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Analyse der VerhandlungenAmpel macht Bogen um Corona – Was macht eigentlich Scholz?

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SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz

Berlin – Am Dienstag stehen sie wieder da, so wie schon häufiger: SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, sein FDP-Kollege Volker Wissing und der Politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner. Die drei erklären, wie es um die Verhandlungen über eine Ampelkoalition steht, die am Montag in ihre heiße Phase eingetreten sind. Dabei sieht, wieder, alles harmonisch aus.

Die drei sagen hintereinander und in fast wortgleichen Erklärungen, dass die Gespräche „in konstruktiver Atmosphäre“ voranschritten. Ja, man sei schneller als erwartet, teilt Wissing vor der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin mit. Kellner ergänzt: „Wir streben an, im Laufe der nächsten Woche zu einem Koalitionsvertrag zu kommen.“

Klingbeil schließlich wundert sich über Berichte, wonach es zwischen den drei Parteien Spannungen gebe. Spannungen? I wo! Zugleich ruft er die anwesenden Journalisten auf: „Drücken Sie uns die Daumen, dass es in den nächsten Tagen alles klappt.“ Das ist ironisch gemeint. Journalisten drücken Politikern nicht die Daumen.

Corona? Kein Kommentar!

Nur in einem Punkt reagieren die drei, die ohne Mäntel in der kalten Berliner Luft stehen, reserviert: wenn es um die Corona-Krise geht. Sie sei nicht Gegenstand der Verhandlungen und zudem Sache der Bundestagsfraktionen, die derzeit an einer Reform des Infektionsschutzgesetzes arbeiteten, signalisieren Klingbeil, Wissing und Kellner unisono. Also: kein Kommentar!

In Wahrheit ist die Atmosphäre nicht ganz so harmonisch, wie die Parteimanager glauben machen wollen. Das hat neben Fingerhakeleien bei den Gesprächen über Klimaschutz oder Finanzpolitik mit der Corona-Lage im Allgemeinen und der Ampelreaktion im Besonderen zu tun. Da tun sich Risse auf.

Die Situation hat sich enorm verschärft

Am 27. Oktober waren FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann, Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und der SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese bekanntlich in die Bundespressekonferenz gekommen, um das Ende der „epidemischen Notlage nationaler Tragweite“ zu verkünden. Gemeinsames Ziel war, die Entscheidungshoheit über die Corona-Politik von den Regierungen in Bund und Ländern an die Parlamente zurückzugeben. Daneben ging es der FDP um ein Signal, das einem „Freedom Day“ zumindest nahekam, wo gegen Grüne und Sozialdemokraten nichts einzuwenden hatten. Ja, Göring-Eckardt sagte, die Ampel funktioniere, bevor es sie gebe. Der Satz blieb hängen.

Bloß: Seither hat sich die Situation enorm verschärft. Am 27. Oktober betrug die Sieben-Tage-Inzidenz 118. Heute liegt sie bei über 300, in manchen Landkreisen Bayerns, Sachsens und Thüringens gar über 1000. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sieht das Land auf die „Alarmstufe“ zusteuern. Sie greift, wenn die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen am zweiten Werktag in Folge den kritischen Wert von 390 überschreitet. Da aber die FDP unverändert die Freiheit jener Millionen Bürger verteidigt, die sich nicht impfen lassen wollen, schlagen die Emotionen hoch. Das wirkt auf alle Koalitionäre zurück.

Allgemeines Kopfschütteln über Christian Lindner

Ein Beispiel dafür lieferte das vergangene Wochenende. Am Freitag sagte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner in den „Tagesthemen“, für die Wirksamkeit von Ausgangssperren gebe es keine wissenschaftlichen Belege. Das sorgte für allgemeines Kopfschütteln. Am Samstag sah sich Lindner zur Korrektur gezwungen.

Göring-Eckardt ging es am Montag ähnlich, wenn auch aus entgegengesetzten Gründen. Bei einem Pressestatement sagte sie: „Wir werden eine Impfpflicht brauchen für Einrichtungen, bei Pflegeheimen, bei Kindertagesstätten et cetera.“ Und: „Wir werden das auf den Weg bringen.“ Darin sei sich die Ampel einig. Auf Intervention von Sozialdemokraten und Liberalen kassierte die 55-Jährige ihre Ankündigung gleich wieder ein. Bei Twitter schrieb sie: „Ich finde nach wie vor, dass wir in besonderen Einrichtungen eine Impfpflicht brauchen.“ Darüber aber würden SPD, Grüne und FDP „in einem eigenen Verfahren, unabhängig vom Infektionsschutzgesetz, beraten“. Später.

Fast täglich verstärkt sich der Eindruck, die drei Parteien schlingern schon, bevor es richtig losgeht. Zufall ist das nicht.

