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Opposition zum Hochwasser: Versagen, Verzögern, Täuschen

Lesezeit 4 Minuten

Düsseldorf – Nach der Flutkatastrophe mit 49 Todesopfern Mitte Juli in Nordrhein-Westfalen hat die Opposition der Landesregierung nicht nur Versagen vorgeworfen: Die Aufklärung des Geschehens durch den Untersuchungsausschuss des Landtags sei verzögert und behindert worden. Im Fall von Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) sei der Ausschuss sogar getäuscht worden.

Zum Zwischenbericht des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe stellten SPD und Grüne am Montag ein Sondervotum vor. „Wie es aussieht, hat Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) ihren Urlaub schlicht fortgesetzt - und das in Absprache mit der Staatskanzlei”, sagte der SPD-Abgeordnete Stefan Kämmerling.

Aus den Akten lasse sich kaum nachvollziehen, dass Heinen-Esser, wie von ihr erklärt, von Mallorca aus ein echtes Krisenmanagement entfaltet habe. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sei möglicherweise deshalb so nachsichtig mit ihr, weil er selbst damals als Verkehrsminister bis 18. Juli in Urlaub geblieben sei.

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Der von der Regierungsmehrheit getragene Zwischenbericht sei grob unvollständig, lückenhaft und belanglos, kritisierten Vertreter von SPD und Grünen. Der Ausschuss hatte für den Zwischenbericht den Stand der Aufklärungsarbeit bis zum 4. Februar festgesetzt.

Der Zwischenbericht umfasst 1161 Seiten, von denen mehr als 1000 die Aussagen der 27 bisher verhörten Zeugen im Wortlaut wiedergeben. Eine Wertung der Aussagen gibt es - jenseits des Sondervotums - nicht.

Der Ausschussvorsitzende Ralf Witzel (FDP) schreibt im Vorwort des Berichts, es habe sich um die schlimmste Hochwasserkatastrophe in der 75-jährigen Landesgeschichte gehandelt: „Mit rund 180 Städten und Gemeinden ist landesweit fast die Hälfte der Kommunen davon betroffen gewesen. 49 Bürgerinnen und Bürger haben durch diese Flut viel zu früh ihr Leben verloren. Wir werden sie stets in unserem Gedenken bewahren.”

In einem internen Zwischenfazit der CDU-Fraktion heißt es, die Katastrophe habe gezeigt, dass das 2015 in rot-grüner Regierungszeit verabschiedete Katastrophenschutzgesetz unzureichend sei, dass die Kommunen als zuständig definiert habe. Die schwarz-gelbe Landesregierung habe daraus bereits umfangreiche Konsequenzen gezogen. Die Opposition versuche nun, vom eigenen Versagen abzulenken.

Zudem habe sie ihrerseits die Ausschussarbeit behindert, indem sie eine Erweiterung des Untersuchungsauftrags blockiert habe, um etwaiges Versagen in eigener Regierungszeit nicht ans Licht kommen zu lassen. Das Sondervotum von SPD und Grünen sei zudem trotz nicht abgeschlossener Aufklärungsarbeit bereits beweiswürdigend und damit rechtswidrig.

Von der Landesregierung sei die Ausschussarbeit verzögert worden, kritisierte dagegen SPD-Obmann Stefan Kämmerling. Dies sei durch unbegründete Schwärzungen, nicht durchsuchbare oder schlicht vorenthaltene Dokumente geschehen.

Ministerin Heinen-Esser könne nach der Wahl keine Verantwortung in einer künftigen Landesregierung mehr übernehmen, sagte Grünen-Obmann Johannes Remmel. Dass die Ministeriumsspitze während der Katastrophe abwesend war, darüber sollte der Ausschuss offenkundig getäuscht werden.

Heinen-Esser habe sich allenfalls zweimal am Tag nach dem Stand der Dinge erkundigt. „Es gibt wenig Dokumente, die für ein engagiertes Arbeiten aus dem Homeoffice auf Mallorca sprechen”, sagte Remmel. Dies liege möglicherweise auch daran, dass Heinen-Esser ihren persönlichen Kalender komplett geschwärzt übergeben habe.

Die Flugdaten, aus denen hervorgeht, wie lange sie tatsächlich auf Mallorca gewesen sei, habe sie erst vorgelegt, nachdem SPD und Grüne angekündigt hätten, sie per Beweisantrag über das Bundeskriminalamt zu beschaffen.

Heinen-Esser wies den Vorwurf der Täuschung im Zusammenhang mit ihrem Mallorca-Aufenthalt zurück. Bereits im Juni 2021 sei in einem Schreiben versehentlich der 21. Juli 2021 als Ende der Vertretungsregelung für sie angegeben und später tabellarisch übertragen worden.

Dies sei gegenüber dem Ausschuss nachträglich klargestellt worden, hieß es am Montag aus ihrem Umfeld. Im Fokus des Krisenmanagements der Ministerin habe das Problem der Abfallentsorgung gestanden. Dabei sei erreicht worden, dass die bei der Flut angefallenen Abfallmassen bundesweit entsorgt werden konnten.

Remmel warf der Ausschussmehrheit aus CDU und FDP Arbeitsverweigerung vor. Auf entscheidende Fragen des Untersuchungsauftrags habe diese keine Antwort gegeben.

Es lasse sich bereits feststellen, dass es kein präventives Krisenmanagement, weder des Umweltministeriums, noch der Staatskanzlei, gegeben habe. Selbst als die Katastrophe abzusehen war, habe es keinen Impuls gegeben, die Menschen zu warnen. Stattdessen sei die Verantwortung an die Kommunen delegiert worden.

Die Staatskanzlei habe zwar die Katastrophe erahnt, danach aber auf Wahlkampfmodus umgeschaltet und sich ganz überwiegend um Termine für den damaligen wahlkämpfenden Ministerpräsidenten und Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) gekümmert.

Was das für Hochwasserschutz zuständige Umweltministerium betreffe, sei man auf eine Chronik des angekündigten Versagens gestoßen. Unterbesetzung, Sorg- und Sprachlosigkeit hätten zu einem Totalausfall geführt, sagte Remmel.

Dass der Krisenstab des Landes auch im Nachgang der Katastrophe nicht einberufen worden sei, sei fatal. Zeitweise habe die Koordinierungsgruppe, die stattdessen die Arbeit erledigen sollte, lediglich aus zwei Feuerwehrleuten bestanden, sagte Kämmerling.

Das Sondervotum von SPD und Grünen sei ursprünglich 739 Seiten stark gewesen, dürfe so aber nicht veröffentlicht werden. Nach Intervention der Landtagsverwaltung seien 46 Seiten übrig geblieben. Mit einem Sondervotum können Fraktionen in Untersuchungsausschüssen eine von der Ausschussmehrheit abweichende Sicht der Dinge festhalten.

© dpa-infocom, dpa:220404-99-792986/6 (dpa/lnw)