Kerpen-Buir – Um kurz nach 12 Uhr erklimmt Michael Zobel eine kleine Anhöhe unweit der stillgelegten Abfahrt Buir an der alten Autobahn 4 und blickt mit einem zufriedenen Lächeln auf die stattliche Menschenmenge, die sich am Fuße des Hügelchens versammelt hat. Der Waldpädagoge hat wie jeden Monat seit mehr als zweieinhalb Jahren auch an diesem etwas trüben Sonntag zum Waldspaziergang durch den Hambacher Forst eingeladen, und die 31. Führung durch den uralten Wald soll seine bislang größte werden, so das erklärte Ziel.
Das wird klappen, und auch der Plan, später noch gemeinsam ein eindrucksvolles Zeichen für die Rettung des Rest-Forstes vor den RWE-Baggern zu setzen, geht auf: Hunderte Braunkohlengegner bildeten am Sonntagnachmittag auf der Trasse der alten Autobahn zwischen Morschenich und der ehemaligen Abfahrt Buir eine rund 1,5 Kilometer lange Menschenkette. Viele waren rot gekleidet und hielten ein langes rotes Band fest. Die Botschaft war klar: Bis hierhin und nicht weiter! An dieser symbolischen roten Linie sollen die von Norden anrückenden Rodungsmaschinen und die Braunkohlebagger Halt machen.
„Zumindest das kleine, aber besonders wertvolle Waldstück südlich der alten A 4 wollen wir retten. Und wir geben die Hoffnung nicht auf, dass RWE vielleicht doch noch einlenkt“, erklärt Zobel, der von der rührigen örtlichen Initiative Buirer für Buir und vielen anderen Gruppen unterstützt wird.
Spätestens seit gestern wissen die Aktivisten, dass sie dabei nicht wenige Menschen auf ihrer Seite haben. Jedenfalls hat Michael Zobel, der nicht nur den Wald, sondern offenbar auch Zahlen liebt, einige Helfer nachzählen lassen: Genau 498 Kinder, Männer und Frauen sind gekommen; im Laufe des Tages wird die Zahl auf mehr als 600 steigen. „Meine optimistischsten Erwartungen lagen bei 500 Leuten“, sagt Zobel, „dass es noch mehr geworden sind, ist traumhaft. Bis dato waren bereits 1842 Menschen mit mir im Hambacher Forst.“
Älteste Spaziergängerin: eine Dame von 86 Jahren.
Der jüngste Gast saß noch auf Papas Schulter und war, wie Zobel bei einer spontanen Befragung im Rahmen der Eröffnungskundgebung ermittelte, gerade sechs Monate. Älteste Spaziergängerin: eine Dame von 86 Jahren. Menschen aus ganz Nordrhein-Westfalen und sogar aus Amsterdam und Paris waren angereist, und als Zobel fragte, wer denn zum ersten Mal im Hambacher Forst sei, gingen sehr viele Hände hoch: „Das nur für die RWE-Mitarbeiter, die gern auf Facebook posten, es käme doch immer nur das gleiche Dutzend Öko-Spinner.“
Beim ersten Teil des behördlich genehmigten, polizeilich geschützten und absolut friedlichen Sonntagsausflugs stand das Naturerlebnis im Mittelpunkt: Zobel und seine Mitstreiterin Eva Töller führten die Gruppe in besonders schöne Teile des Forstes, etwa an einen idyllischen Teich, wo im Frühling zigtausende Maiglöckchen blühen. Diesmal wurde angesichts der Gruppengröße nicht so viel erklärt wie sonst, und auch den Abstecher zum Wiesencamp der Braunkohlegegner sparte man aus: „Lasst diesen wunderbaren Wald heute einfach auf euch wirken“, bat der Exkursionsleiter.
Nach einer Ruhepause folgte dann die Aktion Rote Linie als politischer Teil des Ausflugs. Eine Vision der Buirer für Buir und anderer Gruppen lautet, dass Bund, Land und Region einen Fonds auflegen und das Gelände südlich der alten A4 von RWE zurückkaufen sollen, um dort ökologische und bergbaugeschichtliche Projekte zu verwirklichen. Eine Online-Petition ist seit einigen Tagen bei weact-campact.de im Netz. Der Energiekonzern soll zu einer Denkpause bewegt werden und die Rodungsarbeiten vorübergehend stoppen. Dies lehnt RWE bislang ab. Aber Michael Zobel lässt nicht locker: „Schon morgen werden einige unserer Leute wieder mit RWE sprechen. Vor dem Signal, das wir heute hier gesetzt haben, kann der Konzern doch nicht einfach die Augen verschließen.“