AboAbonnieren

Union am AbgrundDie Masken-Affäre erschüttert die Union wie einst die Spendenaffäre

Lesezeit 7 Minuten
Neuer Inhalt

Maskenaffäre: Nüßlein saß fast 20 Jahre für die CSU im Bundestag, zuletzt als stellvertretender Fraktionschef von CDU/CSU.

Geldgierig. Verwerflich. Unerträglich. Ekelhaft. Der gemeinsame Nenner von Unionspolitikern, die am Montag in Gesprächen ihre Sicht auf die Maskenaffäre in den eigenen Reihen schildern, ist dieser: eine Riesenschweinerei. Und zwar in jeder Hinsicht.

Die langfristigen Folgen für die Union im Superwahljahr sind noch nicht absehbar. Aber bei den Landtagswahlen an diesem Sonntag in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg wird mit einer Quittung gerechnet. Manche Unionspolitiker sehen die CDU bereits „im freien Fall“.

Maskenaffäre: Kanzlern wird es nicht mehr rausreißen

Die Kanzlerin werde es nicht mehr rausreißen können, weil die Wählerinnen und Wähler wüssten: Angela Merkel, die skandalfreie Regierungschefin, tritt nach 16 Jahren nicht mehr an.Mindestens zwei Bundestagsabgeordnete der Union – Hinweise auf einen dritten verdichten sich – hätten sich an der Not in der Corona-Pandemie bereichert, während unzählige Menschen unter den Folgen des Lockdowns litten, heißt es in der Fraktion.

Alles zum Thema Angela Merkel

Viele Familien verdienten zu wenig Geld, ihre wirtschaftliche Existenz stehe auf dem Spiel oder sie könnten die Doppelbelastung von Homeschooling und Homeoffce nicht mehr stemmen.Da ist von Alleinerziehenden die Rede, die mit dem einmaligen Kinderbonus von 150 Euro kaum die Masken bezahlen könnten, für deren Lieferung die Unionspolitiker Georg Nüßlein und Nikolas Löbel sechsstelligen Provisionen kassiert hätten. Und von Geringverdienern, die viele, sehr viele Jahre arbeiten müssten, um auf die Höhe der Provision über 660.000 Euro zu kommen, die der bisherige Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein bekommen haben soll.

Das könnte Sie auch interessieren:

Nüsslein erklärt am Montag seinen Austritt aus der CSU. „Dieser Schritt war unausweichlich, auch um weiteren Schaden von der CSU abzuwenden“, sagt CSU-Generalsekretär Markus Blume kühl. Sein Mandat will Nüsslein aber offenbar behalten. Das können ihm weder Partei noch Fraktion entziehen. Blume fordert, Nüsslein müsse „Wiedergutmachung leisten“. Wie die aussehen soll, bleibt offen. Löbel erklärt hingegen seinen Mandatsverzicht.

Unbescholtene Politiker in Mitleidenschaft gezogen

Das Entsetzen in der Fraktion ist auch deshalb groß, weil unbescholtenen Unionspolitiker mit in den Abgrund gerissen würden. Jene, die in der Corona-Krise versuchten, das Land zusammenhalten. Sie würden durch die Affäre nun in Mitleidenschaft gezogen, weil insgesamt Vertrauen in die Union zerstört werde. Denn - zumindest bisher - sind in keiner anderen Bundestagsfraktion solche Fälle bekannt geworden.

„Freier Fall“, sagt ein einflussreicher Christdemokrat. Diese Affäre könne schlimmer werden als die Spendenaffäre der CDU, die nach der Bundestagswahl 1998 die Partei zutiefst erschütterte. Denn jetzt gehe es darum, ob die Wähler der Union eine Volksvertretung mit Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern und mit Anstand zutrauten. Es werde viel in Bewegung geraten. Denn mit Angela Merkel trete die Frau ab, die vier Bundestagswahlen gewonnen und vier Legislaturperioden über 16 Jahre ohne Skandal Politik gemacht und das Land regiert habe. Da könnten bei einer solchen Maskenaffäre, durch die sich vor allem die „kleinen Leute“ ausgebeutet fühlten, Fliehkräfte wirken.

CDU-Politiker: „Das schadet uns allen massiv“

„Was wir leisten, wird durch Einzelpersonen in den Schmutz gezogen, die das Mandat nicht richtig verstanden haben“, sagt ein Vorstandsmitglied der CDU. „Das schadet uns allen massiv.“ Parteichef Armin Laschet habe offenbar lange versucht, Löbel zum gänzlichen Rückzug zu drängen und sich deswegen erst spät geäußert. Seine Position sei aber „völlig klar“.

Ob die Affäre der CDU auch bei der Bundestagswahl schaden werde, hänge auch davon ab, ob die Bewältigung der Corona-Pandemie demnächst besser laufe. Wenn die Impfkampagne jetzt doch noch gelinge, gebe es Hoffnung, dass die Maskenaffäre in den Hintergrund gedrängt werde.

Christian Baldauf, CDU-Spitzenkandidat und Herausforderer von SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz, klagt: „Es ist höchst unanständig, beschämend und moralisch verwerflich, wie hier Mitglieder des Bundestags versucht haben, ihr Mandat zu nutzen, um hohe Provisionen zu erzielen. Und das in der größten Krise Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das schadet dem Ansehen des Parlamentarismus insgesamt.“ Das sei wahrlich kein Rückenwind für die Landtagswahl an diesem Sonntag. „Eine solche Affäre auf den letzten Metern im Wahlkampf braucht kein Mensch!“ In Baden-Württemberg sehen die CDU-Wahlkämpfer das genauso. „Die ohnehin schwierige Ausgangslage wird nochmal schwerer“, heißt es.

