„Welle hat uns alle überrollt“Kreisbrandmeister über den Einsatz während der Flut
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Erftstadt – Kreisbrandmeister Peter Fenkl im Interview über den Hochwassereinsatz in Erftstadt. Bernd Rupprecht und Udo Beißel sprachen mit ihm.
Herr Fenkl, die Hochwasserkatastrophe ist neun Wochen her, wichtig ist die Aufarbeitung auch für alle Einsatzkräfte. Wie intensiv sind Sie damit beschäftigt?
Fenkl: Wir wollen die Dinge, die gut waren, wie auch die Dinge, die nicht so gut verlaufen sind, genau analysieren. Die Leitstelle ist gerade dabei, den riesigen Wust an Papieren und anderen Informationen zusammenzustellen. Es gibt ein Einsatztagebuch aus der Einsatzleitung in Erftstadt. Alles wird jetzt zusammengeführt. In den nächsten Tagen werden wir uns alles genau anschauen, damit wir zu Ergebnissen kommen. Parallel gibt es auch schon von höherer Stelle eine Nachbearbeitung. Vor vier Wochen waren bereits einige Kreisbrandmeisterkollegen bei Innenminister Reul, der von den Einsatzkräften eine erste Manöverkritik haben wollte. Da kam zur Sprache, was gut gelaufen ist, aber auch, wo es Probleme gab.
Peter Fenkl (52) wohnt in Pulheim. Er ist Mitglied der Feuerwehr Pulheim und wurde 2017 zum Kreisbrandmeister ernannt. Der Kreisbrandmeister unterstützt den Landrat bei der Aufsicht über die Feuerwehren und bei der Durchführung der vom Kreis übertragenen Aufgaben. Hauptberuflich ist Fenkl kaufmännischer Einrichtungsleiter bei der Caritas. (be)
Vor allem in den ersten Stunden der nahenden Katastrophe hat es Probleme mit der Kommunikation der Einsatzkräfte untereinander gegeben. Was lief da schief?
Wir hatten erhebliche Probleme aufgrund des Ausfalls des Digitalfunks. Das haben wir auch bei Herrn Reul angesprochen, und das wird nachgearbeitet werden müssen. Schon im Verlauf des Mittwochs gab es Probleme, die sich am Donnerstag fortgesetzt haben. In der Katastrophe war zeitweise der Mobilfunk nicht nutzbar, so dass zeitweise die Kommunikation zwischen Einsatzleitung und den Einsatzkräften gehemmt war.
Wie haben die Einsatzkräfte kommuniziert, wenn der Funk ausgefallen war?
Vor allem per Telefon und soweit möglich per Funk.
Es hieß auch per Boten?
Ja, das gab es auch. Wir haben ja Motorrad-Melder. Die sind eingesetzt worden, aber nicht in der ersten Phase.
Was muss da schnell verbessert werden, um künftig besser aufgestellt zu sein?
Ein ganz kritischer Punkt ist der Digitalfunk. Wir müssen überlegen, wie wir besser arbeiten können, wenn wir keinen Strom haben. Das Problem wird schon länger im Katastrophenschutz diskutiert. Es gibt schon Vorgaben, dass unsere Infrastruktur ertüchtigt werden muss.
In den Fachmedien ist zu lesen, dass der fehlende Notstrom der Digitalfunkmasten das Problem sei . . .
Die Digitalfunkmasten sind nicht standardmäßig mit Notstrom versorgt. Die Anlagen haben teilweise einen Batteriesatz, der aber nicht lange Strom liefert. Garantiert wird ein Zeitraum von etwa zwei Stunden.
Es gibt doch für den Großraum Köln zehn externe Stromaggregate?
Ja, das stimmt. Aber dann muss man genau überlegen, wo das Gerät eingesetzt wird. Welchen der beispielsweise 30 Digitalmasten nimmt man, oder ist es wichtiger, in einer Klinik das Gerät einzusetzen, um die Beatmungsmaschinen weiter zu betreiben? Oder setzen Sie das Notstromgerät ein, um eine Tankstelle in Betrieb zu nehmen, damit Einsatzfahrzeuge wieder betankt werden können? Das Land NRW befindet sich aber in der Aufrüstung. 25 dieser Notstromaggregate werden jetzt angeschafft. Wir haben in Stommeln ein solches Aggregat stehen, das haben wir in der Unterkunftsstelle im Schulzentrum eingesetzt. Dort waren Bürger, die nicht die Möglichkeit hatten, bei Verwandten oder Freunden unterzukommen.
Die Alarmketten haben nicht gut funktioniert. Beispielsweise sagt die Erftstädter Bürgermeisterin Carolin Weitzel, die Feuerwehr Weilerswist habe am Donnerstagmorgen um 4.18 Uhr Großalarm ausgelöst. Die Feuerwehr Erftstadt habe aber keine Meldung bekommen. Wie kann das sein?
Ja, das stimmt. Man muss aber auch wissen, dass schon aufgrund des Starkregens am Mittwoch die Leitstellen alle an ihren Belastungsgrenzen waren und die Kollegen aus Euskirchen noch schlimmer betroffen waren als wir. Weder die Euskirchener Kollegen noch andere Behörden oder Körperschaften haben uns nachts informiert.
. . obwohl es der Nachbarkreis ist?
