Bergisch Gladbach – Die klassische Wahlkampfrede geht in etwa so: Wir haben diese und jene Leistungen vorzuweisen, haben das noch vor und fordern all unsere Sympathisanten auf, dem blöden politischen Gegner eins auszuwischen. Der Bundesvorsitzende Friedrich Merz hielt im Bergischen Löwen eine ganz andere Rede.
Trotz Landtagswahlkampf sprach Merz fast ausschließlich von der Ukraine und all den Folgen, die sich aus diesem Krieg ergeben. Ein ziemlich düsteres Bild, bei dem den Bürgern und Wählern keine Wohltaten versprochen wurden, sondern im Gegenteil massive Einschränkungen. Die Rede war vom „Ende des Geschäftsmodells“. Billiges Gas aus Russland und preiswerte Importe aus China – das war einmal.
Merz steht unter dem Eindruck seiner Ukraine-Reise
Für Merz ist die derzeitige Situation keine Krise, sondern das neue Normal. „Die Weltkarte wird neu gezeichnet“, so Merz. Er selbst stehe noch ganz unter dem Eindruck seiner Reise nach Kiew. Der Kontrast zu einem wunderbaren Frühlingstag in Bergisch Gladbach könne nicht krasser sein: „Was leben wir doch in einem wunderschönen, friedlichen und freien Land.“ Damit das so bleiben könne, müsse Deutschland aufwachen. Autokraten und Diktatoren müsse man mit Stärke gegenübertreten. Und – auch das eine Perspektive von Merz – in den USA sei es denkbar, dass Donald Trump wieder Präsident wird. Dann wäre es vorbei mit dem Schutz der Großmacht.
Seitenhiebe gab es für den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz – aber eindrucksvoller war sein Lob für die Grünen-Minister. Die Außenministerin Annalena Baerbock mache einen „guten Job“ und „Respekt“ zollte er Robert Habeck für dessen Leistungen bei der Reduzierung der Abhängigkeit vom russischen Gas. Das waren alles sehr nachdenkliche Töne.
Vorlesungen aus Kiew funktioneren gut
Rund 45 Minuten sprach Merz im Bergischen Löwen. Konkrete Themen im Landtagswahlkampf? Eher Fehlanzeige. Merz berichtete von einer ukrainischen Studentin, die als Flüchtling übers Internet weiter an Vorlesungen und Seminaren teilnimmt. „Das Internetstudium funktioniert in der Ukraine im Krieg besser als bei uns im Frieden.“
Lob gab es für NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst („Toll , wie er sich in so kurzer Zeit als Ministerpräsident eingearbeitet hat“) und besonders für NRW-Innenminister Herbert Reul, der im Bergischen Löwen ebenfalls auftrat. Er kandidiert im Nachbar-Wahlkreis 22, und zusammen mit dem Bundestagsabgeordneten Hermann-Josef Tebroke unterstützt er in Bergisch Gladbach die Direktkandidatur von Martin Lucke. Reul ist im Wahlkampfmodus. Er berichtet von einem Gespräch, in dem er persönlich ausdrücklich gelobt worden sei – „aber der Mann will trotzdem wieder SPD wählen, das ist doch verrückt“.
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Der Minister appellierte an die eigenen Leute, sich noch einmal richtig ins Zeug zu legen. Jeder im Saal – der Bergische Löwe war etwa zur Hälfte gefüllt – solle versuchen, Wähler auf die Seite der Union zu bringen. 60 Prozent, so referierte Reul, würden seine Sicherheitspolitik gut finden und unterstützen. Merz sprach nach Reul, und im Vorbeigehen klopfte er ihm lachend auf die Schulter: „Das Wahlziel ist also klar: 60 Prozent.“ Und dann ging er ans Rednerpult – und es wurde ernst.