Die Führung der Unionsfraktion will sich nun von eigenen Abgeordneten versichern lassen, dass sie sich in der Corona-Pandemie nicht an Geschäften und Produktionen bereichert haben. Das sei in einer Besprechung des geschäftsführenden Fraktionsvorstands am Montagvormittag vereinbart worden, erfuhr das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Es solle per Unterschrift erklärt werden, dass es keine Vorteilsannahme etwa bei der Vermittlung von Maskenlieferungen gegeben habe, hieß es. Es werde allerdings befürchtet, dass es neben Löbel (CDU) und Nüßlein (CSU) noch einen weiteren Fall gebe. Die Erklärungen sollen wegen der Landtagswahlen am Sonntag in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schnellstmöglich eingeholt werden.

Spahn erhöht Druck: „Wollen Transparenz“

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch forderte eine Ehrenerklärung für alle Bundestagsabgeordneten. Er sagte dem RND: „Um das Vertrauen der Bürger in das Parlament und die Abgeordneten wiederherzustellen sollten alle Abgeordneten eine Ehrenerklärung abgeben, dass sie in der Pandemie nirgendwo abkassiert haben. Die Linke ist zu allen Maßnahmen, die Transparenz und Aufklärung bringen, bereit.“ Er halte es für ausgeschlossen, dass es in der Linksfraktion Fälle gebe.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erhöht den Druck auf mögliche weitere unseriöse Politiker: Er will nach Rücksprache mit der Bundestagsverwaltung die Namen aller Abgeordneten veröffentlichen, die im Zusammenhang mit der Maskenbeschaffung gegenüber dem Ministerium in Erscheinung getreten sind.

„Wir wollen volle Transparenz in einem geordneten Verfahren ermöglichen. Da die Persönlichkeitsrechte von Abgeordneten berührt sind, habe ich den Bundestag gebeten, mit uns einen Verfahrensvorschlag zu entwickeln“, sagte Spahn dem RND.In einem Brief von Gesundheitsstaatssekretär Thomas Steffen an Bundestags-Direktor Lorenz Müller heißt es, dem Gesundheitsministerium lägen zahlreiche Anfragen aus der Mitte des Parlamentes und von der Presse vor. Dabei gehe es im Kern um die Bitte der Mitteilung, welche Mitglieder des Bundestages im Zusammenhang mit der Maskenbeschaffung gegenüber dem Ministerium in Erscheinung getreten seien.

„Das BMG ist im Sinne der Transparenz grundsätzlich bereit, eine Liste entsprechender Abgeordneter dem Parlament und auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen“, schreibt Steffen in dem Brief. „Gleichzeitig berührt eine entsprechende Information die Rechte der betroffenen Abgeordneten. Daher würde ich mich zum Verfahren, wie dem Informationsinteresse sowie den Rechten der Abgeordneten bestmöglich Rechnung getragen werden kann, gerne kurzfristig mit Ihnen austauschen“, bittet Staatssekretär in dem Schreiben.

Spahn weist gegenüber dem RND darauf hin, dass das „Prüf- und Zuschlagsverfahren sowie die Vertragsabwicklung auf Fachebene in einem standardisierten Verfahren“ durchgeführt worden sei. Das sei unabhängig davon erfolgt, „durch oder von wem ein Angebot abgegeben wurde“.

Parallelen zum Fall Philipp Amthor

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, ärgert sich über die Aufarbeitung der Maskenaffäre und zieht Parallelen zum Fall Philipp Amthor gezogen. „CDU und CSU haben ein ernstes Korruptionsproblem in ihren eigenen Reihen. Dies fügt dem Ansehen der parlamentarischen Demokratie erheblichen Schaden zu. Statt durchzugreifen und Konsequenzen zu ziehen macht man in so einer Lage dann auch noch Herrn Amthor zum Spitzenkandidaten der CSU in Mecklenburg-Vorpommern“, sagt Wiese dem RND.

Wiese wirft der Union vor, dass diese strenge Regeln für Abgeordnete bis in die jüngste Vergangenheit hinein immer wieder verhindert habe. „Teile der Union stehen zudem bei Forderungen nach mehr Transparenz und klaren Veröffentlichungspflichten bei Nebeneinkünften durchgehend auf der Bremse, behindern laufende Gesetzgebungsverfahren und hofieren noch Friedrich Merz mit seinen unzähligen Nebentätigkeiten:“

Amthor steht in der Kritik, weil er sich Lobby-Dienste für das US-amerikanische IT-Unternehmen Augustus Intelligence mit teuren Reisen und Aktienoptionen im Wert von rund einer Viertelmillion Euro entlohnen ließ. Nachdem die Vorgänge im vergangenen Jahr bekannt geworden waren, ließ der CDU-Politiker seine Kandidatur um den Landesvorsitz der CDU in Mecklenburg-Vorpommern fallen. Nun ist er zurück auf Platz eins.

Ulrich Müller von Lobbycontrol sagt, die Unionsfraktion habe frühere Skandale wie um ihren jungen Abgeordneten Amthor nicht aufgearbeitet und damit das Problem nie bei der Wurzel gepackt und keine Signale des Einhalts gesendet. Das sei ein Strukturproblem.