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KeyenbergTausende protestieren gegen Umsiedlung – Viele Bewohner wollen aber umziehen

Lesezeit 3 Minuten

2000 bis 3000 Demonstranten nahmen an der Kundgebung in Keyenberg teil.

Erkelenz – Keyenberg hat keine Chance an diesem Samstagnachmittag. Zu Fuß und auf Fahrrädern strömen die Kämpferinnen und Kämpfer für den Klima- und Heimatschutz zu Tausenden aus allen Himmelsrichtungen mit bunten Fahnen und Transparenten herbei, um das Dorf, das in spätestens vier Jahren endgültig dem RWE-Braunkohlentagebau Garzweiler weichen soll, nach einem geschickt ausgeklügelten Marschplan in Beschlag zu nehmen. Widerstand ist zwecklos; die Zahl der Auswärtigen übersteigt die der rund 700 verbliebenen Einwohner bei weitem.

Aber keine Angst, die Marschierer kommen in friedlicher und subjektiv guter Mission: Im letzten Moment wollen sie die von Osten herannahenden Schaufelradbagger, die am Horizont schon zu sehen sind, noch stoppen, um das mehr als 1000 Jahre alte Keyenberg und vier bedrohte Nachbardörfer zu retten.

Mehrheit der Bewohner von Keyenberg hat sich mit RWE geeinigt

Dass die Mehrheit der Bewohner sich mit RWE schon auf eine Umsiedlung ins neue Gemeinschaftsdorf Erkelenz-Nord geeinigt hat und anscheinend eigentlich gar nicht mehr gerettet werden will, spielt am Aktionstag nur eine untergeordnete Rolle. „Aus Rücksichtnahme auf die Bevölkerung“ hat man die Hauptkundgebung aber auf eine Straßenkreuzung vor dem Ortsrand verlegt und bittet mit Lautsprecherdurchsagen mehrfach darum, die Leute im Dorf nicht aufdringlich zu behelligen.

Alles zum Thema RWE

„Wer das Angebot von RWE annehmen möchte und gehen will, der soll auch gehen dürfen. Wir wollen da niemandem irgendwelche Vorschriften oder Vorwürfe machen“, betont Sabine Hollax vom Aktionsbündnis „Alle Dörfer bleiben“. Aber es gebe eben nach wie vor auch noch viele, die ihre Heimat nicht verlassen möchten. Für und mit diesen Menschen kämpfe man, und natürlich für einen schnellen Ausstieg aus der klimaschädlichen Braunkohle.

Gelbes X ist Zeichen der Widerstandsbewegung in Keyenberg

Dass Keyenberg in dieser Schicksalsfrage gespalten ist, spürt man an diesem Tag deutlich. Manche Einwohner haben die Rollladen heruntergelassen und lassen sich nicht blicken. Einige betrachten das Treiben auf der Dorfstraße kopfschüttelnd und sichtlich schlecht gelaunt aus dem Fenstern. Ein Mann übt vom Logenplatz im Obergeschoss seines Hauses in der Borschemicher Straße aus permanent das Vogel-Zeigen und die Scheibenwischer-Geste, als der Demonstrationszug vorbeigeht. „Man soll uns doch endlich in Ruhe lassen. Vor zehn oder 20 Jahren hätte das alles vielleicht was gebracht“, knurrt ein älterer Herr, „jetzt ist es zu spät. Die meisten hier haben sich damit längst abgefunden und machen neue Pläne.“

Mit gelben Kreuzen, Grabsteinen und trotzigen Parolen unterstrichen die Teilnehmer ihren Protest.

Aber eben nicht alle: Nicht wenige Häuser sind mit dem gelben X, dem Zeichen der Widerstandsbewegung, geschmückt. Bäcker Laumanns hat in einer Sonderschicht süße Leckereien für die Marschierer gebacken. Der Ponyhof am Ortseingang ist zur Verpflegungsstation geworden; in der Reithalle dokumentiert eine Ausstellung die Geschichte der Vertreibungen, und ein paar Meter weiter hat ein Einwohner seinen Garten in einen mahnenden „Friedhof der zerstörten Dörfer“ verwandelt. Dutzende Kreuze sind zu sehen, zudem einige optisch trotzig hervorgehobene Ortsschilder: „Keyenberg bleibt! Berverath bleibt! Kuckum bleibt!“

Protest vom Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ geplant

Begonnen hatte der vom Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ geplante und von zahlreichen lokalen und überregionalen Initiativen unterstützte Sternmarsch schon am Vormittag. Von Hochneukirch, Wanlo, Erkelenz-Mitte, Holzweiler, Kerpen-Horrem und vier weiteren Startpunkten aus machten sich stattliche Gruppen mit meist jeweils mehreren Hundert Teilnehmern auf den Weg nach Keyenberg. Dort fanden sich nach Veranstalterangaben in der Spitzenzeit rund 3000, nach Polizeischätzungen knapp 2000 Demonstranten ein.

Mit gelben Kreuzen, Grabsteinen und trotzigen Parolen unterstrichen die Teilnehmer ihren Protest.

Der Auftakt-Hotspot, der den Schulterschluss mit den Initiativen zur Rettung des Hambacher Waldes verdeutlichen sollte, war das bereits größtenteils abgerissene Dorf Immerath, wo Antje Grothus von den „Buirern für Buir“, Dirk Jansen vom BUND, Naturführer Michael Zobel, Bastian Neuwirth von Greenpeace und weitere Rednerinnen und Redner heftige Kritik an RWE und der NRW-Landesregierung übten. Der Hambacher Forst und die Dörfer könnten entgegen der RWE-Argumentation gleichzeitig erhalten bleiben. Ein Team des „Ende Gelände“-Bündnisses kündigte für den 19. bis 24. Juni „Massenaktionen des zivilen Ungehorsams mit Stilllegungen der RWE-Infrakstruktur“ an.

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