Die Polizei hat am Mittwochmorgen einen weiteren Tatverdächtigen im Missbrauchsfall von Bergisch Gladbach festgenommen.
Bei dem Mann handelt es sich um einen 32-jährigen Bergisch Gladbacher, der zwei Kinder aus seinem Umfeld missbraucht haben soll.
Im Landtag wurden am Mittwoch weitere Details zu den Ermittlungen bekannt.
Womöglich hätte das Netzwerk früher aufgedeckt werden können.
Bergisch Gladbach – Die Aktion verlief reibungslos. Mit einer Ramme brachen die Polizisten am Mittwochmorgen die Haustür im Bergisch Gladbacher Stadtteil Hand auf. Die Zeit drängte, der Verdächtige sollte keine Gelegenheit erhalten, noch rechtzeitig PC oder Handy auszumachen, während die Beamten mit einem Durchsuchungsbeschluss warteten.
Die brachiale Maßnahme sollte den Ermittlern die Mühe ersparen, mit aufwendigen Mitteln die Passwörter von Rechnern und Mobiltelefonen knacken zu müssen. Die Beamten nahmen den 32-jährigen Hausherrn fest. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ soll er sich zwei Kindern aus seinem Bekannten- und Familienkreis unsittlich genähert haben.
Die achte Festnahme in Nordrhein-Westfalen
Die Opfer sind den Angaben der Polizei zufolge zwei und sechs Jahre alt. Gegen den Beschuldigten erging am Mittwochnachmittag Haftbefehl wegen sexuellen Missbrauchs nebst der Verbreitung kinderpornografischen Materials in einschlägigen Chats. Fall acht aus NRW im laufenden Missbrauchsverfahren, weitere Festnahmen liefen bereits in anderen Bundesländern.
Auf die Spur des Beschuldigten war die Sonderkommission „Berg“ durch die Auswertung tausender Chatverläufe eines 42-jährigen Familienvaters aus Bergisch Gladbach gekommen. Jörg L., ein Krankenhausmitarbeiter, war vor fast drei Wochen verhaftet worden, weil er seine kleine Tochter missbraucht haben soll und in Foren von bis zu 1800 Teilnehmern mit Gleichgesinnten Bilder und Dateien austauschte.
Chatverläufe liefern Hinweise auf weitere Verdächtige
Seine umfangreiche Kommunikation via Messengerdienste liefert zahlreiche Spuren auf weitere Täter, die Kinder missbrauchten. Viele von ihnen agieren in den Missbrauchs-Zirkeln unter falschen Namen. So auch der 32-Jährige. Nur durch kriminalistische Puzzlearbeit, in dem man verschiedene Chatverläufe ein und demselben Täter zuordnen konnte, gerieten die Ermittler auf die Fährte des Mannes.
Die Operationen in einem der größten Missbrauchs-Komplexe weiten sich aus. Derzeit suchen 360 Ermittler anhand beschlagnahmter Handys und Computer nach weiteren Tätern. Am Dienstagabend hatten die Kriminalbeamten genug gegen einen weiteren Tatverdächtigen aus einem anderen Bundesland zusammengetragen.
Helikopter soll Akten zur Dienststelle bringen
Damit die Originalakten möglichst schnell zur zuständigen Dienststelle kamen, wurde ein Hubschrauber eingesetzt. Zu unsicher erschien der Soko ein Transfer des Beweismaterials via Mail oder über andere digitale Kanäle. Der Helikopter hob ab, angesichts eines Unwetters musste der Pilot jedoch zum Standort zurückkehren. Ein Wagen brachte das Material schließlich zu einem Treffpunkt mit den auswärtigen Kollegen.
Zahlreiche Verdächtige wurden mittlerweile auch außerhalb von NRW identifiziert. So etwa in Kassel und im Taunus. Recherchen dieser Zeitung ergaben, dass ein inzwischen inhaftierter Familienvater aus dem Taunus, der ebenfalls zu dem Chat-Zirkel gehörte, die Vorwürfe teils eingeräumt hat.
Staatsanwalt: „Die Übergriffe waren massiv“
Oberstaatsanwalt Oliver Kuhn aus Wiesbaden teilte auf Anfrage mit, dass der 38-jährige Tatverdächtige „eine geständige Einlassung abgegeben hat, allerdings nicht ganz umfänglich“. Es geht um Kinder und Stiefkinder im Alter zwischen einem und zehn Jahren. „Die Übergriffe waren massiv“, sagte Kuhn.
Laut NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) wurden im ersten Halbjahr 2019 schon 1408 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern in NRW bekannt. Trotz der Pannen im Serien-Missbrauchsfalls auf einem Campingplatz im westfälischen Lügde gehen manche Staatsanwaltschaften offenbar nicht stringent gegen die mutmaßlichen Täter vor.
Wesel: Justiz gibt Ermittlungsfehler zu
Im Rechtsausschuss des Landtags wurden am Mittwoch neue Details aus den Ermittlungen gegen einen 26-jährigen Familienvater aus Wesel bekannt. Sein fünfjährige Stiefsohn hatte das Verfahren ins Rollen gebracht. Er berichtete, dass der Stiefvater ihn im Genitalbereich angefasst habe. Der Zeitsoldat gab daraufhin bei der Polizei zu, sexuelle Handlungen an dem Jungen und seiner dreijährigen Tochter vorgenommen zu haben. Auch beteuerte er, reinen Tisch machen zu wollen. Ein Kontaktverbot wurde verhängt. Und so sah die Justiz davon ab, bei dem Militär zu durchsuchen, sein Handy und Datenträger zu durchforsten. Ein Fehler.
Womöglich wären die Ankläger viel früher darauf gestoßen, dass der Beschuldigte nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Im Oktober informierte die Kölner Sonderkommission die niederrheinischen Kollegen, dass man kompromittierende Chats nebst Videos des 26-Jährigen gefunden habe. Darunter auch Missbrauchsdateien seiner Schützlinge. Ein Abteilungsleiter im Justizministerium räumte denn auch ein, dass der Zeitsoldat sich womöglich noch im August an seiner dreijährigen Nichte vergangen habe.
Die Ermittlungsakte lag lange Zeit auf Eis
„Das wäre fatal“, meinte Sven Wolf, Vize-Fraktionschef der SPD im Landtag. „Dann bekäme der Zeitraum bis zum Haftbefehl und das zögerliche Eingreifen der Justiz eine ganz andere Bedeutung.“ Zudem wurde bekannt, dass die Ermittlungsakte lange auf Eis lag. Zunächst war der zuständige Staatsanwalt erkrankt und sein Vertreter in Urlaub gewesen. Der Fall wanderte zu einer Kollegin, die aber ebenfalls zunächst in Ferien ging.
Schwer verständlich erscheint ferner, warum die Strafverfolger in Kleve bis heute auf eine Vernehmung der Opfer verzichteten. Es stelle sich die Frage, ob der Verzicht auf die Vernehmung „nicht ein schwerer handwerklicher Fehler“ gewesen sei, sagte Stefan Engstfeld, Justizexperte der Grünen. Die Staatsanwaltschaft hätte eine sensible Befragung sicherstellen müssen. „Denn möglicherweise hätten die Aussagen der Kinder die Schwere der Missbräuche früher ans Licht gebracht“, so Engstfeld.