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BraunkohlegegnerSchwere Ausschreitungen bei zweiwöchigem Protest befürchtet

Lesezeit 6 Minuten

1200 neue Schilder warnen vor dem Betreten des unwegsamen Betriebsgeländes.

Kerpen – Das Video beginnt mit harmonischen Klavierklängen. Danach kommt der Aachener Polizeipräsident ins Bild, der sich mit besonnenem Ton direkt an die Demonstranten wendet, die ab diesem Freitag beinahe zwei Wochen gegen den Braunkohle-Tagebau im rheinischen Revier protestieren wollen.

In seinem auf Facebook veröffentlichten Appell betont Dirk Weinspach, das Grundrecht, die Meinung frei äußern zu dürfen. Er hoffe, dass die Protestaktionen, die vor allem das Aktionsbündnis „Ende Gelände“ angekündigt hat, gewaltfrei bleiben. Er schließt mit einer Warnung: „Aber wir sind auch vorbereitet, auf Straftaten und Gewalt gegebenenfalls angemessen zu reagieren.“

Noch herrscht Ruhe im Abbaugebiet, doch die Stimmung vor den drei Klimacamps ist aufgeheizt. Die Polizei Aachen, die die Einsatzleitung übernimmt, aber auch das Innenministerium befürchten schwere Ausschreitungen, wenn die Braunkohlegegner sich vor den Grabungskanten der Tagebaue Hambach, Inden und Garzweiler II oder den fünf RWE-Kraftwerken in der Region versammeln. Die Behörden reden von einer Schnittmenge zwischen den Randalierern vom Hamburger G20-Gipfel und einigen Klimaaktivisten.

Das Bündnis „Ende Gelände“ hat deutlich gemacht, was es während der Demophase vorhat. Die Aktivisten setzen auf zivilen Ungehorsam. „Mit unseren Körpern werden wir die Braunkohle-Infrastruktur blockieren – und wenn möglich, die Kraftwerke von der Versorgung abschneiden“, kündigt Janna Aljets an, Sprecherin des Bündnisses, das dem Energieunternehmen bei dessen Jahreshauptversammlung im April ein Ultimatum gestellt hat: Bis 23. August müsse RWE aus der Braunkohle-Verstromung aussteigen. „Da der Konzern bislang keine Anstalten gemacht hat, werden wir kommen müssen“, sagt Aljets.

Und ergänzt, in einem eigentümlichen Verständnis von Demonstrationsfreiheit: Bei den Aktionen könne es durchaus zu Gesetzesüberschreitungen wie etwa Hausfriedensbruch kommen, da man die „moralische Pflicht“ habe, auf die umweltschädigenden Aspekte des Braunkohleabbaus hinzuweisen. Bis zu 6000 Teilnehmer erwartet „Ende Gelände“, das trotz des angekündigten „zivilen Ungehorsams“ den Aktionskonsens unterstreicht: „Ruhig, besonnen. Die Unversehrtheit aller Beteiligten hat oberste Priorität.“

Jahrzehntelanger Konflikt

Der Konflikt zwischen Gegnern der Braunkohle sowie Behörden und dem Essener Konzern RWE schwelt seit Jahrzehnten. Doch seit Umweltaktivisten den Hambacher Wald besetzt halten, um weitere Rodungen für den Tagebau zu verhindern, hat er an Schärfe deutlich zugenommen. Immer wieder hat es in den vergangenen fünf Jahren Ausschreitungen gegeben. Steine flogen, Barrikaden brannten, es gab Verletzte. Doch die Aktivisten, die sich in selbst gezimmerten Baumhäusern in bis zu 20 Meter Höhe verschanzt halten, werden freiwillig nicht gehen.

Beim Klimacamp 2015 ist die Lage schon einmal aus dem Ruder gelaufen. Damals hatten Hunderte Demonstranten den Tagebau Garzweiler gestürmt. Laut Landesregierung sind 578 Ermittlungsverfahren eröffnet worden, aber nur in 223 Fällen konnten Beschuldigte ermittelt werden. Bisher indes gibt es noch keine Verurteilung.

Zahlreiche Verfahren sind eingestellt worden – einige gegen Zahlung einer Geldbuße. Der Straftatbestand des „Hausfriedensbruchs“ gilt zumeist nicht als erfüllt, weil der Tagebau Garzweiler bisher nicht lückenlos „umfriedet“ ist. Um dies zu ändern, baut RWE derzeit Zäune oder wirft Erdwälle auf.

