Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Megatech-AusMitarbeiter aus Waldbröl verliert ein Jahr vor dem Ruhestand den Job

Lesezeit 4 Minuten
Dietmar Wirths (61) ist nicht nur der dienstältestes Produktionsmitarbeiter von Megatech Industries in Waldbröl-Hermesdorf, sondern dort der älteste überhaupt. Ein Jahr vor der Rente verliert er dort seinen Job.

Dietmar Wirths (61) ist nicht nur der dienstältestes Produktionsmitarbeiter von Megatech Industries in Waldbröl-Hermesdorf, sondern dort der älteste überhaupt. Ein Jahr vor der Rente verliert er dort seinen Job.

110 Arbeitskräfte müssen gehen, weil das Werk in Hermesdorf dichtgemacht wird – unter ihnen Dietmar Wirths. Wir sprachen mit dem 61-Jährigen.

An Schlaf ist nicht zu denken, in der vergangenen Nacht hat Dietmar Wirths kein Auge zugetan. Und auch am Morgen danach kann der Waldbröler kaum fassen, was er am Mittwoch (19. März) erleben musste: Von Juergen Burger, Geschäftsführer von Megatech Industries mit Büro im Wiener Mutterhaus, erfahren rund 110 Beschäftigte, dass sie spätestens Ende Dezember den Arbeitsplatz im Hermesdorfer Werk des österreichischen Automobilzulieferers verlieren.

Ende Dezember gehen hier die Lichter aus: Der österreichische Konzern Megatech Industries schließt seine Produktionsstätte in Waldbröl-Hermesdorf.

Ende Dezember gehen hier die Lichter aus: Der österreichische Konzern Megatech Industries schließt seine Produktionsstätte in Waldbröl-Hermesdorf.

Wirths ist 61 Jahre alt, im März kommenden Jahres wäre er aufgrund einer Schwerbehinderung in den Ruhestand gegangen, hätte seine reguläre Rente angetreten. Er ist nicht nur der dienstälteste Mitarbeiter am Standort, sondern auch der älteste im Hermesdorfer Betrieb überhaupt.

Den sechsten Besitzerwechsel überlebt die Produktionsstätte in Waldbröl-Hermesdorf nicht

„Und jetzt müssen wir alle gehen“, sagt Dietmar Wirths und kämpft dabei mit den Gefühlen. „Vor allem für die jüngeren Kolleginnen und Kollege, für ihre Familien, tut mir das unfassbar leid.“ Einst hat er das Bäckerhandwerk erlernt, doch kann er wegen einer Allergie schon bald nicht mehr in diesem Beruf arbeiten. Im September 1985 geht er zu IBS Brocke. „Das war damals ein erfolgreiches, aufstrebendes, aber sehr sympathisches Unternehmen, das dringend Leute brauchte“, blickt Wirths, selbst Vater von zwei Kindern, zurück nach fast vier Jahrzehnten in der Produktion. „Man musste nur eine beendete Lehre vorweisen.“

Zwei Insolvenzen erlebt die Belegschaft an der Adolf-Kolping-Straße in späteren Jahren – und sechs Eigentümer. Die Übernahme durch den italienischen Konkurrenzkonzern Sapa in Arpaia, erst zu Beginn dieses Monats verkündet, überlebt die Produktionsstätte für Kunststoffteile im Fahrzeugbau nicht mehr. Es ist die letzte. Zudem verkündet das Unternehmen bei der Übernahme, es werde neue Standorte in Deutschland, Tschechien und Brasilien aufbauen als Teil seiner weltweiten Expansionsstrategie.

Nachfragen zum Werk in Waldbröl-Hermesdorf bleiben ohne Antwort aus Italien und Österreich

Nachfragen dieser Zeitung lässt der Konzern ebenso unbeantwortet wie das Mutterhaus von Megatech in Österreich. Dem Vernehmen nach soll die Produktion nach Tschechien und Polen verlagert werden, bestätigen will Nicole Wippermann das nicht. Sie ist Personalchefin mit Sitz in Feldkirchen (Landkreis München) und verbreitet am Mittwochnachmittag die Nachricht von der Schließung.

Darin spricht Megatech Industries von einer strategischen Neuausrichtung unter dem Dach der Sapa-Gruppe: „Jedoch konnte auch diese Integration keine langfristige und stabile Auslastung des Standorts in Waldbröl gewährleisten“.

Dort wehrt man sich: Für die Belegschaft sei das eine schallende Ohrfeige, für die anderen ein Tritt in den Allerwertesten. Denn ein Jahr Kurzarbeit liegt hinter den Beschäftigten, die Wut ist groß. Es heißt, Aufträge seien nicht in Hermesdorf angekommen. Und die, die angekommen seien, hätten vorne und hinten nicht gereicht, um das Werk zu erhalten. „In der Tat haben wir hier nie wirkliche Investitionen gesehen“, urteilt etwa Werner Kusel, Chef der IG Metall Oberberg.

Vertreter der IG Metall und der Betriebsrat treffen sich in Waldbröl-Hermesdorf zur Krisensitzung

Am Donnerstagmorgen sind die Gewerkschaft und der siebenköpfige Betriebsrat, zu dem auch Dietmar Wirths gehört, zu einer weiteren Krisensitzung nach dem jüngsten Eigentümerwechsel zusammengekommen. Gearbeitet wird an diesem Tag nicht. „Wir müssen erstmal die Lage sondieren und uns auf die Verhandlungen vorbereiten“, sagt Kusel. „Es geht nun darum, einen fairen Interessenausgleich auszuhandeln und einen Sozialplan zu erstellen.“ Bisher gebe es nichts Schriftliches für die Betroffenen, sondern nur die verheerenden Worte von Geschäftsführer Burger und eben jene Mitteilung aus Feldkirchen. „Wir haben geahnt, dass der letzte Wechsel nichts Gutes für uns bedeutet“, sagt Wirths. „Trotzdem haben wir natürlich auf eine Zukunft gehofft.“

Groß ist auch die Betroffenheit in Waldbröls Rathaus. „Das ist ein schwerer Schlag für unsere Stadt und insbesondere für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Familien“, sagt Bürgermeisterin Larissa Weber. „Mein Mitgefühl gilt allen, die durch diese Entwicklung ihren Arbeitsplatz verlieren.“ Doch hoffe sie sehr, „dass trotz der furchtbaren Lage neue Wege und Chancen entstehen werden“.

Wie Dietmar Wirths haben die meisten Beschäftigten mehr als 20 Jahre in Hermesdorf geschuftet. „Es wird noch ein paar Tage dauern, bis wir wirklich begreifen, was uns passiert ist“, ahnt der Waldbröler.


Blick in die Geschichte des Standorts in Waldbröl-Hermesdorf

Unter dem Namen IBS Brocke wird das einst oberbergische Unternehmen in den 1960er Jahren in Morsbach-Lichtenberg gegründet. 1982 kommt das Werk in Hermesdorf, einem Ort in der Nachbarstadt Waldbröl, hinzu.

Dessen wechselhafte Geschichte beginnt 2004, als es von ISE Intex, einem damals in Bergneustadt ansässigen Unternehmen, übernommen wird. 2007 geht das Werk durch die Insolvenz von ISE an die Polytech-Gruppe in Hörsching (Österreich), 2011 folgt der japanische Konzern Toyota Boshuko, beheimatet in Aichi. Dieser veräußert das Werk 2016 an Megatech Industries.