morsbach an Kindern und Jugendlichen vergangen haben sollen. Dies bestätigt das Erzbistum Köln auf Nachfrage dieser Zeitung: „Im juristischen Sinne ist hier (im Fall Wolter, Anmerkung der Redaktion) von einem mutmaßlichen Täter zu sprechen“, teilt die Referentin Dagmara Kowalkowski mit und beruft sich auf Ergebnisse aus der Aufarbeitung möglicher Missbrauchsfälle im Erzbistum.
Weitere, oft genannte Namen aus Waldbröl will die Sprecherin indes nicht kommentieren – „aus Rücksicht auf einzuhaltende datenschutzrechtliche Vorgaben und zur Wahrung der Vertraulichkeit gegenüber den Personen, die sich an die unabhängigen Ansprechpersonen und die Stabsstelle Intervention und Aufarbeitung wenden“.
Im Februar 2022 hatte der Waldbröler Michael Schenk, heute 56 Jahre alt, den Dechanten Wolter nach intensiver Therapie und Aufarbeitung seiner Vergangenheit als den letzten der drei Männer benannt, die ihn als Kind auf schwerste Weise und wiederholt missbraucht haben sollen. Damit wäre Wolter (1898 – 1976) der erste in der Reihe mutmaßlicher Täter, die wahrscheinlich bis Ende der 1980er Jahre in der Marktstadt als Kapläne oder Pastoren gearbeitet haben – und das zeitgleich oder nacheinander. Vier dieser Männer sind verstorben, der fünfte lebt heute dem Vernehmen nach am Niederrhein: Der frühere Kaplan war wohl 1982 – dann als Pastor – von Waldbröl nach Morsbach gewechselt.
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„Als Kind haben sie mir mit der Hölle gedroht, als Erwachsener habe ich sie erlebt“, blickt Michael Schenk zurück. Mit der Bestätigung durch das Erzbistum endet für ihn eine Jahrzehnte währende Zeit des Leids und des Leidens: „Mir geht es so gut wie lange nicht mehr“, betont Schenk, der früher selbst Pastor in der römisch-katholischen Kirche gewesen und 2008 indes zum alt-katholischen Glauben konvertiert ist.
Seither arbeitet er erneut als Seelsorger und führt in der Ruppichterother Ortschaft Stranzenbach den Therapie- und Exerzitienhof Ain Karem. „Der Missbrauch an mir ist nun vollends durch die unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen der Deutschen Bischofskonferenz anerkannt, ich kann mit diesem Kapitel in meinem Leben immer besser abschließen. Und ich kann ohne Alpträume schlafen.“
Für Michael Schenk aus Waldbröl geht die Zeit des Aufarbeitens endlich zu Ende
Dazu beigetragen haben zuletzt auch Christina Simon und Stefan Monreal – zunächst ohne das Wissen Schenks. Christina Simon (heute 58) besucht in Kindertagen denselben Kindergarten wie er, Stefan Monreal (56) feiert mit dem fröhlichen Michi aus der Nachbarschaft kräftig Kinderkarneval. Die drei Familien sind in Waldbröl tief verwurzelt, man wohnt in der Stadtmitte dicht beieinander, die Eltern kennen sich, die Kinder spielen zusammen. „Doch nie haben wir etwas bemerkt“, sagt Simon.
Im Herbst 2020 ist sie eine der ersten im Freundeskreis, der sich Schenk offenbart – noch bevor sein Fall den Weg in die Zeitung findet: Er schreibt ihr einen Brief, berichtet, was ihm als Kind und später auch als Erwachsener widerfahren ist. „Da hat es mir das Herz herausgerissen“, sagt Simon.
In jener Zeit ringt Michael Schenk mit dem Erzbistum um die Anerkennung des Verbrechens an ihm. Das Erzbistum, so sagt er, habe etwa behauptet, das Gebäude der früheren und damals bereits nicht mehr genutzten katholischen Volksschule an der Vennstraße habe Ende der 1960er Jahre nicht mehr gestanden und damit gebe es auch keinen Tatort, an dem er missbraucht worden sein könnte.
Das Kölner Erzbistum soll mögliche Tatorte in Waldbröl in Frage gestellt haben
Die Schule und die Dienstwohnung der Geistlichen im Waldbröler Kloster „Zum Heiligen Geist“, in dem auch der damalige, von Ordensfrauen geleitete kirchliche Kindergarten untergebracht ist, hatte Schenk als die Orte des Missbrauchs beschrieben – er ist knapp drei Jahre alt, als es zum ersten Mal geschieht, mit sechs enden die gewaltsamen Übergriffe durch die drei Geistlichen.
