Seit 2005 gehört die Skulptur „Capricorne“ zu den Hauptattraktionen des Max-Ernst-Museums in Brühl. Doch der Leihgeber, die Deutsche Bank, will das Werk nun für einen Millionenbetrag verkaufen.
„Eine Katastrophe“Max-Ernst-Museum verliert Hauptwerk – Deutsche Bank kündigt Leihvertrag
Das Max-Ernst-Museum des LVR in Brühl droht eine seiner größten Attraktionen, Max Ernsts Skulptur „Capricorne“, zu verlieren. Wie diese Zeitung von der Deutschen Bank erfuhr, hat das Geldinstitut, das eine Kunstsammlung mit über 55.000 Werken hat, den mit der Stiftung Max Ernst geschlossenen Leihvertrag über das Werk zum 30. September dieses Jahres gekündigt, um es am Kunstmarkt veräußern zu können.
Ein Sprecher der Deutschen Bank begründete dies mit der Neuausrichtung der hauseigenen Sammlung: „Mit der Beendigung des Leihvertrages für die Skulptur Capricorne von Max Ernst setzt die Deutsche Bank ihre 2020 begonnene Fokussierung der Sammlung auf zeitgenössische Kunst fort. Zugleich nutzt sie die geplante Veräußerung, um ihr weltweites gesellschaftliches und kulturelles Engagement weiterzuentwickeln.“
Auf Anfrage dieser Zeitung nannte Jürgen Wilhelm, Vorsitzender des Vorstands der Max-Ernst-Stiftung, die Pläne der Deutschen Bank „eine kulturpolitische Katastrophe für das Max-Ernst-Museum und das Land Nordrhein-Westfalen“. „Capricorne“ sei eine ikonografische Plastik, die für Ernsts weltberühmtes Gesamtwerk stehe und identitätsstiftend für das Brühler Museum sei. Wilhelm kündigte an, sich in der Sache direkt an Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing wenden zu wollen.
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„Capricorne“ (dt. Steinbock) zählt zu Hauptwerken des in Brühl geborenen Surrealisten Max Ernst. Die Urform der vierteiligen Figurengruppe entstand 1948 in einem Wüstenort in Arizona, wohin sich Ernst gemeinsam mit der Malerin Dorothea Tanning nach seiner Scheidung von Peggy Guggenheim zurückgezogen hatte. Sie vereint einen stierköpfigen „König“, der mit Zepter auf seinem Thron sitzt, eine langhalsige Königin, ein fischiges Kind auf des Königs Schoß sowie einen mondgesichtigen Hund zu seinen Füßen. Ernst nahm für sein „Familienbild“ Anleihen bei der indigenen Wüstenkultur sowie der europäischen Mythologie und baute die einzelnen Figuren aus Fundstücken zusammen; das Zepter besteht aus Milchflaschen, der Frauenkörper teilweise aus Autofedern.
In seine endgültige Form ließ Ernst die Steinbock-Fantasie in den 1960er Jahren gießen, nachdem er nach Europa zurückgekehrt war. Eine Gipsform von „Capricorne“ befindet sich heute im Besitz der Berliner Nationalgalerie, die insgesamt wohl zwölf Bronzeabgüsse gehören unter anderem Museen in Washington, New York, Paris, Teheran und Mannheim. Die Brühler Version wurde 1981, also nach dem Tod des 1976 verstorbenen Künstlers, gegossen, und 1982 von der Deutschen Bank für den Innenhof ihrer Düsseldorfer Filiale an der Königsallee erworben. Seit Eröffnung des Max-Ernst-Museums im Jahr 2005 ist es dort als Dauerleihgabe zu sehen.
Das Museum sucht nach Stiftungen, die sich am Kaufpreis beteiligen
„Capricorne“ wäre nicht das erste Kunstwerk, das die Deutsche Bank auf dem Kunstmarkt versilbert. Laut eigener Darstellung hat sie seit Oktober 2020 rund 150 Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken und kleinere Skulpturen über den Auktionshandel verkauft, die nicht zum Sammlungsschwerpunkt, zeitgenössische Arbeiten auf Papier und Fotografien, gehören. Es ist aber das prominenteste Werk und, soweit bekannt, das erste, das für den Verkauf als Dauerleihgabe aus einem Museum abgezogen wurde.
Ein Sprecher der Deutschen Bank betonte, dass es eine Option sei, dass „Capricorne“ im Max-Ernst-Museum verbleiben könnte – sofern sich beide Seiten auf einen Kaufpreis einigen. Allerdings dürfte dieser deutlich über dem liegen, was sich die öffentliche Hand, das Museum gehört zum Landschaftsverband Rheinland, in der Regel leisten kann oder leisten mag. Als im November 2022 die Sammlung des Microsoft-Mitbegründers Paul. G. Allen beim New Yorker Auktionshaus Christie’s versteigert wurde, erzielte eine deutliche kleinere Max-Ernst-Skulptur sensationelle 24 Millionen US-Dollar. Der Schätzpreis hatte bei acht bis zwölf Millionen US-Dollar gelegen. Es ist gut möglich, dass sich die Deutsche Bank einen Erlös in ähnlichen Größenordnungen erhofft.
Jürgen Wilhelm sieht die Option eines Ankaufs in einem positiven Licht. Es sei aber klar, dass die Max-Ernst-Stiftung einen derartigen Kaufpreis nicht allein aufbringen könne. Man wolle daher versuchen, Mitstreiterinnen unter anderen Kulturstiftungen zu finden. „Ein Ankauf im Verbund wäre die beste Lösung“, so Wilhelm. Dies brauche jedoch Zeit. Daher werde er, so Wilhelm, dafür werben, dass „Capricorne“ über das Kündigungsdatum hinaus im Brühler Museum verbleiben könne.
Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, dass das Land NRW die Skulptur zu national wertvollem Kulturgut erklärt. In diesem Fall könnte die Deutsche Bank „Capricorne“ zwar weiterhin veräußern, aber nicht mehr ins Ausland ausführen; mutmaßlich wäre der Verkauf dadurch weniger einträglich, der Preis ließe sich entsprechend drücken. Allerdings erscheint diese Unterschutzstellung als unwahrscheinlich, da es in Deutschland zwei weitere Varianten der Ernst’schen Steinbockfamilie gibt.