Bodo Middeldorf, Geschäftsführer der Zukunftsagentur Rheinisches Revier, sieht Fortschritte beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Der Bau von Verteilnetzen für Wasserstoff und Strom müsse schneller gehen.
Strukturwandel im Rheinischen Revier„Mehr Tempo beim Bau von Gaskraftwerken“

So könnte der Tagebausee Garzweiler in 40 Jahren aussehen. Visualisierung: Zweckverband Landfolge Garzweiler
Copyright: Zweckverband LANDFOLGE Garzweiler
Der vorgezogene Kohleausstieg 2030, das erklärte Ziel der schwarz-grünen Landesregierung, droht zu scheitern, weil die Sicherheit der Energieversorgung ohne Kohleverstromung noch nicht garantiert werden kann. Welche Folgen hätte das für das Rheinische Revier?
Darauf muss ich aus Sicht der Region eine doppelte Antwort geben, eine energiepolitische und eine strukturpolitische. Energiepolitisch machen wir uns Sorgen um die wegfallende Wertschöpfung und die Arbeitsplätze in der energieintensiven Industrie. Das wird natürlich überlagert vom gesamten Energiewende-Thema in Deutschland. Bei uns wird in einem Brennglas sichtbar, welche Zusammenhänge bestehen.
Meinen Sie damit die wasserstofffähigen Gaskraftwerke, bei deren Finanzierung die Ampelkoalition nicht vorangekommen ist?
Alles zum Thema RWE
- Jährlicher Empfang In Elsdorf steht KI für Karnevalistische Intelligenz
- Verdacht auf Eis-Abfall Polizei sperrte Leverkusener Brücke am Morgen kurz
- Gehalt Was in den großen Konzernen in Köln und der Region verdient wird
- Kohleausstieg Zeitplan für den Tagebau Hambach bei Elsdorf ist laut RWE nicht gefährdet
- Siegerentwurf gekürt So soll der Rheinwasser-Einlauf am Hambach-See in Zukunft aussehen
- Rodungen am Tagebau Hambach Aktivisten harren im Sündenwäldchen von RWE auf Baumhäusern aus
- Auf Tagebaufläche Startschuss für gemeinsames Industriegebiet zwischen Erftstadt und Hürth
Ja. Ich kann nur an den Bund appellieren, was die Fragen der Rahmenbedingungen, der Genehmigungsverfahren und der Finanzierung der Gaskraftwerke angeht, nach der Bundestagswahl sehr schnell Lösungen vorzulegen. Das ist für unsere Industrie existenziell. Wir haben in NRW die höchste Dichte an energieintensiven Industriebetrieben mit 50.000 Beschäftigten. Die brauchen Perspektiven im Hinblick auf die Gaskraftwerke und die Verteilnetze bei Wasserstoff und Strom.
Was ist mit dem Thema sichere Energieversorgung?
Da bin ich nicht mehr ganz so in Sorge. Bis 2033 werden acht Gigawatt Leitungen offshore für Strom ins Rheinische Revier kommen. Das ist eine große Hausnummer. Wir werden uns bis Anfang der 2030er Jahre auch beim Thema Wasserstoff-Kernnetz vorankommen und dieses auch anzapfen können. Bei den Gaskraftwerken fehlen die Rahmenbedingungen. RWE plant zwei. Eins in Eschweiler, der zweite Standort ist noch nicht hundertprozentig festgelegt. Da haben wir schon jetzt mindestens ein Jahr verloren.
Bis Ende 2030 werden die doch niemals stehen, oder? Das sind nur noch fünf Jahre.
Das ist fast nicht mehr zu schaffen. Zum Glück liegen wir bei den Erneuerbaren Energien, was den Ausbau angeht, deutlich vor unseren Planungen. 3,7 Gigawatt haben wir geschafft. Das Ziel von fünf Gigawatt werden wir wohl vorzeitig erreichen.
Kommen wir zum strukturpolitischen Aspekt einer möglichen Verschiebung des Kohleausstiegs. Welche Konsequenzen hätte das für die Region?
Die gesamte Braunkohleplanung und Betriebsplanung von RWE sind darauf ausgerichtet, Anfang der 2030er auszusteigen. Im Rahmen der jetzt anstehenden Braunkohleplanung kann man das bis Anfang 2033 verlängern. Aber dann muss endgültig Schluss sein.
Im Jahr 2026 soll der Fahrplan noch einmal überprüft werden. So steht es im Gesetz zur Beendigung der Kohleverstromung.
Das stimmt. Aber es geht ja auch um die Frage der Inanspruchnahme zusätzlicher Dörfer in den Tagebauen Hambach und Garzweiler. Die haben die feste Zusage, dass sie erhalten bleiben. Damit steht rein faktisch fest: Über das Jahr 2033 können wir auf keinen Fall hinausgehen. Drei Jahre Verzögerung haben keine Folgen für unsere strukturpolitischen Planungen. Vor einer Rolle rückwärts, also dem Ausstieg 2038, der zumindest in Berlin schon mal diskutiert wird, kann ich aus Sicht der Region nur warnen.

