Queere Menschen aus Köln und ihr Coming Out„Die Eltern drohten mir mit dem Tod“
Lesezeit 9 Minuten
Vor 50 Jahren begann der internationale Kampf von Lesben- und Schwulen gegen die Diskriminierung – wie weit ist Deutschland gekommen?
Fünf queere Kölner erzählen uns von ihrem Coming Out.
Lesen Sie, warum die Angst von Sven Lehmanns Mutter unbegründet war, und wie ein entdeckter Liebesbrief die Lebenswelt von TV-Moderatorin Bettina Böttinger völlig auf den Kopf stellte.
Köln – Vor 50 Jahren begann in der Schwulenbar "Stonewall Inn" in New York der weltweite Kampf von Homosexuellen für ihre Gleichberechtigung. Nach einer nächtlichen Polizeirazzia folgten Unruhen, die Tage andauerten - und damit den Beginn der Lesben- und Schwulenbewegungen darstellten. Auch die "ColognePride" in Köln steht in diesem Jahr unter dem Motto: "50 Years of Pride - Viele. Gemeinsam. Stark!“. 25 Jahre nach der Abschaffung des sogenannten Schwulenparagrafen in Deutschland, zwei Jahre nach dem Beschluss zur Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare, haben wir queere Menschen aus Köln gebeten, uns von ihrem Coming Out, aber auch von ihren gesellschaftlichen Wünschen für die Zukunft zu berichten. Das sind ihre Geschichten.
"Meine Mutter hatte Angst, dass ich diskriminiert werde"
Sven Lehmann (39), ist Abgeordneter und Sprecher für Queerpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion.
"Meine letzte Beziehung hatte ich mit einer Frau geführt, über einige Jahre, das auch sehr glücklich. Sie war auch noch nicht allzu lang beendet. Ich war damals 22 Jahre alt, Student in Köln und schon ehrenamtlich bei den Grünen aktiv.
Durch die Partei lernte ich wieder jemanden kennen. Ich verliebte mich. Dieses Mal in einen Mann. Den gleichen, mit dem ich heute immer noch zusammen bin: Arndt Klocke.
Dass ich mich nun anscheinend auch zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlte, hat mich in keine Sinnkrise gestürzt. Für mich war das recht einfach: Man verliebt sich eben in einen Menschen. Egal, welches Geschlecht der nun hat. Heute definiere ich meine sexuelle Identität als schwul.
Meine Freunde nahmen das sehr locker auf. In meiner Familie war das ein bisschen anders. Da gab es zwei Seiten: Die eine, für die das alles ganz normal und keiner Rede wert war. Und die andere, die sich die klassischen Klischee-Gedanken gemacht hat: Was denken nun die Nachbarn? Troisdorf-Spich, meine Heimat, war eben nicht Köln.
Meine Mutter hat mal gesagt, sie habe Angst, dass ich irgendwann Nachteile durch meine Homosexualität erfahre. Vielleicht diskriminiert werde, im Beruf etwa. Habe und wurde ich aber nie.
Dafür bin ich dankbar. Ich weiß aber auch: Das ist eine Ausnahme. Queer sein, das bedeutet heute auch in Deutschland immer noch: anders sein. Die meisten Menschen erfahren leider genau diese Abwertung.
Die Öffnung der Ehe war ein wichtiger Schritt für die rechtliche Gleichstellung. Aber gesellschaftlich müssen wir noch einiges tun. Diskriminierung in Schule, Sportverein oder Job ist immer noch weit verbreitet. Hasskriminalität auch.
Ich wünsche mir, dass es schon in unseren Bildungseinrichtungen als selbstverständlich vermittelt wird, dass man Liebe und Sexualität nicht normen kann. Sondern dass beides vielfältig ist. Dass Kinder und Jugendliche mit genau diesem Verständnis von Akzeptanz aufwachsen. Und dass Abweichung nicht mehr zu Abwertung führen darf.“
"Ich wurde nicht 'im falschen Körper' oder 'als Mädchen' geboren. Ich war schon immer ein Junge."
Zerafin Lion Oberhauser (21), ist trans* und schwul. Er betreib auf der Fotoplattform Instagram den Aufklärungs-Account „zerafin_o“ und engagiert sich im LGBTQI*-Jugendzentrum „anyway“ in Köln.
„Mein Outing erfolgt tagtäglich und zwar zwangsweise. Denn man sieht mir meine geschlechtliche Nonkonformität an. Dies hat schon des Öfteren zu gewalttätigen oder sexuellen Übergriffen geführt.
Ich bin ein Trans*Mann. Das heißt: Ich bin männlich mit überwiegend biologisch weiblichen Geschlechtsmerkmalen. Das hat übrigens nichts mit meiner Sexualität zu tun, deswegen trifft es der Begriff 'Transsexualität' auch nicht.