Es knirscht bei FDP und Grünen

Denn es soll zwar bei der Abschaffung der epidemischen Notlage bleiben, zugleich aber wird das neue Infektionsschutzgesetz mit neuen Instrumenten aufgerüstet. Geplant ist etwa 3 G im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Nur noch Menschen mit Impf-, Genesenen- oder Testnachweis dürften dann mitfahren. Darüber sollen am Donnerstag der Bundestag und am Freitag der Bundesrat abstimmen. Am Donnerstag tagt auch die Ministerpräsidentenkonferenz.

Zudem knirscht es zwischen FDP und Grünen immer häufiger. Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen dringt wie Göring-Eckardt auf eine Impfpflicht für medizinische Berufe. Am Wochenende erteilten drei grüne Landesgesundheitsminister dem Versuch, die epidemische Notlage zu beenden, eine grundsätzliche Absage. Die Liberalen indes wollen keine Notlage und keine Impfpflicht für Pflegekräfte. Sie wollen, wie der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki wissen ließ, Ungeimpfte grundsätzlich „nicht schlechterstellen“.

Die Welt hat sich gedreht

Direkt nach der Bundestagswahl hatten beide Parteien den Schulterschluss gesucht, um gegenüber dem größeren Koalitionspartner SPD und dessen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz nicht ohnmächtig dazustehen. Es gab Selfies und mehr. Doch mittlerweile hat sich die Welt weitergedreht. So hört man aus liberalen Kreisen heute freundliche Worte über Scholz und nicht ganz so freundliche über die Grünen. In den digitalen Netzwerken lässt sich umgekehrt beobachten, dass Grüne stets dann mit Likes zur Stelle sind, wenn es gegen die FDP geht.

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Lediglich in einem Punkt sind sich FDP und Grüne einig – in der Kritik an der Passivität der noch regierenden Koalition –, deren Vizekanzler übrigens Olaf Scholz heißt. „Es bleibt tragisch, dass so wenig vorbereitet war für diese Situation“, schrieb Göring-Eckardt bei Twitter mit Blick auf die Eindämmung der Corona-Pandemie – was unweigerlich zu der Frage führt, was mit dem Nochvizekanzler und Fastkanzler Scholz eigentlich los ist. Zeigt Scholz hier noch vor seiner Wahl, dass er entscheidungs- und handlungsschwach ist? Gilt das ausgerechnet für den Mann, der für den Satz bekannt ist „Wer Führung bestellt, bekommt sie auch“?

Taktisches Kalkül bei Scholz?

Scholz ist jemand, der sich immer uneingeschränkt in seine Rolle einfügt. Als SPD-Generalsekretär von Gerhard Schröder war er zu hundert Prozent Generalsekretär – und erwarb sich damit den Spitznamen des „Scholzomaten“, der in stetig wiederkehrenden Formulierungen die Agenda 2010 und Hartz IV verteidigte. Bei den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen in Hamburg 2015 trat Scholz – so beschreiben es die Grünen – sehr fordernd, teilweise sogar brüsk auf, in dem Bewusstsein, dass das Wahlergebnis dies hergab.

2021 ist das anders. Als Überraschungswahlsieger weiß Scholz, dass er großen Spielraum hat, der eigenen Partei etwas zuzumuten. Zugleich weiß er: Wenn er Regierungschef werden will, ist er darauf angewiesen, dass sowohl FDP als auch Grüne einigermaßen zufrieden sein können. Scholz hat bereits im Wahlkampf darüber gesprochen, dass die Fehler der Jamaika-Verhandlungen nicht wiederholt werden dürften. Damals habe die FDP den Eindruck gewonnen, sie spiele keine Rolle. Wenn Scholz es geschickt macht, spielt er die FDP und die Grünen im Herbst 2021 so gegeneinander aus, dass er bei seinen eigenen Vorstellungen landet.

Verhandlungen sollen in dieser Woche noch fortgesetzt werden

Bei der Corona-Politik war früh klar, dass eine Verlängerung der epidemischen Notlage mit der FDP nicht zu machen sein würde. Der Weg über das geänderte Infektionsschutzgesetz ist also derjenige, der den Liberalen den Weg in die Koalition ermöglicht. Für die SPD war es logisch, diesen Weg zu wählen.

Dass die Ampel nun wegen der galoppierenden Infektionszahlen notgedrungen ausgerechnet an dieser Stelle nachjustieren muss, ergibt sich fast von selbst. Scholz muss nicht als derjenige auftreten, der die FDP in die Schranken weist. Die Liberalen mussten sich allein angesichts des öffentlichen Drucks bewegen. Er konnte den konzilianten Verhandler geben. Das freilich ändert nichts daran, dass Scholz öffentlich nicht als starker Mann wahrgenommen wird, sondern als einer, der zaudert.

Fest steht: Die Corona-Lage ist das eine; die Ampelparteien wollen auf keinen Fall von dem Virus politisch infiziert werden. Die Koalitionsverhandlungen sollen daher etwas ganz anderes sein – und von dem Thema möglichst unbelastet. Sie sollen am Mittwoch und Freitag fortgesetzt werden und kommende Woche möglichst gut gelaunt zu einem Ergebnis führen. Klingbeil, Wissing und Kellner wären dann ihrem Zeitplan treu geblieben.