AboAbonnieren

Tagebau GarzweilerDarum wehren sich Demonstranten gegen den Abriss der L277

Lesezeit 4 Minuten
Erkelenz Polizei

Sitzblockade auf den Resten der Landstraße 277: Demonstranten versuchen, den Abbruch aufzuhalten.

  1. Der Streit um die Dörfer am Rand des Tagebaus Garzweiler kommt nicht zur Ruhe.
  2. RWE reißt dort aktuell die Landstraße 277 zwischen Keyenberg und Lützerath ab.
  3. Kohlegegner und Bewohner sprechen von einer unnötigen Aktion und bezeichnen die Straße als letzte Barriere.

Erkelenz – Wieder geht es um einen Bagger. Wie sollte es auch anders sein im Braunkohletagebau Garzweiler? Doch diesmal ist es ein vergleichsweise kleiner. Er zerstört das, was die Menschen in den vom Untergang bedrohten Dörfern Lützerath, Berverath, Ober- und Unterwestrich, Keyenberg und Kuckum die rote Linie nennen.

Der Bagger frisst sich durch den Asphalt der bis Montag noch völlig intakten Landstraße 277 zwischen Keyenberg und Lützerath. Die L 277 empfinden sie hier als die letzte Barriere, bevor der Tagebau je nach Ortschaft in ein paar Jahren vor ihren Häusern stehen könnte. Immer wieder werden die Arbeiten unterbrochen von Blockaden durch Demonstranten, deren Mehrzahl gar nicht aus den Dörfern stammt.

„Eine pure Demonstration der Macht“

Am vierten Tag der Proteste, die am Sonntag mit einer friedlichen Demonstration von 700 Menschen in Keyenberg begonnen haben, machen sich Ermüdungserscheinungen breit. Der Frust über das Kohleausstiegsgesetz, das die Blockierer des Bündnisses „Keinen Meter Kohle“ nur Kohleverlängerungsgesetz nennen, steckt allen in den Knochen. Entsprechend entspannt geht es zu. Polizeibeamte der Hundertschaft sichern den Bagger, damit keiner – wie das am Dienstag passiert ist – auf die Idee kommt, ihn zu besetzen. In den Baumwipfeln hockend sorgt ein Demonstrant für ein wenig Aufregung, weil er in regelmäßigen Abständen die Polizisten auf Englisch als Klimakiller beschimpft.

Alles zum Thema RWE

Erkelenz Bagger

Polizisten sichern den Abrissbagger.

Es sei alles rechtens, was der Energiekonzern RWE da mache, sagt selbst David Dresen (29), Sprecher der Initiative „Alle Dörfer bleiben“, geboren und aufgewachsen in Kuckum, die Familie seit Generation hier verwurzelt. Rechtens aber sinnlos. Aus seiner Sicht „eine pure Demonstration der Macht. Sie dürfen und deswegen baggern sie unsere Straße weg. Auch wenn es für das Gebiet, auf dem die Dörfer stehen, noch gar keine Hauptbetriebsplangenehmigung gibt. Also darf dort auch noch nichts abgerissen werden. RWE hätte noch über Monate Kohle fördern können, ohne die Straße anzutasten.“

RWE: Straße bis September abreißen

Das sieht man in der Konzernzentrale freilich anders. Der Tagebau arbeite sich von Westen vor, werde in wenigen Wochen die Landstraße erreichen. Deren Abbruch werde bis September dauern. Dahinter steht der für den Konzern unumstößlich im Kohleausstiegsgesetz festgeschriebene Fakt, dass der Tagebau Garzweiler II „nach wie vor notwendig ist, um den Kohlebedarf bis 2038 decken zu können“, wie der Konzernchef Rolf-Martin Schmitz immer wieder betont. Das habe auch die Bundesregierung „klar und eindeutig festgestellt“. RWE werde die „Umsiedlungen vollständig und möglichst zügig“ umsetzen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Auch wenn die rote Linie gerade überschritten wird – David Dresen glaubt fest daran, dass er über 2027 hinaus noch in Kuckum leben wird. 2027 ist das Jahr, in dem das Dorf mit seinen noch 900 Bewohnern nach den Betriebsplänen von RWE von der Erdoberfläche verschwinden muss. „So richtig rentabel ist die Braunkohle schon jetzt nicht mehr“, sagt Dresen. Und deshalb habe „RWE auch kein Interesse mehr daran, dass abgebaggert wird.“ Es gehe nur darum „am Ende Entschädigungen dafür zu kassieren, dass sie es doch lassen. Wie beim Hambacher Forst.“ Da habe RWE auch über Jahre gesagt, der Wald sei allein aus betrieblichen Gründen nicht zu retten.

Bis zu 30 Prozent wollen bleiben

Von denen, die noch in den sechs Dörfern leben, seien bis zu 30 Prozent entschlossen, ihre Heimat nicht freiwillig aufzugeben, schätzt Dresen. Viel mehr, nämlich „70 Prozent finden das gut, was wir hier machen“. Die erfolgreichen Proteste im Hambacher Forst hätten gezeigt, was alles möglich ist. Natürlich gebe es auch Menschen in den Dörfern, die sagten, „wir wollen diese Import-Demonstranten nicht. Wir müssen das alleine schaffen“.

Dresen hingegen hofft, dass die Bewegung für den Erhalt der Dörfer von der Erfahrung mit dem Hambacher Forst lernen kann. „Es ist noch lange nichts verloren“, vieles sei in der Schwebe. Die Initiative werde eine Verfassungsbeschwerde gegen das Ausstiegsgesetz einreichen, „sobald das im Gesetzesblatt veröffentlicht ist“. Überdies stünden 2021 und 2022 Wahlen an. „Wir sind ja nicht die einzigen, die nicht zufrieden sind, was aus dem Kohlekompromiss am Ende geworden ist“, so Dresen. Auf die Unterstützung von bundesweiten Initiativen und Nicht-Regierungsorganisationen werde man beim Kampf um die Dörfer nicht verzichten können.

Auch am Hambacher Forst geht der Kampf weiter

Auch eine halbe Stunde Autofahrt entfernt, im Hambacher Forst, ist der Kampf noch nicht zu Ende. Nachdem die Polizei im Juni illegal errichtete Barrikaden geräumt hatte, ist es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen. Am vergangenen Wochenende lagen plötzlich mit Gras und Blättern getarnte Nagelbretter auf den Wegen und Straßen im Forst, die laut Polizei zwei Fahrzeuge von RWE beschädigten. Menschen wurden dadurch nicht verletzt. Nach Schätzungen der Polizei schwankt die Zahl der Waldbesetzer stark, bewegt sich aber ungefähr um die Marke von 100 Personen. Sie kämen aus einem breiteren politischen Spektrum, unter anderem aus der anarchistischen und aus der Umweltszene.

David Dresen hat sich zur Zukunft des Hambacher Walds noch keine großen Gedanken gemacht. „Vermutlich wäre es das Beste, wenn er in kommunalen Besitz überführt würde“, sagt er. „Das ist aber nicht mein Thema. Ich muss mich um die Dörfer kümmern.“