Nachdem sie den Brief gelesen hat, blättert Christina Simon sofort in den Büchern ihres Onkels Hans Simon, einem Heimatforscher, und findet Fotos: Sie zeigen die Schule, die tatsächlich erst um das Jahr 1977 abgebrochen wird. Und als die Podologin Simon und der Kraftfahrer Monreal schließlich in dieser Zeitung das Ausmaß dessen lesen, was ihr Freund erleiden und erdulden muss, steht fest: Die beiden wollen etwas unternehmen und die Aufklärung mutmaßlicher Missbrauchsfälle in der Kirche vorantreiben. Simon: „Und jetzt schien uns die richtige Zeit dafür endlich gekommen zu sein.“
Im März dieses Jahres richten sie einen Antrag an den Stadtrat mit dem Ziel, den Namen Wolters aus dem Stadtbild verschwinden zu lassen. Denn auf dem Kalkberg ist eine Straße nach dem Geistlichen benannt. „Am liebsten hätte ich das sofort in der Nacht mit der Flex erledigt“, verrät Monreal – und Tränen schießen ihm in die Augen.
Doch bleiben er und Simon dann doch lieber beim geschriebenen Wort – mit Erfolg: In der Oktober-Sitzung hat der Rat jüngst einstimmig entschieden, dass der Name fällt, und den Ausschuss für Kultur und Tourismus beauftragt, eine neue Bezeichnung für die Sackgasse zu finden. Und das könnte am 5. Dezember bereits geschehen. Christina Simon: „Hätte das nicht geklappt, hätten wir weitergemacht und jeden möglichen Hebel in Bewegung gesetzt.“
In Waldbröl hat es schon mindestens zwei Vorstöße gegeben, die Dechant-Wolter-Straße umzubenennen
Vorstöße, die Dechant-Wolter-Straße umzubenennen, hat es in der jüngeren Vergangenheit Waldbröls mindestens zwei gegeben – erstmals zu Beginn der 1990er Jahre durch die SPD. „Um Emmerich Wolter wurde immer schon viel Wind gemacht“, erinnert sich Stefan Monreal, der Messdiener an St. Michael gewesen ist. Denn Wolter ist nicht nur Pfarrer in der Marktstadt, er engagiert sich zudem im örtlichen Pfadfinderstamm St. Georg. Und stets gibt es Gerüchte, er suche gern die Nähe zu Kindern, fasse sie gerne an – etwa auch beim Umkleiden für den Gottesdienst in der Sakristei. „Da war also immer vieles komisch, wenn es um Wolter ging“, sagt auch Simon, schaut sie zurück.
So soll Wolter Kinder mit einer Nadel gestochen haben, wenn sie ihm nicht gehorchten, oder auch Messdienern über die Hände gelaufen sein, wenn sie sich seiner Meinung nach während der Messe nicht richtig hingekniet hatten. „Aber weil der Pfarrer damals eine absolute Respektsperson war und sein Wort eine Art Gesetz, hat nie jemand etwas unternommen“, schildert Simon. Ihre Eltern seien ebenso wie die von Stefan Monreal höchst gläubig gewesen. „Meine Eltern Hans und Margarethe wurden am 1. Mai 1965 von Dechant Wolter getraut“, berichtet Monreal. „Hätte meine Mutter aber gewusst, was für ein Mann er war, hätte sie Alarm geschlagen.“
Dem Antrag, von der Politik im vergangenen März noch nichtöffentlich beraten, folgt eine Einladung von Bürgermeisterin Larissa Weber ins Rathaus, diesmal ist Michael Schenk dabei. Nun erfährt auch er von diesem Antrag. „Zwei Stunden haben wir geredet, es war ein sehr aufbauendes, vertrauensvolles Gespräch“, sagt Schenk. Die Abstimmung über die Umbenennung erfolgt dann öffentlich – und ohne jegliche Diskussion. „Seither heilt in mir eine tiefe Wunde – und ich kann mich mit meiner Heimatstadt endlich versöhnen.“
Nach den Berichten in diesem Medium: Acht weitere Opfer haben sich gemeldet
Nach den Berichten über den Missbrauch an Michael Schenk haben sich dem Waldbröler zufolge acht Männer gemeldet, die eigenen Angaben zufolge ebenfalls im Kindesalter von Geistlichen missbraucht worden sind, fünf davon in Waldbröl. In die Öffentlichkeit gehen wollen sie allerdings nicht. Seit Februar vergangenen Jahre arbeitet Schenk mit der im Jahr 2021 in Köln gegründeten Initiative „Leuchtzeichen“ zusammen, die Opfern von sexualisierter Gewalt im kirchlichen Umfeld Hilfe bieten möchte – völlig unabhängig von der Institution Kirche.
Wer mit Schenk in Kontakt treten möchte, der erreicht ihn unter 0178/5 01 14 35. Dort ist ein Anrufbeantworter geschaltet.