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VersorgungssicherheitNeue Gaskraftwerke fehlen – Warum NRW den Kohleausstieg 2030 nicht packen kann

Lesezeit 6 Minuten
Dampf und Rauch steigt im Gegenlicht aus den Braunkohlekraftwerken Neurath II bei Grevenbroich und Niederaußem auf.

Insgesamt drei Blöcke der Braunkohlekraftwerke Neurath bei Grevenbroich und Niederaußem könnten im April 2030 in den Reservebetrieb überführt werden – nach aktuellen Entwicklungen wird das wohl so kommen.

Nach dem Ampel-Aus liegt die Kraftwerksstrategie endgültig auf Eis. Jetzt müssen wohl drei Kohlekraftwerksblöcke im Rheinischen Revier ab April 2030 in den Reservebetrieb gehen.

Der Fahrplan, der Nordrhein-Westfalen einen um acht Jahre vorgezogenen Ausstieg aus der Kohleverstromung bescheren sollte, wäre auch ohne das Ampel-Aus nur schwer einzuhalten gewesen. Aber nach dem Koalitionsbruch musste Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der vergangenen Woche das geplante Kraftwerksgesetz zum schnellen Bau neuer Gaskraftwerke beerdigen. Sein Versuch, die CDU-Opposition mit ins Boot zu holen, scheiterte. Und das hat schwerwiegende Folgen. Denn ohne diese geplante Kraftwerksreserve kann NRW im Jahr 2030 nicht aus der Kohle aussteigen. Die Landesregierung kann keine sichere Energieversorgung garantieren.

Was bedeutet das für das Rheinische Revier und den Umbau der Industrie des bevölkerungsreichsten Bundeslands hin zu einer klimaneutralen Produktionsweise? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Das geplante Kraftwerkssicherheitsgesetz ist Geschichte. Zumindest für die ablaufende Legislaturperiode. Was sind die unmittelbaren Folgen?

Nachdem Habecks Versuch gescheitert ist, das Gesetz mit Unterstützung der CDU zu realisieren, muss sich die NRW-Landesregierung keine Gedanken mehr darüber machen, ob bis 2030 genügend Gaskraftwerke im Rheinischen Revier und im ganzen Land zur Verfügung stehen, die später auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden können. Sie werden nach wie vor gebraucht, denn der Strombedarf durch Sonne und Wind ist nicht zu decken. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Bau tatsächlich innerhalb von fünf Jahren funktioniert hätte, war eh schon sehr gering. Jetzt ist das ausgeschlossen.

Warum genau?

Aus zwei Gründen: Das Bundeswirtschaftsministerium hatte die erste Ausschreibung solcher Kraftwerke für das erste Halbjahr 2025 vorgesehen. Selbst wenn es dazu gekommen wäre, sind fünf Jahre für Planung und Bau solcher Anlagen äußerst ambitioniert.

Zudem ist der Umfang dieser Ausschreibungen für neue Kraftwerke aus Sicht der Landesregierung mit bundesweit geplanten 10,5 Gigawatt äußerst knapp bemessen. Das steht in einem Bericht an den Wirtschaftsausschuss des Landtags. Wenn es um die Versorgungssicherheit in Deutschland geht, seien bis 2030 laut Bundesnetzagentur 17 bis 18 Gigawatt erforderlich, so die Landesregierung. Davon allein fünf Gigawatt in NRW.

Allein RWE wollte rund drei Gigawatt an Kraftwerkskapazitäten im Rheinischen Revier bauen

Gibt es für den Bau von Gaskraftwerken in NRW denn schon Pläne?

Ja. Die Energieversorger hatten einen Zubau von fünf Gigawatt schon mit Projekten hinterlegt, „die bei geeigneten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch realisiert werden könnten“, heißt es in dem Bericht.

Bei den Unternehmen handelt es sich nach Informationen unserer Zeitung neben der RWE Power AG um die Konzerne Uniper, Steag und Trianel. Sie alle haben offenbar fertige Pläne in den Schubladen. Allein RWE wollte rund drei Gigawatt an Kraftwerkskapazität an den Standorten seiner Kohlekraftwerke im Rheinischen Revier bauen.

Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister, und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (beide Grüne), stehen vor Windrädern zur Stromerzeugung.

Der Kohleausstieg 2030 in NRW war ihr gemeinsames Ziel: Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (beide Grüne) müssen sich davon verabschieden.

Warum hat NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur bei ihrem Parteifreund und Amtskollegen Robert Habeck nicht frühzeitig mehr Druck gemacht?

Neubaur hat mehrfach die schleppende Kraftwerksstrategie des Bundes kritisiert. Diese war nach langen Diskussionen erst im Februar von der Ampel-Koalition verabschiedet worden. Zwischen Januar und November 2024 gab es vier Besprechungen zwischen verschiedenen Bund-Länder-Gremien, mit dem Ziel, „technische sowie genehmigungsrechtliche Randbedingungen und mögliche Hemmnisse zu identifizieren“.

Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte schon im Mai 2023 bei der Unterzeichnung des Reviervertrags 2.0 in Mönchengladbach vor Verzögerungen gewarnt. „Wir brauchen schnellere Ausschreibungsverfahren für die verabredeten wasserstofffähigen Gaskraftwerke“, hatte Wüst damals gesagt. „Wir schützen das Klima nicht, indem wir der Wirtschaft hier den Stecker ziehen.“

Bundeswirtschaftsminister Habeck, der bei der Veranstaltung zugeschaltet war, hatte angekündigt: „Der Ausstieg aus der Braunkohle geht einher mit dem Einstieg in eine neue Kraftwerkskapazität.“ Sollte es nicht gelingen, „diese Kapazitäten rechtzeitig fertig zu haben“, müssten die Braunkohlekraftwerke länger in Betrieb bleiben. „Die Versorgungssicherheit steht immer über allem.“ Und genau dieser Fall dürfte jetzt eintreten.

Wird es nach der Bundestagswahl im Februar einen neuen Anlauf für ein Kraftwerksgesetz geben?

Aus Sicht der schwarz-grünen Landesregierung führt daran kein Weg vorbei. Das Tempo werde aber „im Wesentlichen von den politischen Akteuren und deren Plänen auf Bundesebene abhängen“, heißt es in dem Bericht an den Landtag. Sollte sich ein neuer Gesetzesentwurf aber deutlich von dem aktuellen Entwurf der Ampelkoalition unterscheiden, müsse es erneut „intensive Vorabstimmungen“ mit der EU-Kommission geben, ob die Neufassung nicht gegen das europäische Beihilferecht verstößt.

Wie geht es jetzt im Rheinischen Revier weiter? Muss die Braunkohle über einen längeren Zeitraum verstromt werden?

So ist es. Am 1. Dezember 2022 hat der Bundestag mit 523 Ja- zu 92 Nein-Stimmen nicht nur die Beschleunigung des Kohleausstiegs im Rheinischen Revier beschlossen, sondern auch einen Notausstieg vereinbart.

Spätestens bis zum 15. August 2026 muss die neue Bundesregierung prüfen, ob Braukohleblöcke von Kraftwerken im Rheinischen Revier am 1. April 2030 in einen Reservebetrieb überführt werden, der längstens bis zum 31. Dezember 2033 laufen soll. Dabei geht es um die Anlagen Niederaußem K, Neurath F und G – sie sind die modernsten. Die Kohlemengen, die dafür benötigt werden, sind in der aktuellen Leitentscheidung der Landesregierung bereits eingeplant.

Könnte NRW den schnellen Bau von Gaskraftwerken nicht im Alleingang organisieren, um den Kohleausstieg 2030 doch noch zu schaffen?

Nein, das ist zu teuer. Das Bundeswirtschaftsministerium hat errechnet, dass allein die Förderkosten für auf Wasserstoff umrüstbare Kraftwerke, Wasserstoffkraftwerke und Langzeitstromspeicher 14,6 Milliarden Euro betragen. Sie sollen aus einem Sondervermögen des Bundes, dem sogenannten Klima- und Transformationsfonds bezahlt werden. Hinzu kommen weitere 3,3 Milliarden Euro für neue Kapazitäten zur Stromerzeugung, also neue Gaskraftwerke, die nur bei Dunkelflauten in Betrieb gehen und von denen ein Großteil in NRW stehen müsste.

Wie steht es um die Versorgungssituation mit Gas und Strom für den kommenden Winter?

Die Gasversorgung ist stabil, die Versorgungssicherheit gewährleistet. Die Bundesnetzagentur schätzt die Gefahr einer angespannten Gasversorgung im Augenblick als gering ein, heißt es in einem zweiten Bericht der Landesregierung an den Wirtschaftsausschuss. Um die Gasversorgung im Winter 2024/25 und eine Befüllung bis zum nächsten Winter abzusichern, ist zum 1. Februar 2025 ein Speicherstand von mindestens 30 Prozent gesetzlich vorgeschrieben.

Mit der Abgabe von Gas aus den Speichern wurde am 4. November begonnen. Am 30. November betrug der Gasspeicherfüllstand rund 90,9 Prozent in Deutschland und rund 85,5 Prozent in der Europäischen Union. Der Gasverbrauch lag in der zweiten Novemberhälfte 6,9 Prozent unter dem durchschnittlichen Verbrauch der Jahre 2018 bis 2021.

Es geht hier um fossile Brennstoffe, die länger genutzt werden müssen. Kommt die nachhaltige Stromerzeugung in NRW denn trotzdem voran?

Absolut, und das ist eine gute Nachricht. Es gibt einen kontinuierlichen Zubau. In NRW waren am 30. Oktober Anlagen, die erneuerbare Energien erzeugen, mit einer Leistung von 20 Gigawatt installiert.