Die Bergbauarbeiter indes sind genervt von den zahlreichen Protesten. Sie haben sich in der von der IG BCE organisierten Gruppe „Schnauze voll“ zusammengeschlossen, die am 24. August am neuen Autobahnkreuz Jackerath als Gegenprotest eine 30-stündige Mahnwache halten will. „Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass bei RWE Power Menschen arbeiten, die nach Schichtablauf wieder heil nach Hause kommen wollen. Das gilt auch für die im Einsatz befindlichen Polizisten.“

RWE-Vorstandschef Rolf Martin Schmitz bezeichnete die gewalttätigen Klimaaktivisten jüngst als „Ökoterroristen“. Mit solchen Begriffen kann Antje Grothus wenig anfangen. Die 53 Jahre Ernährungswissenschaftlerin hat sich vor zehn Jahren dem Braunkohle-Widerstand angeschlossen, seitdem gehört die Sprecherin der Initiative „Buirer für Buir“ zu den Wortführern des bürgerlichen Protests. „Der Widerstand wird nicht mehr differenziert wahrgenommen, sondern im Grunde pauschal kriminalisiert“, sagt sie. Schließlich gehe es im Kern doch darum, darauf aufmerksam zu machen, welche Schäden die Förderung der Braunkohle verursacht habe.

Unverzichtbare Brückentechnologie

Die Braunkohle scheidet die Geister. RWE spricht von einer unverzichtbaren Brückentechnologie, der beim Übergang zur regenerativen Vollversorgung eine Schlüsselrolle zukomme. Der Ausstieg müsse und werde schrittweise erfolgen.

2030 gehe der Tagebau Inden zu Ende, das Kraftwerk Weisweiler werde abgeschaltet, vermutlich Mitte des Jahrhunderts sei mit der Braunkohle endgültig Schluss. Auch für das Unternehmen habe der Umweltschutz eine hohe Priorität.

Man habe die Effizienz der Kraftwerke gesteigert und die Emissionen gesenkt. Aus den nicht mehr benötigten Tagebau-Flächen seien längst neue Wälder, Ackerflächen und Seen entstanden. Der Konzern betont: „Die rheinische Rekultivierung gilt unter den Fachleuten weltweit als vorbildlich.“

Aktivisten und Umweltverbände sprechen dagegen von einem „ökologischen Albtraum“. In den drei Tagebauen Inden, Hambach und Garzweiler II graben Bagger, so hoch wie siebenstöckige Häuser, bis zu 400 Meter tiefe Löcher in die Landschaft. Die fünf Kraftwerke stoßen jährlich etwa 81 Millionen Tonnen CO2 aus. 50 Dörfer und 40.000 Einwohner wurden umgesiedelt, weitere folgen.

Dauerthema ist auch die Frage, wer nach dem Auslaufen der Tagebaue für die Ewigkeitskosten aufkommt, die über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte anstehen: Seit den 1970er Jahren wird Grundwasser im Revier abgepumpt.

Diese Arbeit werde man nicht ohne weiteres einstellen können, sagt der Geschäftsleiter des BUND NRW, Dirk Jansen: „Sonst saufen die Wohn- und Gewerbegebiete in der Erftaue in Bedburg und Bergheim ab.“ Auch die großen Restseen, die im Anschluss an die Tagebaue Hambach und Garzweiler ab 2045 durch die Zuleitung von Rheinwasser entstehen sollen, bedürften der fortdauernden Beobachtung und Pflege.

Rückstellungen werden jährlich geprüft

Gewaltige Aufgaben stünden da auf Jahrhunderte bevor, deren Umfang und Kosten heute niemand abschätzen könne, betont Jansen. Angesichts dessen seien die 2,3 Milliarden Euro Rückstellungen, die RWE dafür in der Bilanz ausweist, kaum ausreichend, meint der Umweltschützer – was der Konzern bestreitet. „Unsere bergbaubedingten Rückstellungen werden jährlich durch unabhängige Wirtschaftsprüfer testiert. Sie sind in der Höhe angemessen und sicher“, sagt RWE-Sprecher Lothar Lambertz.

Akteure des Protests

Tausende von Menschen werden vom 18. bis zum 29. August zu Protestaktionen gegen den Kohleabbau im rheinischen Revier erwartet. Außer der Aktionsgruppe „Ende Gelände“ gibt es eine Reihe weitere Akteure.

Das „Jugendnetzwerk für politische Aktionen“, das in diesem Jahr einer der Preisträger des Aachener Friedenspreises ist, will „niedrigschwellige Sitzblockaden“ organisieren. Zudem gibt es Kleingruppen aus dem linksautonomen Spektrum, die unter dem Motto „Zucker im Tank“ operieren wollen. Das Motto könnte ein Hinweis darauf sein, dass diese auch vor Sachbeschädigungen nicht zurückschrecken.

Die Kohlegegner planen vom 18. bis zum 29. August drei Camps: Eines, das „Camp for the future“, wird von der BUND- Jugend in Kerpen-Manheim organisiert – geplant ist auch ein umfangreiches Bildungsprogramm mit Workshops und Vorträgen.

Das Camp befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Tagebau Hambach, wo das Bündnis „Zukunft statt Braunkohle“ am Samstag, 26. August, 12 Uhr, die Demonstration „Rote Linien gegen Kohle“ plant. Bei den weiteren Camps handelt es sich um ein „Klimacamp“ sowie das „Connecting Movement Camp“, die beide zeitgleich im Lahey-Park bei Erkelenz stattfinden sollen. (wm)