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Nach 100 JahrenRhein-Sieg-Kreis will RWE-Aktien verkaufen

Lesezeit 4 Minuten
Kreishaus Siegburg

Das Kreishaus in Siegburg

Rhein-Sieg-Kreis – Nach 100 Jahren Aktienbesitz läutet der Kreistag am Montag den Abschied von den zuletzt mehr und mehr umstrittenen RWE-Aktien ein. Selbst die CDU/Grünen-Koalition rückt davon ab. Sie stand bisher aus finanztechnischen Gründen zum Halten der Aktien, aber nicht gleichzeitig auch zur Politik von RWE, etwa in der Braunkohle. Bei der Verabschiedung des Kreishaushaltes in der Montagssitzung geht es nur noch darum, ob es ein kurzer oder ein längerer Abschied wird.

Die Linke will die Aktien innerhalb des nächsten halben Jahres loswerden. Die SPD fordert den Austritt des Kreises aus dem Verband kommunaler RWE-Aktionäre und die Vorlage eines klaren Ausstiegsfahrplans bis zum 30. Juni 2019. CDU und Grüne, die bisher nur Teilverkäufen zur Haushaltskonsolidierung zustimmten (2007 und 2008 waren es 260.000 Aktien zu damaligen Spitzenpreisen), kommen mit einem Prüfauftrag in die Montagssitzung des Kreistages. Darin steht der spektakuläre Satz: „Die Zielsetzung ist der Verkauf der gesamten RWE-Aktien des Kreises.“

Rhein-Sieg-Kreis hat nichts für die Aktien gezahlt

Dabei haben sie auch noch überraschend die FDP an ihrer Seite. Die Liberalen hatten Schwarz-Grün bezüglich RWE über Jahre kritisiert mit dem Argument, die öffentliche Hand mit ihrer Verantwortung für Steuergeld dürfe nicht mit Aktien spekulieren.

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Damit ist aber nur das Spekulieren auf einen bestimmten Zeitpunkt oder Kurswert für den Verkauf gemeint. Denn bezahlt hat der Rhein-Sieg-Kreis nie etwas für die heute noch knapp 1,4 Millionen Aktien, derzeitiger Kurswert: rund 25 Millionen Euro. Bei seiner Gründung 1969 bekam er einen Großteil einfach so vom aufgelösten Landkreis Bonn überschrieben, die anderen Aktien stammen aus teils 100 Jahre alten Konzessionen innerhalb des vor 1969 existierenden alten Siegkreises.

Die Krux ist: Der Kreis parkt die RWE-Aktien bei der kreiseignen Verkehrsgesellschaft RSVG, wo sie zugunsten der Allgemeinheit die Verluste im Öffentlichen Nahverkehr senken. Und zwar über die Dividendenerlöse aus den Aktien. Das sind für 2018 wieder zwei Millionen Euro, die an den Kreis und damit die RSVG fließen.

Hambacher Forst ist für viele ein Argument für Verkauf

Für 2019 ist vorbehaltlich der RWE-Hauptversammlung im kommenden April in Essen eine Dividende von 70 Cent pro Aktie, also knapp eine Million Euro für den Kreis, angekündigt. Zuvor hatte es erstmals in der RWE-Geschichte für zwei Jahre wegen der Turbulenzen in der Energiebranche und vor allem bei RWE (Atomausstieg, zu wenig erneuerbare Energien, Umweltproblem Braunkohle) keine Dividende gegeben. CDU, Grüne und FDP fordern in ihrem Antrag, vor dem Verkauf alle Vor- und Nachteile zu prüfen, also auch bezüglich des jährlichen RSVG-Defizits.

Die Möglichkeit, Dividenden zu kassieren, obwohl man nie etwas für die Aktien bezahlt hat, treibt nach Kenntnis dieser Zeitung immer noch eine Reihe Kreistagsabgeordneter um, die derzeit aber nicht ihre Stimme erheben. Andererseits gibt es energiepolitisch in allen Parteien Bedenken gegen RWE, zuletzt hochgekocht beim Thema Hambacher Forst. Für viele ist das ein treibendes Argument für einen Verkauf.

In den letzten 18 Jahren hat Kreis 50 Millionen Euro mit Aktie verdient

Und für Börsianer sind diese Aussichten auch nicht gerade eine Empfehlung zum Kauf solcher Aktien. CDU, Grüne und FDP formulieren: „Die Geschäftspolitik von RWE aktuell und in der Vergangenheit stärkt nicht unser Vertrauen in ein nachhaltiges und verantwortungsbewusstes Handeln.“ Rein finanztechnisch gibt es hinter vorgehaltener Hand aber auch andere Meinungen im Kreistag. Denn das Aktienpaket, das kurzzeitig schon einmal 122 Millionen Euro wert war, brachte immerhin allein seit dem Jahr 2000 insgesamt 50 Millionen Euro an Dividenden ein.

2008 war die Stückaktie kurzzeitig 89,69 Euro wert, als das Eigenkapital des Kreises festgestellt wurde. Wegen des RWE-Abstiegs musste der Kreis dann vor einigen Jahren die Stückaktie auf elf Euro im Eigenkapital taxieren. Aber im Jahresabschluss 2017 musste das wegen Kursanstiegs sehr positiv revidiert werden: auf 17 Euro pro Aktie. Derzeit ist die RWE-Aktie an der Börse im DAX 30 noch höher nominiert, nämlich mit 19,44 Euro (Stand Freitag, 14. Dezember, 14.12 Uhr). Und nächstes Jahr? Mehr oder weniger? Das kann kein professioneller Börsenguru sagen. Und ein ehrenamtlicher Kreistagsabgeordneter, egal welcher Partei, schon gar nicht.

Das Unternehmen RWE

Im Jahr 1898 wurde die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerks Aktiengesellschaft in Essen gegründet. Von 1905 an beteiligten sich Kommunen an dem Unternehmen, weil sie elektrifiziert werden wollten. Auch kleinere Gemeinden auf dem Land wünschten sich elektrische Straßenbeleuchtung statt Gaslaternen und in den Wohnstuben Glühbirnen statt Petroleumfunzeln. So stellten die Kommunen lange Zeit die Mehrheit in dem heute nur RWE genannten Unternehmen. Mehr und mehr übernahmen private Anleger die Mehrheit der Anteile. Heute sind insgesamt 575,7 Millionen RWE-Stammaktien im Umlauf. Der Rhein-Sieg-Kreis besitzt davon aktuell 1,4 Millionen.