Bonn – Der Name klingt nach Wohltat und Weihrauch: Societas Verbi Divini (Gesellschaft des göttlichen Worts). So lautet die offizielle Bezeichnung des Ordens der Steyler Missionare. Kürzt man diese lateinischen Wörter ab, wird daraus „Soverdia“, und das ist eine vollständig weltliche Firma, die von den Ordensmännern „zur Pflege des Gemeinwohls“, vor allem zur Verwaltung ihres Vermögens, gegründet wurde.
Doch ein Sankt Augustiner Pater machte als Geschäftsführer aus dieser GmbH in den 70er Jahren eine Geldwaschanlage, zum Nutzen und Frommen des Ordens, vor allem aber zum Nutzen von unzähligen Spendern.
Der Trick: Wer zum Beispiel 2000 Mark an die „Soverdia“ spendete, bekam eine Quittung über 10.000 Mark, die er steuerbegünstigend beim Finanzamt einreichen konnte. 80 Prozent der fiktiven Summe flossen an die Spender zurück, und der Fiskus hatte den Schaden, der am Ende in die Millionen ging.
Ein CDU-Bundestagsabgeordneter, gestand der fromme Mann später vor der Staatsanwaltschaft Bonn, habe ihn auf die krumme Idee gebracht und zehn Prozent für seine Zwecke eingestrichen, die übrigen zehn Prozent landeten in der Kasse des Ordenswerks. Das Geschäft blühte.
Ein Regierungsdirektor wird misstrauisch
Bis 1978. Da erhielt Regierungsdirektor Klaus Förster, Leiter der Steuerfahndung Sankt Augustin, eine Akte über die „Soverdia“ zur Prüfung auf den Schreibtisch – aus dem scheinbaren Routinevorgang entwickelte sich einer der größten Skandale der Bundesrepublik und bescherte dem Bonner Landgericht 1986/87 einen Prozess, bei dem zwei ehemalige Bundesminister und ein Flick-Manager im Schwurgerichtssaal 113 auf der Anklagebank saßen.
Historischer Bonner Schwurgerichtssaal
Der Schwurgerichtssaal des Bonner Landgerichts, das 1850 errichtet worden ist, wird saniert; er steht unter Denkmalschutz. Aus diesem Anlass blickt Dieter Brockschnieder auf spektakuläre Verfahren zurück, die in dem Saal stattgefunden haben. (dbr)
Der Finanzbeamte hatte entdeckt, dass die „Soverdia“ seit Jahren vom Flick-Konzern, damals Deutschlands größte Unternehmensgruppe im Familienbesitz, zu der unter anderem die Dynamit Nobel AG in Troisdorf gehörte, große Spendenschecks mit dem Vermerk „Projekt Steyl“ erhalten habe. Doch der Pater habe darüber in den Büchern nichts vermerkt. Insgesamt sollen mehr als zwölf Millionen Mark von Flick an die Steyler gegangen sein. Förster schaltete die Staatsanwaltschaft Bonn ein, die mit ihm Hausdurchsuchungen in der Flick-Zentrale in Düsseldorf ansetzte und Beteiligte vernahm.
Hintergrund: 1975 hatte Konzernchef Friedrich Karl Flick für 1,9 Milliarden Mark Anteile der Daimler Benz AG an die Deutsche Bank verkauft. Gut eine Milliarde Mark davon hätten versteuert werden müssen, es sei denn, der Konzern legte das Geld umgehend wieder an, und der Bundeswirtschaftsminister müsste diese Aktion als „volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig“ genehmigen. Das tat er auch.
Das Geld von Flick hatte viele Empfänger
Der Flick-Generalbevollmächtigte Eberhard von Brauchitsch hatte die politische Landschaft in Bonn intensiv „gepflegt“ und über Mittelsmänner an Entscheidungsträger der Politik großzügig das bei den Steylern oder bei dem Verein „Staatsbürgerliche Vereinigung 1954 e. V.“ gewaschene Geld verteilt.
26 Millionen Mark, so ist im „Lebendigen Museum Online“ des Bonner Hauses der Geschichte nachzulesen, habe von Brauchitsch in den 70er Jahren gesetzeswidrig an CDU, CSU, SPD und FDP ausgeschüttet. Auch die Namen der für die Steuerentscheidung im Flick-Deal zuständigen Wirtschaftsminister der FDP, Hans Friderichs und Otto Graf Lambsdorff, auch Schatzmeister der Landespartei, standen auf der Empfängerliste.
Wegen des Verdachts der aktiven und passiven Bestechung sowie Steuerhinterziehung klagte die Staatsanwaltschaft Bonn 1983 die Politiker und den Flick-Manager an. Lambsdorff legte 1984, als die Anklage vom Gericht zugelassen worden war, das Amt nieder, sein Vorgänger Friderichs war zu der Zeit Vorstandssprecher der Dresdner Bank.
Das Verfahren zog sich anderthalb Jahre hin
Am 29. August 1985 wurde der Prozess vor der 7. Großen Strafkammer, der Wirtschaftsstrafkammer des Bonner Landgerichts, unter Vorsitz von Richter Hans-Hennig Buchholz eröffnet. Eine Heerschar von Fotografen und Fernsehteams empfing die prominenten Angeklagten vor dem Gerichtsgebäude in der Wilhelmstraße. Für die Journalisten hatte Landgerichtspräsident Arnulf Krämer eigens Telefonkabinen installieren lassen, die wie große Friseurhauben aussahen und aus denen die Berichterstatter ihre Artikel an die Redaktionen durchgaben.
