Noch im Oktober 2023 hatte er einen Parteiaustritt ausgeschlossen. Seitdem haben sich die Linke und eines ihrer Aushängeschilder in Rhein-Erft weiter entfremdet.
„Politische Heimat verloren“Linken-Mitbegründer in Rhein-Erft verlässt Partei
Die Linke im Rhein-Erft-Kreis verliert einen ihrer prägenden Köpfe. Hans Decruppe (71) hat am Mittwoch den Parteivorstand über seinen Austritt informiert, tags darauf teilte er seinen Schritt öffentlich mit. Der Bergheimer sagt, er fühle seine politischen Ansichten und Themen von der Linkspartei nicht mehr ausreichend vertreten.
Mit „einer konsequent gewerkschaftlichen und interessenorientierten Grundhaltung“ sei er erkennbar fehl am Platz, sagt Decruppe. Die kleinen Leute, vor allem Arbeitnehmer und Rentner und sozial Ausgegrenzte, verbinden mit der Linken heute keine politischen Erwartungen mehr. Diese Einschätzung teile er.
Seit 2009 ist Decruppe Fraktionsvorsitzender der Linken im Bergheimer Landtag
Und als jemand, der mehr als 50 Jahre für friedens- und abrüstungspolitische Ziele aktiv war, habe ihn zudem „die – höflich ausgedrückt – unklare Haltung der Parteispitze zur Friedensbewegung“ entfremdet und befremdet. „Dann sollte man besser gehen.“ Er empfinde diese Entwicklung auch als persönliche politische Niederlage, „bitte aber, das nicht als politisches Jammern zu verstehen, sondern als objektive Feststellung“.
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Hans Decruppe war 2005 der Linken beigetreten, genauer gesagt deren Vorläufer-Organisation WASG. Den Kreisverband Rhein-Erft hat der Rechtsanwalt mitgegründet und als dessen Delegierter 2007 in Berlin mit der Fusion von WASG und Linkspartei.PDS die Partei Die Linke aus der Taufe gehoben. Seit 2009 ist der 71-Jährige Mitglied des Kreistags und Vorsitzender der Kreistagsfraktion.
Decruppe hatte als Landrat kandidiert und war bei Landtagswahlen angetreten
Sechs Jahre war Decruppe Mitglied des Bundesausschusses und von 2018 bis 2022 stellvertretender Sprecher im Landesvorstand NRW. Er hatte unter anderem 2020 als Landrat kandidiert und war bei Bundestags- und Landtagswahlen angetreten.
Noch im Oktober hatte der Bergheimer es ausgeschlossen, die Linke zu verlassen – jedenfalls so lange nicht, wie das „Erfurter Parteiprogramm“ gelte und nicht „durch neoliberale, identitätspolitische oder Aufrüstung befürwortende Aussagen ausgehöhlt“ werde. Offenbar die Entwicklungen der vergangenen Wochen haben ihn zum Umdenken gebracht. Hintergrund war die Spaltung der Partei durch das neue „Bündnis Sahra Wagenknecht“, im Zuge dessen Martina Thomas ihr Parteibuch zurückgegeben hatte. Ihr Mandat als Kreistagsabgeordnete behielt sie aber.
Diesen Weg will Decruppe auch gehen. Dies habe er mit den Fraktionsmitgliedern am vergangenen Wochenende besprochen; es sei zudem deren Wunsch, dass er sein Mandat behalte. Somit verbleibt allein Annetta Ristow als Linke in der vierköpfigen Kreistagsfraktion der Linken. Liobar Mélon hatte sich der Fraktion nach ihrem Weggang von der SPD angeschlossen.
Der 71-Jährige hatte wiederholt Sympathie für Sahra Wagenknechts Positionen geäußert. Er teile ihre Einschätzung, dass im Parteiensystem dieser Gesellschaft „eine Repräsentationslücke für die sozialen und politischen Anliegen der kleinen Leute besteht“, sagte er im Oktober 2023. Und im August 2022 sagte er, die Politikerin habe mit ihren Aussagen zu gesellschaftlichen Entwicklungen nicht unrecht. Dies wollten nur viele nicht hören, weil es unbequem sei.
Die Frage nach einem Parteiwechsel könne er zum jetzigen Zeitpunkt klar mit „Nein“ beantworten, sagte der Jurist. Ob es parteipolitisch eine neue Heimat für ihn geben werde, sei zweifelhaft. Das schließe nicht aus, „dass ich mich in Zukunft wieder einer Partei anschließe, wenn dies aus rationalen Gründen Sinn ergibt“.
Die Gründung des „Bündnisses Sahra Wagenknecht“ wirkt sich auch auf den Frechener Stadtrat aus. Nachdem Peter Singer und Hauke Dressel die Linke verlassen haben, firmiert die Fraktion künftig unter dem Namen „Fraktion Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit im Rat der Stadt Frechen". Der dritte im Bunde ist Lars König, er ist parteilos. Singer: „Wir waren schon seit langem damit unzufrieden, dass die Spitze der Linkspartei nicht mehr als klar erkennbare Opposition auftritt, sondern als weichgespülte ,Ja, aber . . .‘-Partei.“ Mit diesem Kurs sei sie unter die Wahrnehmungsgrenze der Bevölkerung gesunken.
Seit Gründung des „Bündnisses Sahra Wagenknecht“ 13 Mitglieder verloren
Stefan Söhngen, Kreissprecher der Linken, bedauert Decruppes und Singers Austritte. „Der Verlust von zwei Urgesteinen linker Politik im Rhein-Erft-Kreis schmerzt uns persönlich und politisch.“ Besonders schmerzlich sei auch der Verlust der Fraktion im Frechener Stadtrat.
Die Linke in Rhein-Erft hat eigenen Angaben zufolge seit der Ankündigung der Gründung einer Partei durch Sahra Wagenknecht im Oktober 2023 insgesamt 13 Mitglieder verloren und konnte sieben neue Mitglieder hinzugewinnen. Somit gehören der Partei aktuell 136 Mitglieder an.