Düsseldorf – Sie hinterlassen immer größere Trümmerfelder und flüchten mit Tempo 250 rücksichtslos über die Autobahnen: Angesichts der sprunghaft gestiegenen Zahl von Geldautomaten-Sprengungen hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) den Kampf gegen die Gangster verschärft.
Bereits seit Anfang Februar sei die Polizei in NRW nachts landesweit „mit allen verfügbaren Kräften auf der Straße”, sagte Reul am Mittwoch in Düsseldorf. Eine neue zusätzliche Sonderkommission im Innenministerium soll den Druck auf die „ausgesprochen kaltblütigen Täter” zusätzlich erhöhen.
Die SPD kritisierte, es handele sich um Aktionismus kurz vor der Landtagswahl, der viel zu spät komme. Reul entgegnete, wegen des Wahltermins stelle er die Arbeit nicht ein.
„Künftig sollen sich Experten aus allen Disziplinen über jeden Geldautomaten beugen, der gesprengt worden ist”, kündigte der Minister an. Die Tatorte würden nun genauso akribisch wie Mord-Tatorte von Spezialisten untersucht, sagte Soko-Ermittler Guido Winkmann.
„Geldautomatensprengungen sind ein Phänomen, das uns seit Jahresanfang wortwörtlich um die Ohren fliegt”, sagte Reul. Die Zahl der Sprengattacken hat sich im bisherigen Jahr in NRW mehr als verdreifacht. Stand Mittwoch zählten die Ermittler 73 Sprengattacken im Vergleich zu 20 im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Zudem seien die Taten noch gefährlicher geworden, weil die Gangster vermehrt zu Sprengstoff statt Gas griffen, um die immer besser gesicherten Automaten zu knacken. Dies habe das Ausmaß der Schäden enorm erhöht. „Ich will handeln, bevor es Tote gibt”, sagte Reul. Es sei „pures Glück”, dass noch niemand bei einer Sprengung oder halsbrecherischen Verfolgungsfahrt gestorben sei.
Alle 11.000 Geldautomaten in NRW würden derzeit einer Gefahrenbewertung unterzogen. Nicht nur eine Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen, auch ein Abbau von Automaten an besonders gefährdeten Standorten sei nicht mehr tabu.
Die Polizei zeigte am Mittwoch Luftaufnahmen aus einem Polizeihubschrauber, die die Rücksichtslosigkeit der Gangster bei der Flucht über stark befahrene Autobahnen zeigen. „Die Polizei muss die Täter manchmal davonfahren lassen, um das Leben Unbeteiligter nicht zu gefährden”, berichtete Reul.
In 400-PS-Limousinen - bevorzugt der Marke Audi - könnten die Gangster auf Tempo 270 beschleunigen. Mit Störsendern, sogenannten „Jammern”, blockierten sie während der Taten den Mobilfunk in der Umgebung, um eine schnelle Alarmierung der Polizei durch Zeugen zu verhindern.
Für die Autos hätten sie diverse falsche Kennzeichen zur Verfügung. Ausgerüstet sind die Tatwagen mit schweren Äxten und Brecheisen. Die Airbags sind ausgebaut oder deaktiviert, um trotz Kollisionen weiterflüchten zu können. Gegen die eigens installierten Vernebelungsanlagen an den Geldautomaten hätten die Gangster sich Gasmasken zugelegt.
Um den Überwachungskameras an Tankstellen zu entgehen, führten sie Kanister mit Reservebenzin mit. Um schneller nachfüllen zu können, hätten sie sich sogar eigene Trichter angefertigt. „Die haben sich sogar einen Geldautomaten gekauft, um daran zu üben”, berichtet Ermittler Winkmann. Die Soko vermutet, dass sie auch ihren halsbrecherischen Fahrstil auf Rennstrecken trainieren.
Der Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes, Michael Breuer, hatte vor wenigen Tagen bei der Jahresbilanz von steigenden Sachschäden durch die Panzerknacker berichtet. Die Schäden bei einer Sprengattacke seien heute doppelt so hoch wie noch vor fünf Jahren. „Je mehr wir aufrüsten, desto stärker sind die Schäden”, hatte Breuer gesagt.
SPD-Fraktionsvize Sven Wolf kritisierte, die CDU-geführte Landesregierung bekomme die hohe Zahl der Geldautomatensprengungen nicht in den Griff. Reul habe bei den Machenschaften krimineller Banden bislang weggeschaut. „Kurzfristiger Aktionismus” vor der Landtagswahl könne nicht über monatelange Versäumnisse hinwegtäuschen.
Die niederländische Polizei konnte am Mittwoch einen Erfolg vermelden: Nach einer Sprengattacke in Mülheim/Ruhr waren die Verdächtigen mit ihrem Wagen auf der Flucht im niederländischen Venlo verunglückt. Zwei Verdächtige konnten festgenommen werden.
Die Polizei geht davon aus, dass eine Vielzahl der Taten auf das Konto einer mehreren Hundert Mann starken Szene nordafrikanischer Einwanderer geht, die in den Niederlanden im Raum Utrecht und Amsterdam leben. Den Ermittlern waren aber auch immer wieder deutsche Verdächtige ins Netz gegangen.
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