Die Mehrheit ist über Trans*Menschen leider nicht angemessen aufgeklärt. Meine Eltern zum Beispiel auch nicht. Nach meinem Coming Out kamen Sprüche wie 'Wir akzeptieren dich, aber nicht, was du dir einbildest zu sein'. Ich habe dann geantwortet: 'Dann bist du wohl nur der Erzeuger, der sich einbildet, mein Vater zu sein.' Wir haben keinen Kontakt mehr.
Zum Glück habe ich die Unterstützung meiner Schwester und meiner Großeltern.Trotzdem würde ich mir wünschen, dass Menschen sich um mehr Selbstaufklärung bemühen, statt sich ohne nachzudenken über das 'dritte Geschlecht' zu echauffieren. Denn das eine dritte feste Geschlecht gibt es nicht, vielmehr geht es darum, darzustellen, das Geschlecht ein Spektrum sein kann. Dass die äußerlichen Ausprägungen der Geschlechtsmerkmale bei Menschen ganz unterschiedlich mit dem subjektiven Empfinden übereinstimmen.
Ich wurde nicht 'im falschen Körper' oder 'als Mädchen' geboren. Diese Formulierungen sind falsch. Ich war noch nie eine Frau und werde es auch nie sein. Ich wusste schon immer, dass ich ein Junge bin. Mein Körper hat nur etwas andere Geschlechtsmerkmale. Das macht mich aber nicht weniger zum Mann. Als ich im Kindergarten gefragt wurde, was ich später werden wolle, sagte ich bereits: 'Ein großer starker Mann mit Bart.' Mir wurde dann gesagt, das gehe nicht, ich sei ein Mädchen. Heute weiß ich zum Glück, dass es doch geht.
Am Mittwoch hatte ich meine erste geschlechtsangleichende OP. Vielleicht der wichtigste Schritt in meinem Leben bisher. Einer, mit dem ich näher zu mir selbst komme."
"Das Händchenhalten zwischen zwei Männern führte schon zu einer Polizeikontrolle"
Roger Zenner (58), ist Früh-Rentner und leitet die "GoldenGays", eine Selbsthilfe-Gruppe für Homosexuelle über 40.
"Ich habe mich schon für Männer interessiert, bevor ich wirklich wusste, was das heißt: schwul sein. 1975, mit 14 Jahren, hatte ich meine ersten Erfahrungen mit ein paar älteren Jungs aus meinem Internat. Irgendwann wurden wir erwischt. Mein Vater, ein ranghoher Soldat, schmiss mich von Zuhause raus. Da war ich nicht mal 16 Jahre alt.
Mit 17 lernte ich meinen ersten Partner in einer Kneipe in Bonn kennen. Einen evangelischen Priester. Etwa zeitgleich begann ich, als Krankenpfleger an der Uniklinik in Köln zu arbeiten. Für Firmenfeiern, Geburtstage oder Verabredungen zum Essen legte ich mir eine Alibi-Freundin zu. Hätte jemand von meiner Homosexualität erfahren, ich hätte richtig Probleme im Job bekommen. In meinem zweiten Beruf als Chemielaborant war das ähnlich.
Nicht nur arbeitstechnisch führte ich ein Doppelleben. Damals haben sich in Köln Jugendliche einen Spaß daraus gemacht, Homosexuelle auf offener Straße zu verprügeln. 'Schwulenklatschen' nannten sie das.
Wenn ich einen Club ging, zog ich mir den Rollkragen-Pullover übers Gesicht, dass mich keiner erkennen konnte. Damals führte schon das öffentliche Händchenhalten von zwei Männern zu einer Polizeikontrolle. Wer auf einer Autobahn-Raststätte beim Sex erwischt wurde, konnte in den Knast kommen.
Ich bin froh, dass ich heute mit meinem Mann als Ehepaar zusammen leben kann. Wir sind seit 17 Jahren zusammen, seit elf in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Am 17. Juli haben wir unseren zweiten Hochzeitstag.
Mittlerweile ist meine größte Angst eine ganz gewöhnliche: dass einer von uns nicht mehr ist. Ich bin HIV-positiv.
Mit Medikamenten geht das mittlerweile alles ganz gut. Mein Leben ist glücklich, deswegen spreche ich darüber auch offen. Mit den Jahren habe ich gelernt: Nichts ist wichtiger, als zu zeigen: 'Hier bin ich und ich gehöre dazu'. Das haben wir beim ersten CSD in Köln getan, 1991, mit 20, 30 Leutchen. Und das tun wir heute immer noch."
"Sie hielten mich fest. Schubsten mich. Ich bekam einen Schlag auf die Brille."