Ja, das stimmt. Das ist in dem Augenblick aber offenbar nicht so erkannt worden, dass das Problem auch uns betrifft. Es hat von Weilerswist keinen Kontakt zu Erftstadt gegeben.
Es ist viel davon die Rede, dass Sirenenalarm ausgelöst worden ist. In Blessem ist davon nichts angekommen. Wie auch, der Strom war ja ausgefallen. Muss man batteriegetriebene Sirenen installieren?
Es gibt seit 2016 ein Zuschussprogramm des Landes, womit die Warnmittel in den Städten und Gemeinden ergänzt werden sollen. Alle Städte im Kreis haben Planungen, wie sie ihr Sirenennetz aufrüsten möchten. Aber richtig ist auch, dass es in den betroffen Ortsteilen in Erftstadt noch alte Sirenen gibt, die ohne Strom nicht funktionieren.
Warum wurden die Blessemer nicht mit Durchsagen von Fahrzeugen gewarnt? Das wäre doch die einzig mögliche Warnung noch gewesen.
Wir hatten in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag bereits einen Wasserstand, der über einem hundertjährigen Hochwasser lag. Da der Pegel in der Nacht aber stehengeblieben war, war die Einschätzung so, dass der Pegel sich so halten würde. Über die Flutwelle, die morgens gekommen ist, wurden wir vom Erftverband erst nach 8 Uhr am Donnerstag informiert. Danach wurden Sirenenwarnungen ausgelöst sowie über die Warn-App Nina gewarnt. Auch wurde der Rundfunk informiert, der jedoch nicht gewarnt hat. Aber das Wasser kam auch viel schneller, als der Erftverband das vorhergesagt hatte. Bei den sich überschlagenden Ereignissen, war es nicht mehr möglich, Durchsagen zu organisieren. Die Flutwelle kam so schnell, dass die Einsatzkräfte am Krankenhaus, die mit der Evakuierung beschäftigt waren, sich selbst in Sicherheit bringen mussten.
Hätte das Chaos auf der B 265 mit Dutzenden schwimmenden Lkw und Pkw nicht verhindert werden können? Das Problem war doch bekannt?
Die Räumung des Krankenhauses sowie die Sperrung der Bundesstraße 265 sind in der Nacht schon diskutiert worden – dann aber aufgrund des stehenden Wasserstandes verschoben worden. Die Nachricht der Flutwelle um 8 Uhr morgens hat uns alle total überrollt. Wir haben dann aber alles getan, was in der Schnelle der Zeit noch möglich war, um möglichst viele Menschen noch zu erreichen.
Es wird mehr Bauten gegen Hochwasser geben müssen, technisch müssen wir aufrüsten, Kommunikation muss verbessert werden, der Meldedienst bedarf der Überarbeitung, das Talsperren-Management muss verbessert werden. Wie lange dauert es, bis konkret Maßnahmen umgesetzt werden?
Wir hatten bereits Gespräche mit dem Innenministerium, und ich gehe davon aus, dass das bei der Politik eine hohe Priorität hat. Natürlich müssen wir gegen den Ausfall von Infrastruktur etwas machen, aber auch im Punkt der Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung muss etwas unternommen werden. Wie bekommen wir unsere Bevölkerung fitter, in solchen Situationen richtig zu reagieren? Früher gab es den Bundesverband für den Selbstschutz. Da wurde man unter anderem in Erster Hilfe geschult und man musste Sirenensignale auswendig lernen. Es wurde auch gesagt, was man an Vorräten im Keller vorhalten sollte. Im Endeffekt fehlt uns das heute. Aber zunächst muss die Infrastruktur der Feuerwehren krisensicher gemacht werden. Dazu gehören auch durchsagefähige Sirenen.
Sie haben am 2. September in einer Pressemitteilung geschrieben: „Die Einsatzkräfte aller beteiligten Feuerwehren und Organisationen arbeiteten professionell und hoch diszipliniert, die Zusammenarbeit war vorbildlich.“ Viele Leute verstehen diesen Satz nicht. Wie ist das gemeint?
Wir hatten sehr viele Einsatzkräfte vieler Organisationen vor Ort. Wir haben morgens sofort kreisweit Kräfte zusammengezogen, die nach Erftstadt gefahren sind. Später kamen überörtliche Kräfte von Hilfsorganisationen und der Bundeswehr dazu. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet.
. . aber es gab doch auch Probleme. Wir haben gerade darüber gesprochen.
Man muss unterscheiden. Bei jedem Einsatz gibt es in der Anfangszeit eine sogenannte Chaosphase, bis man sich – und damit meine ich die Einsatzleitung – sortiert hat. Das betrifft nicht unsere Einsatzkräfte, die direkt vor Ort waren. Die haben alles gegeben. Die Einsatzkräfte, die die Patienten aus dem Krankenhaus und dem Altenzentrum gerettet haben, die Menschen auf der B 265 aus den Fahrzeugen gezogen haben oder die mit Lkw die Bürger aus dem Gefahrenbereich gerettet haben. Auf diese Einsatzkräfte beziehe ich diesen Satz. Da kamen zum Beispiel die Strömungsretter aus Hamburg nach Erftstadt und haben mit Kollegen zusammengearbeitet, die sie noch nie vorher gesehen haben. Man darf nicht vergessen, es gab keine Zeit der Vorbereitung, keine Einsatzbesprechung. Diese Zusammenarbeit hat hervorragend funktioniert.