Die Erinnerungen an die Katastrophe sind noch immer wach, die meisten Spuren in Erftstadt aber beseitigt.
Zerstörerische WassermassenDrei Jahre sind seit der Flutkatastrophe in Erftstadt vergangen
Der Liblarer Mühlengraben plätschert dahin – gerade so, als könne er gar nicht über die Ufer treten und Schaden anrichten. Der schmale Bachlauf ist der Swist kurz bevor diese in die Erft mündet – zwischen Weilerswist und Bliesheim – am Sister Wehr abgezweigt. Erst kurz vor Gymnich an der Brüggener Straße fließt der Mühlengraben nach gut zehn Kilometern in die Erft.
Surreal erscheint der Gedanke, dieses friedliche Bächlein könne ein zerstörendes Potenzial haben und zu einem wilden und unkontrollierbaren Fluss werden.
Es ist der 15. Juli 2021 – Vormittag zwischen 10 und 11 Uhr. „Auf der Luxemburger Straße ertrinken die Menschen in ihren Fahrzeugen. Hilfe! Wir müssen sie retten, wir müssen ihnen helfen“, ruft eine junge Frau. Sie ist außer sich. Fassungslos blicken die Passanten von der Brücke hinunter.
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Meterhohe Wellen rissen mit, was ihnen in die Quere kam
Auf der sonst so viel befahrene Luxemburger Straße türmen sich an diesem Morgen hohe Wellen, die alles mitreißen, was ihnen in die Quere kommt. Die junge Frau ruft nach Seilen und Rettungsringen, nach irgendetwas, an dem sich die Menschen festhalten könnten.
Bereits am Vorabend hat es in Wesseling aufgrund der heftigen Regenfälle Katastrophenalarm gegeben – auch in Brühl und dem benachbarten Walberberg sind Straßen, Keller und Wohnzimmer voll Wasser gelaufen. Eine Schlammlawine am Berggeistsee oberhalb von Brühl hat eine große Schneise im Wald hinterlassen. Sie hat Bäume und Bänke in die Tiefe gerissen und Waldwege zerstört.
„Am schlimmsten war die Machtlosigkeit gegenüber diesen Wassermassen“, wird später einmal ein Feuerwehrmann sagen. Es sei einfach viel zu viel Wasser gewesen. Die Wassermassen scheinen an diesem Morgen aus allen Richtungen nach Liblar zu strömen. Dort haben sich bald wilde Wasserläufe gebildet, die vom Parkplatz am Krankenhaus und der Carl-Schurz-Straße unter dem Lärmschutzwall hindurch auf die Luxemburger Straße stürzen. Fahrzeuge werden wie Spielzeugautos herumgeschleudert.
Manche werden über die Leitplanke der Luxemburger Straße ins Regenauffangbecken gespült. Den Rufen der jungen Frau folgend sind schnell auch einige Feuerwehrleute auf der Brücke – binden Seile um das Geländer und lassen Rettungsringe hinab in das tosende Wasser. Obwohl immer mehr Wasser auf die Luxemburger Straße stürzt, steigt der Pegel auch auf der Carl-Schurz-Straße.
Der Mühlengraben schwoll zu einem gewaltigen Strom an
Der Mühlengraben ist zu einem gewaltigen Strom angeschwollen. Das Krankenhaus und das Altenheim sind bereits überflutet. Der Pegel steigt weiter und bald setzt das Wasser Wohnhäuser, Fahrzeuge und Tiefgaragen unter Wasser.
Pausenlos sind die Martinshörner der Feuerwehrfahrzeuge zu hören. Das Krankenhaus und die Ortschaft Blessem werden evakuiert. Auf den Ladeflächen großer Lkw werden Menschen in Sicherheit gebracht.
In wirklich allerletzter Sekunde hat sich unten auf der Luxemburger Straße eine Postangestellte aus ihrem sinkenden Dienstauto befreien können. „Da, die Postangestellte – sie schwimmt im Regenauffangbecken.“ Eine Frau läuft eilig zu einem der Feuerwehrleute und weist ihn auf die in den Fluten schwimmende Frau hin. Wenig später läuft eine beispielhafte Rettungsaktion. Feuerwehrleute schwimmen der Postangestellten angeseilt entgegen und ziehen sie aus dem Wasser.
Es dauert ein paar Tage, bis „vom Wunder von Erftstadt“ gesprochen wird und eine ganze Region aufatmet: Niemand ist an diesem Vormittag in den Fluten auf der Luxemburger Straße in Erftstadt ums Leben gekommen.
Nach drei Jahren sind nur noch wenige Spuren zu sehen
In den meisten Orten sieht man nur noch wenige Spuren der Katastrophe, die vor drei Jahren auch den Rhein-Erft-Kreis getroffen hat. Vor allem in Erftstadt hatte das Hochwasser erhebliche Schäden angerichtet, die flussabwärts gelegenen Kommunen sind glimpflicher davongekommen. Nicht zuletzt, weil die Erft in die Blessemer Kiesgrube strömte, sodass das Flussbett in Richtung Kerpen zeitweise sogar trocken war.
Auch wenn die Dörfer auf den ersten Blick kaum noch Spuren der Zerstörung aufweisen, bleibt noch viel zu tun. Wer genau hinschaut, sieht durchaus noch Häuser, die leer stehen.
Und auch für die Stadt bleibt noch einiges zu tun, mal ganz abgesehen vom Verfüllen der Kiesgrube. Noch müssen Brücken erneuert werden, die Turnhalle in Bliesheim, das Alte Gasthaus in Friesheim und das Vereinsheim des SC Rot-Weiß Ahrem sind weitere Projekte, die noch abgearbeitet werden müssen. Die Stadt Erftstadt müsse diese zusätzlichen Aufgaben mit eigenem Personal stemmen, sagt Gerd Schiffer, der Beauftragte für den Wiederaufbau. Zusätzliche Leute zu bekommen, sei beim derzeitigen Fachkräftemangel äußerst schwierig.
Das Land trägt der Tatsache, dass der Wiederaufbau noch länger dauert, Rechnung und hat die Bewilligungszeiten für die finanzielle Unterstützung noch einmal verlängert. Auch im Erftstädter Spendentopf ist noch Geld. Nach der Flut hatte die Stadt ein Spendenkonto eingerichtet, damit Bürgern geholfen werden konnte.
273 000 Euro sind noch da. Man hatte sich damals geeinigt, einen Sockelbetrag zurückzuhalten für Fälle, in denen beispielsweise auch nach Jahren keine Einigung mit der Versicherung erzielt werden konnte. Der Vorschlag, davon jetzt 30 000 Euro für Flutopfer in Süddeutschland zu spenden, fand in jüngsten Ratssitzung allerdings keine Mehrheit. (uj)