Léon Gruß (18), hat sein Abi in der Tasche und engagiert sich im LGBTQI*-Jugendzentrum „anyway“ in Köln.
"Ich hatte keine Probleme mit dem Outing. Ich hatte sie davor. Bestimmt ein Jahr habe ich mit mir gehadert. Ganz viel dazu im Internet gelesen, Aufklärungsvideos geschaut. Soziale Kontakte vernachlässigt. Lange Zeit wollte ich das einfach nicht sein. Warum, weiß ich auch nicht.
Als ich ausgesprochen habe, dass ich schwul bin, 15 war ich da, habe ich schon damit gerechnet, dass es Probleme gibt. Gab’s aber nicht. Ich bin aber auch nicht der Typ, der sich angegriffen fühlt, wenn auf dem Schulhof jemand einen anderen 'Schwuchtel' nennt. Und ich kam ja auch nicht mit einer Kappe zur Schule, auf der stand: 'Hallo, ich bin jetzt schwul'. Wer mich gefragt hat, dem habe ich es gesagt. So einfach war das.
In Köln schwul zu sein, ist ein Privileg. Ursprünglich komme ich aus einem kleinen Dorf in Hessen. Da hätte ich es vielleicht nicht so offen ausgesprochen. In Köln aber ging es mir damit immer gut. Bis auf den Vorfall vor einem halben Jahr.
Ich habe an diesem Tag im 'anyway' an der Theke gearbeitet, einem Jugendzentrum für junge Menschen aus der LGBTIQ*-Szene, und den Laden abends auch zu gemacht. Etwa zehn Meter vom Eingang entfernt stand eine Gruppe von jungen Männern. Es folgten ein paar blöde Sprüche. Ich dachte: 'Kopfhörer rein und vorbei laufen.' Sie aber hielten mich fest, schubsten mich. Ich habe einen Schlag auf die Brille bekommen. Als mir einer in den Magen schlagen wollte, konnte ich mich losreißen, die Faust ging trotzdem auf die Rippen. Ich bin losgerannt und einfach in die nächste Bahn gestiegen.
Das hat mich im ersten Moment sehr geschockt. Sowas passiert in Köln? Auf offener Straße? Im Jahr 2019? Am Ende aber hat mich der Vorfall nicht ängstlicher gemacht, sondern stärker. Ich weiß, dass wir dafür kämpfen müssen, dass sich solche Leute in Zukunft permanent in der gesellschaftlichen Unterzahl fühlen."
"Zu Schulzeiten hatte ich mich wie die einzige lesbische Frau in Deutschland gefühlt"
Bettina Böttinger (62) ist deutsche Fernsehmoderatorin und Filmproduzentin.
„Mit 17 habe ich mich zum ersten Mal verliebt. In eine Mitschülerin. Das war eine ziemlich große Schwärmerei, also schrieb ich ihr – ohne groß darüber nachzudenken – einen Liebesbrief. Machte man halt so.
Meine Liebeserklärung allerdings wurde gefunden. Und weitergereicht.
Die Direktorin meiner Schule in Düsseldorf drohte mir mit einem Verweis. Die Eltern des Mädchens mit dem Tod. Auch von meinen eigenen Eltern erfuhr ich keine Unterstützung. Mitschüler entfernten sich von mir. Vorher war ich Klassensprecherin gewesen, ab diesem Zeitpunkt allerdings völlig allein. Ich hatte ein erzwungenes Coming Out gehabt. Und damit war mir meine gesamte Lebenswelt um die Ohren geflogen.
Meine Noten verschlechterten sich massiv, trotzdem schaffte ich noch mein Abitur an dem Gymnasium. Danach zog ich sofort weg. Nach Bonn, zum Studieren. Dort trat ich mehreren Organisationen bei, unter anderem einer lesbischen Gruppierung. Das war enorm bestärkend, zu Schulzeiten hatte ich mich doch quasi wie die einzige lesbische Frau in Deutschland gefühlt. Auch, weil es keine öffentlichen Vorbilder gab.
1991 zogen über 250 schwule und lesbische Pärchen bundesweit vor die Standesämter und demonstrierten gegen die Diskriminierung. Auch in vielen Städten in NRW. Ich war mittlerweile Leiterin der „hier & heute“-Redaktion. Und kommentierte diese „Aktion Standesamt“ für die „Aktuelle Stunde“ sehr positiv. Ab diesem Beitrag wusste eigentlich jeder Bescheid.
Ich habe aber nach meinem Zwangsouting ohnehin nie versteckt gelebt. Auch, weil ich denke, dass ein offenes Leben im öffentlichen Raum das beste Mittel ist, gegen Vorurteile und für mehr Toleranz einzutreten.“