Bodo Middeldorf, Geschäftsführer der Zukunftsagentur Rheinisches Revier,
Copyright: Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR)
Alle Dörfer bleiben. Leider jetzt doch nicht. Das Szenario kann keiner ernsthaft wollen, oder?
Lützerath war die letzte große Auseinandersetzung. Die große Chance liegt nicht nur im wirtschaftlichen Aufbruch, sondern auch in der Befriedung der Region. Ich kann aus Sicht der Region jede Bundesregierung nur davor warnen, dieses Fass nochmal aufzumachen. Dann müssten wir sämtliche Planungen zurückdrehen, die seit zwei Jahren laufen. Wir haben uns der Anforderung eines beschleunigten Ausstiegs gestellt. Die ersten Fördermittel für Alt-Morschenich, das jetzt Bürgewald heißt, sind schon geflossen. Das ist unumkehrbar.
Wir bekommen derzeit geradezu dutzendweise Anfragen nach Standorten für KI-Rechenzentren
Bleiben wir beim Thema Energieversorgung. Ich gehe mal davon aus, dass sich Microsoft vor der Entscheidung, in Hyperscaler-Rechenzentren in Bergheim und Bedburg und vermutlich in Grevenbroich mehr als drei Milliarden Euro zu investieren, in dieser Frage abgesichert hat, oder?
Das ist eine Anforderung, die sich erst einmal an die Versorger richtet. Diese Rechenzentren brauchen erhebliche Mengen an Strom, produzieren eine Menge Abwärme, die man auch wieder nutzen kann. Für diese drei Standorte wird man das schaffen. Bergheim und Bedburg sollen ja schon 2026 fertig sein. Aber wir bekommen derzeit geradezu dutzendweise weitere Anfragen nach Standorten für KI-Rechenzentren. Das unterstreicht nochmal, wie wichtig wasserstofffähige Gaskraftwerke für die Region sind.
Microsoft ist ein dicker Fisch. Aber Strukturwandel braucht doch auch vor allem mittelständische Unternehmen. Und neue Gewerbeflächen. Wie sieht es da aus?
Ein Schwerpunkt ist die Entwicklung und Vermarktung von Gewerbeflächen, die für den Strukturwandel bedeutsam sind. Hierfür stellt das Land Fördermittel bereit. Zusätzlich stellen wir den zum Teil sehr kleinen Kommunen einen Berater zur Seite, der versucht, alle Fragen zu beantworten. Wie aufwändig ist das Antragsverfahren? Wann brauche ich einen verbindlichen Ratsbeschluss? Wie hoch sind die Eigenanteile, die man in den Haushalt einstellen muss? Wir mischen uns nicht die kommunale Selbstverwaltung ein. Das ist nur ein Angebot. Die Flächen, die wir bis Ende 2030 entwickeln wollen, sind insgesamt rund 1500 Hektar groß. Davon dürfte am Ende die Hälfte netto übrigbleiben. Mitte der 2030er Jahre können darauf rund 20.000 Arbeitsplätze entstehen. Bei der Erweiterung bestehender Produktionsstandorte ist durch eine neue, direkte Förderung von Unternehmen auch schon etwas in Gang gekommen.

Großer Bahnhof: Im März 2024 stellte Microsoft die Pläne für die neuen KI-Rechenzentren im Rheinischen Revier vor.
Copyright: Marius Becker/Land NRW
Sprechen wir über die Arbeitsplätze im Strukturwandel. Läuft das Rheinische Revier nicht Gefahr, dass am Ende ein nahtloser Übergang nicht gelingt, weil die Arbeitskräfte nicht über die entsprechenden Qualifikationen verfügen.
Über die 7500 Beschäftigen, die unmittelbar bei RWE beschäftigt sind, müssen wir uns keine großen Sorgen machen. 5000 werden in den Ruhestand oder Vorruhestand gehen. Für die 2500 Verbleibenden hat das Unternehmen eine interne Verwendung. Es geht aber auch um die Beschäftigten bei den Zulieferern. Da gibt es unzählige arbeitsmarktpolitische Weiterbildungsangebote, die auf die neuen Anforderungen im Rheinischen Revier vorbereitet werden müssen. Damit fangen wir gerade an. In Euskirchen, Neuss und Kerpen etwa werden neue Angebote im Berufsbildungsbereich entstehen. Wir nehmen aber leider auch wahr, dass kleinere und mittlere Unternehmen im Rheinischen Revier noch so gut im Geschäft sind, dass sie sich über die Zeit nach 2030 noch keine Gedanken machen. Die Programme, die wir darauf ausgerichtet haben, werden nur zögerlich angenommen.
Kann der Arbeitsmarkt der Region, diesen schnellen Wandel von der Kohle zur KI, wie es Ministerpräsident Hendrik Wüst beim Startschuss von Microsoft formuliert hat, überhaupt abfedern?
Es gibt Experten, die vor einem Strukturbruch warnen, der zu einer hohen Arbeitslosigkeit führen wird. Das glaube ich nicht. Wir werden in den nächsten Jahren hier eher in die Situation kommen, dass wir uns fragen müssen, wie wir noch mehr Fachkräfte für die Berufsbilder, die hier entstehen, in die Region locken können.
Zur Person
Bodo Middeldorf ist Geschäftsführer der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR). Sie ist der zentrale Knotenpunkt zur Steuerung und Koordinierung des Strukturwandels. Der ehemalige Politiker und Diplomvolkswirt war von 2017 bis April 2021 FDP-Landtagsabgeordneter und zuvor zehn Jahre Geschäftsführer der Bergischen Struktur- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft.