Rhein-Sieg-Kreis – Sichtlich erschüttert kam Landrat Sebastian Schuster von seinem Besuch in Swisttal ins Kreishaus zurück. Mit Ministerin Ina Scharrenbach war er in einem der am meisten betroffenen Bezirke des Kreises. „Ich bin fix und fertig: diese immensen Schäden, die Verzweiflung der Menschen, die Zerstörungen, was da vor den Häusern steht. Und mittendrin tobt die Bürgermeisterin, packt mit an und verbreitet Optimismus.“
Dankbarkeit äußerte er für die Arbeit der Hilfsorganisationen, der Bundes- und Landespolizei, der Feuerwehren, des THW und der Bundeswehr. „Es ist gelungen, den Staudamm der Steinbachtalsperre zu halten, dadurch konnten wohl mehrere Hundert Menschenleben gerettet werden.“
Krisenstabsmodus im Rhein-Sieg-Kreis bleibt
Auch wenn die Einsatzleitung zurückgebaut wurde, weil die Blaulichteinsätze und damit die Gefahrenabwehr erledigt sind, bleibt der Krisenstabsmodus aufrechterhalten – so lange, wie der ausgerufene Katastrophenfall bestehen bleibt. Der gilt seit Sonntag, 12.34 Uhr, als erkennbar wurde, dass die Infrastruktur erheblich zerstört ist und es Wochen bis Monate dauern wird, bis zur Wiederherstellung. Seit dem vergangenen Mittwoch sind die Stäbe besetzt, gab es mehr als 60 Sitzungen, in denen Entscheidungen gefällt wurden.
Die Unwetterwarnungen hat der Kreis über den Deutschen Wetterdienst bekommen, über die Warn-App Nina und die Medien sind sie weiter verteilt worden. Als die Mitteilungen am Dienstag und erneut am Mittwoch konkreter wurden, bereiteten die Einsatzkräfte sich vor.
12.000 Notrufe in den ersten 24 Stunden
Am vergangenen Mittwochnachmittag wurden alle Kommunen alarmiert. Engmaschig, so Schuster, sei gescannt worden, wo sich die Schwerpunkte herausbildeten. Wo aber genau die Gefahren entstanden, habe sich erst während des Einsatzes herausgestellt. Dann allerdings wurden schnell Kräfte dorthin geschickt, wo sie gebraucht wurden – vorrangig in Swisttal und Rheinbach. Allein in den ersten 24 Stunden gingen 12.000 Notrufe bei der Feuer- und Rettungsleitstelle ein. Die Tagschicht arbeitete 24 Stunden durch, wie der Leiter Ralf Ahr berichtete.
„Gott sei Dank waren nur drei Kommunen so stark betroffen“, sagte der Landrat. Die anderen stellten sofort ihre Einheiten zur Verfügung, bis zu 2000 Helfer waren in Spitzenzeiten im Einsatz.
Über Nina und über Warnsirenen waren die Menschen aufmerksam gemacht worden. Die Feuerwehr fuhr mit Lautsprecherdurchsagen durch die Straßen, teilweise gingen die Wehrleute von Haustür zu Haustür.
Landrat benennt drei Eskalationsstufen
Drei Eskalationsstufen benannte Schuster. Zuerst durch Hubschrauber aus der Luft, mit Unterstützung von Bundeswehr und Bundespolizei, anschließend mit Booten und in der dritten Stufe mit watfähigen Fahrzeugen.
Kreisbrandmeister Dirk Engstenberg, Einsatzleiter für das Blaulicht, erklärte, wie die Warnmeldungen automatisiert und verknüpft sind, vom Deutschen Wetterdienst über das Modulare Warn-System Mowas bis hin zur eingehängten Warn-App Nina. Vorherzusagen war sicher, dass es ein Unwetter gibt; wo genau es aber eintreffen sollte, wohl eher nicht. Denn die Wetterformation war mehrere Hundert Kilometer breit.
„Die konkrete Gefahr entsteht durch das Ereignis selbst“, erläuterte er. Da spielten die Topografie, die Böden, einzelne Gerinne und Steilhänge ebenso eine Rolle wie die Menge des Niederschlags. „Starkregen-Risikokarten sind in Deutschland nicht gängig“, betonte Engstenberg. Es gebe auch keine Hochwasser-Risikokarten für Talsperren.
„Die Kommunikation war ein Desaster“
Die erste Sirenenwarnung für Swisttal wurde noch vor Ausrufung der Großlage ausgelöst. Die Kommune entscheidet das selbst, die Leitstelle führt es durch. Später entschied die Einsatzleitung, initiiert von der örtlichen Ebene. Bis auf Stadtteilebene kann das differenziert werden. Der Krisenstab wurde um 19.45 Uhr einberufen, seither arbeitet er.
„Die Kommunikation war ein Desaster“, räumte der Landrat ein. Handy und Digitalfunk funktionierten nicht, auch bedingt durch großflächige Stromausfälle. Im Kreisgebiet gab es immerhin die Rückfallebene des alten Analogfunks. „Wir haben ihn nicht abgeschaltet“, stellte Schuster erleichtert fest. So konnten Relaisstationen wieder aufgebaut werden. Und: „Sirenen werden wiederkommen.“
Falschmeldungen zur Talsperre sorgte für Aufregung
Für viel Aufregung hatten die Falschmeldungen gesorgt, von der Talsperre komme eine Flutwelle. Immer wieder wurde ein Hubschrauber losgeschickt, wurde der Einsatz hochgefahren. Eine Person konnte festgenommen werden. „Acht bis neun Mal kam die Ansage, der Damm sei gebrochen“, berichtete Ingo Freier, Leiter des Amtes für Bevölkerungsschutz. 8000 Menschen wurden in Sicherheit gebracht, 3000 untergebracht und versorgt.
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Am Donnerstag beginnen die Vorbereitungen für den Wiederaufbau. Der Kreis wird Swisttal, wo es derzeit kein funktionierendes Rathaus mehr gibt, und Rheinbach unterstützen, etwa bei der Wiederherstellung der Infrastruktur. Ein eigener Stab wird gebildet, ein Fachbereich aufgebaut: „Geld spielt erstmal keine Rolle“, zeigte sich Schuster zuversichtlich. Die Aufbauhilfen würden schnell weitergeleitet. Vermutlich wird der Kreis auch die Soforthilfen auszahlen, die die Bundeskanzlerin angekündigt hat. Auf den Spendenkonten des Kreises sind inzwischen, so der Landrat, 530.000 Euro eingegangen.
Beim Straßenverkehrsamt und bei der Wiederbeschaffung von Papieren etwa werden die Bürger der beiden Kommunen sicherlich bevorzugt behandelt. Baugenehmigungs- und Ausschreibungsverfahren könnten beschleunigt werden. Das hätten Innenminister Herbert Reul und Ministerpräsident Armin Laschet in einer Schalte mit den Landräten und Bürgermeistern der betroffenen Regionen zugesichert.