Siegburg – „Viele Einzelhändler sind schon am Existenzminimum“, sagt Sissis Vassiliadis, Vorsitzender des Verkehrsvereins Siegburg. Er beklagt eine „Hinhaltetaktik“ der Politik für den Handel. „Wir hätten im Rhein-Sieg-Kreis gar nicht schließen müssen“, sagt er mit Blick auf die Inzidenzzahl, die auch am Donnerstag wieder deutlich unter 100 lag, der Grenze für die Notbremse. Doch seit dem 7. April, so hat er erfahren, muss an sieben aufeinander folgenden Tagen der Wert unter 100 liegen, bevor besagte Notbremse wieder gelockert wird.
„Wir bekommen keinerlei Informationen, weder von der Stadt noch von Kreis oder Land. Das ist für den gesamten Handel desaströs“, klagt Vassiliadis. Besonders erschwert werde die Situation durch den negativen Schnelltest, der jetzt vorgelegt werden müsse. „Die Kunden verstehen das nicht. Von 30 habe ich 27 abweisen müssen.“
Siegburger Markt: Manche Geschäfte haben geöffnet, andere nicht
Rund um den Markt und an der Kaiserstraße ist das Bild uneinheitlich. Viele Geschäfte haben ihre Öffnungszeiten stark eingeschränkt, andere Läden haben gleich ganz geschlossen. Friseure dürfen ebenso ohne Test Einlass gewähren wie Discounter oder Ladenlokale mit überwiegendem Lebensmittelangebot.
Mode- und Schuhgeschäfte dagegen dürfen Kaufwillige nur an der Tür empfangen und müssen einen Test einfordern, um sie zum Shoppen einlassen zu können. „Wir sind ein bisschen ausgebremst“, sagt Lothar Engbrocks, Inhaber von „jeans and more“ am Markt, „es sind zurzeit zu wenige bereit, einen Test zu bringen.“
„Click + Meet “ war ebenso erfolgreich wie „Click + Collect“. Engbrocks hat in dieser Zeit sogar neue Kunden gewinnen können. „Das ist absolut keine Lösung für den Handel“, kritisiert er dennoch die neuen Anforderungen. „Im Prinzip könnten wir auch zuhalten“, erklärt Bianca Stanton, die mit ihrem Mann Edmund das „Stanton“ an der Kaiserstraße betreibt. „Wir haben hochwertige Ware, da steht das Einkaufserlebnis im Vordergrund.“ Ihr Mann ist sich sicher: „Der Einzelhandel hat nichts mit dem Infektionsgeschehen zu tun.“ Selten seien mehr als zwei oder drei Kunden im Laden. Sie fühlen sich durch die Forderung nach einem Test, wie andere kleine Läden, benachteiligt.
Noch deutlicher wird Dorle Poischen, die Schuhmode an der Kaiserstraße verkauft: „Es ist schrecklich, ich fühle mich entmündigt.“ In den Discounter könnten Hunderte mit Maske hinein. „Im kleinen Einzelhandel müssen wir einen Test verlangen, seither kommt überhaupt kein Kunde mehr“, berichtet Poischen. „Das hat der inhabergeführte Einzelhandel nicht verdient. Wir wissen ja gar nicht mehr, was wir dürfen.“ Denn neben der Pandemie schwebe ja auch das Schwert des Onlinehandels über den Geschäften.
Vassiliadis und Joachim Kliesen vom Verkehrsverein denken jetzt über ein „Siegburger Modell“ nach, ähnlich dem in Tübingen, wo seit Monaten schon breit getestet wird, um Läden offen halten zu können.