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Im Saal 113 waren 41 Presseplätze reserviert, doch das Interesse der Medien ließ bald genauso nach wie das der Zuschauer, die zu Beginn noch in Scharen ins Gericht geströmt waren.Das Verfahren zog sich über knapp 18 Monate und 126 Verhandlungstage.
Besonders von Brauchitsch soll längere Monologe gehalten und sich danach gelegentlich an den im Saal sitzenden Justizwachtmeister Windisch gewandt haben: „Herr Wachtmeister, ein Glas Wasser wäre jetzt sehr willkommen.“ Nach manch anstrengendem Tag auf der Anklagebank sollen die Herren, so erinnert sich eine Prozessbeobachterin, auch schon mal im benachbarten Nobelrestaurant „Petit Poisson“ eingekehrt sein.
Gut ein Jahr nach Prozessbeginn und der Vernehmung zahlreicher Zeugen, darunter Sachbearbeiter von Finanzämtern, gab die Kammer den rechtlichen Hinweis, dass eine Verurteilung wegen Bestechlichkeit nicht infrage komme und es nur noch um den Verdacht der Steuerhinterziehung beziehungsweise der Beihilfe zur Steuerhinterziehung gehe. Damit war der Vorwurf der Korruption vom Tisch.
Die Angeklagten machten deutlich, dass sie sich der Strafbarkeit ihres Verhaltens nicht bewusst gewesen seien. In seinem Schlusswort nach dem Ende der Beweisaufnahme sagte Graf Lambsdorff zum Richter: „Legionen müssten Sie bestrafen, wenn das schon Beihilfe zur Steuerhinterziehung ist.“
Von Brauchitsch fragte rhetorisch, ob er hätte unterstellen sollen, dass etwas faul sei an den Spenden. Die Angeklagten, berichtete der Deutschlandfunk, hätten sich „als Opfer eines Stellvertreterprozesses“ gefühlt. Lambsdorff vermutete gar, das Verfahren sei die Rache dafür gewesen, dass er 1982 maßgeblich am Bruch der SPD/FDP-Koalition unter Helmut Schmidt beteiligt gewesen sei.
Das Urteil blieb unter den Forderungen des Anklägers
Am 16. Februar 1987, fünf Jahre nach Beginn der staatsanwaltlichen Ermittlungen, verkündete der Vorsitzende Richter das Urteil: Von Brauchitsch wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die gegen Zahlung von 550.000 Mark für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden. Graf Lambsdorff musste eine Geldstrafe in Höhe von 180.000 Mark zahlen, Friderichs von 61.500 Mark.
Damit blieb die Kammer unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Sie hatte für von Brauchitsch vier Jahre Gefängnis, für Graf Lambsdorff 15 Monate Haft auf Bewährung und für Friderichs eine Geldstrafe von 120.000 Mark gefordert. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.
Das Gericht begründete seine Entscheidung auf mehr als 900 Seiten unter anderem damit, es habe nicht festgestellt werden können, dass die behaupteten Zahlungen gezielt dafür eingesetzt worden seien, Gegenleistungen in dem Flick-Steuerdeal zu erhalten. Die von dem Flick-Manager betriebene „Landschaftspflege“, um in der Bundeshauptstadt „ein Klima des Wohlwollens“ zu erzeugen, sei mit Mitteln des Strafrechts nicht fassbar.
Richter Buchholz sagte auch: „Nahezu alle Zeugen fielen durch ihr schlechtes Erinnerungsvermögen auf.“ So „richtig schön“ habe die Erinnerung immer dann versagt, „wenn es um den Kern der Sache ging“.
Die wichtigsten Personen im Spendenskandal
Otto Graf Lambsdorff (1926-2009) war von 1977 bis 1982 im Kabinett Schmidt und von 1982 bis 1984 im Kabinett Kohl Bundeswirtschaftsminister und von 1988 bis 1993 Vorsitzender der FDP. Sein Neffe Alexander Graf Lambsdorff sitzt für die FDP im Bundestag.
Hans Friderichs wurde 1931 geboren und war von 1972 bis 1977 Bundeswirtschaftsminister. Im gleichen Jahr trat er in den Vorstand der Dresdner Bank ein und war von 1978 bis 1985 Vorstandssprecher. Er gehörte mehreren Aufsichtsräten an.
Eberhard von Brauchitsch (1926-2010) arbeitete zunächst als Rechtsanwalt und danach als Manager unter anderem beim Springer-Verlag und beim Flick-Konzern. Nach der Verurteilung in Bonn war er wieder als Anwalt und auch als Unternehmensberater tätig. 1999 schrieb er über die Affäre das Buch „Der Preis des Schweigens“. Schwer krank nahm er sich 2010 in der Schweiz gemeinsam mit seiner ebenfalls schwer kranken Frau das Leben.
Der Steyler Pater, der die Geschäfte der „Soverdia“ geführt hatte, erhielt 1981 wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung einen Strafbefehl des Amtsgerichts Bonn über 36.000 Mark. Er habe nicht zum eigenen Nutzen gehandelt und ein Geständnis abgelegt, hieß es als Begründung für die milde Strafe.
Dem Steuerfahnder Klaus Förster brachte seine Hartnäckigkeit, mit der er seine Recherchen im Fall Flick betrieb, berufliche Nachteile ein. Er wurde versetzt, dagegen klagte er. 1983 schied er aus dem Staatsdienst aus und arbeitete als Rechtsanwalt in Bonn, wo er 2009 im Alter von 77 Jahren starb. (dbr)