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Corona-SpätfolgenIst Long Covid eine rein psychische Erkrankung?

Lesezeit 5 Minuten
Long Covid Erschöpfung dpa

Long Covid kann sich in Erschöpfung bemerkbar machen. 

  1. Konzentrationsschwäche, starke Erschöpfung, Schlafstörungen – das sind nur einige Spätfolgen, die nach einer Corona-Infektion auftreten können.
  2. Sie sind jedoch sehr unspezifisch und subjektiv. Ist Long Covid also eine Krankheit der Psyche?

Die Spätfolgen einer Corona-Erkrankung, auch als Long Covid oder Post-Covid-Syndrom bekannt, geben Medizinerinnen und Medizinern auch nach zwei Jahren Pandemie immer noch Rätsel auf. Das Problem ist: Es gibt kein einheitliches Krankheitsbild. Während die einen sich mit dem Coronavirus infizieren und gar keine länger anhaltenden Beschwerden entwickeln, reicht bei anderen dafür schon ein leichter Krankheitsverlauf aus.

Inzwischen sind einige Risikofaktoren bekannt, die Spätfolgen begünstigen wie eine hohe Viruslast, ein hohes Alter oder Vorerkrankungen. Das heißt aber nicht, dass beispielsweise alle Senioren, die sich mit dem Virus infizieren, danach unter Long Covid oder dem Post-Covid-Syndrom leiden. Und auch die Bandbreite der Symptome kann bei jedem Infizierten unterschiedlich ausfallen: Besonders häufig berichten Betroffene von Müdigkeit, einer starken Erschöpfung – auch Fatigue genannt –, Kurzatmigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisproblemen, Schlafstörungen sowie Muskelschwäche und -schmerzen.

Beim Blick auf diese Beschwerden fällt auf: Sie sind recht unspezifisch und teils subjektiv, und daher nur schwer von Ärztinnen und Ärzten diagnostizierbar. Long Covid und das Post-Covid-Syndrom werden deshalb auch als psychosomatisch eingestuft – also als Erkrankungen, die sich nicht oder nicht vollständig körperlich erklären lassen. Sind die Corona-Spätfolgen also eher Krankheiten der Psyche?

Essener Neurologe: Meist keine organische Ursache auffindbar

Der Neurologe Christoph Kleinschnitz vom Uniklinikum Essen sagte Ende Februar dieses Jahres im Interview mit der „Welt“, dass es „in 85 bis 95 Prozent der Fälle“ keine organische Ursache für langfristige Beschwerden bei Corona-Genesenen gebe. Eingebildet seien die Symptome aber nicht. „Meine Hypothese lautet: In der Mehrzahl der Fälle führt eine psychosomatische Fehlverarbeitung zu den Long-Covid-Symptomen“, sagte er. „In diese Richtung müssen die Therapien ansetzen, wenn wir möglichst vielen helfen wollen.“

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Doch nicht alle Ärztinnen und Ärzten sind mit Kleinschnitz einer Meinung – gerade wenn es um Spätfolgen wie Fatigue geht. „Das ist keine Depression oder keine psychische Erkrankung, sondern eine messbare körperliche Einschränkung“, wird Virologin Ulrike Protzer von der Technischen Universität München Anfang Oktober vergangenen Jahres in einem Beitrag der Helmholtz-Gemeinschaft zum Thema Long Covid zitiert. Es handele sich dabei vermutlich um eine „überschießende Entzündung, eine Störung in der Nervenleitung“.

Der Vagusnerv: Liegt hier die Ursache für viele Corona-Spätfolgen?

Ende April soll auf dem europäischen Kongress für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten eine Long-Covid-Studie von Forschenden des spanischen Universitätsklinikums Germans Trias i Pujol vorgestellt werden. In einer hierzu vorab erschienenen Pressemitteilung heißt es, dass die Ursache für Corona-Spätfolgen wie Schluckbeschwerden, Schwindel, eine erhöhte Herzfrequenz und Durchfall eine Störung des Vagusnervs sein könnte.

Der Vagusnerv erstreckt sich vom Gehirn bis in den Rumpf und in das Herz, die Lunge und den Darm sowie in mehrere Muskeln, einschließlich derer, die es zum Schlucken braucht. Er steuert etwa die Herzfrequenz und ist für den Würgereflex, den Transport von Nahrung und das Schwitzen verantwortlich. Von insgesamt 348 Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern wiesen 228 (66 Prozent) mindestens ein Symptom auf, das auf eine Dysfunktion des Vagusnervs hindeutet.

Die Ergebnisse müssen jedoch mit Vorsicht interpretiert werden, mahnte David Strain, Vorsitzender der British Medical Association, Mitte Februar im Gespräch mit dem Science Media Center. Schließlich handele es sich nur um eine Vorabveröffentlichung, deren Ergebnisse noch nicht von unabhängigen Fachleuten überprüft worden seien. „Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass nicht alle Symptome von Long Covid mit den direkten Auswirkungen einer vagalen Dysfunktion in Verbindung gebracht werden können und dass es viele andere Erscheinungsformen gibt, die weiter untersucht werden müssen“, sagte Strain.

Ruhepuls und Schlafdauer von Corona-Genesenen verändert

Eine neue Analyse, die die beiden Komplexitätsforscher Dirk Brockmann und Marc Wiedermann vom Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt haben, zeigt wiederum, dass eine Corona-Erkrankung zu durchaus messbaren Veränderungen des Ruhepuls, der körperlichen Aktivität und der Schlafdauer führen kann. Diese Befunde basieren auf einer Auswertung von Daten von mehreren Hunderttausend Nutzerinnen und Nutzern der Corona-Datenspende-App des Robert Koch-Instituts (RKI).

Bei Genesenen war der Ruhepuls und die Schlafdauer oft drei Monate lang nach einer Corona-Infektion erhöht; die Bewegungsaktivität war hingegen drei Monate reduziert. „Es hat uns überrascht, dass wir das in dieser Deutlichkeit in den Daten gesehen haben“, sagte Wiedermann im Interview mit dem Deutschlandfunk. „Es passt sehr gut zusammen mit den Berichten, die man von Post Covid oder eben Long Covid kennt.“

Studien zeigen: Impfung schützt vor Long Covid

Zudem war ein Unterschied zwischen geimpften und ungeimpften Corona-Genesenen erkennbar: Bei Geimpften, die an Covid-19 erkrankt waren, „sehen wir, dass die Dauer der Veränderung, vor allem was den Ruhepuls und die Aktivität angeht, ungefähr halbiert ist“, erklärte Wiedermann. Geimpfte waren im Durchschnitt vier Wochen nach der Infektion so aktiv wie zuvor, bei Ungeimpfte dauerte es dagegen sechs bis elf Wochen. „Es wird etwas schwerfallen diese Befunde allein durch psychische Faktoren zu erklären“, schrieb Komplexitätsforscher Brockmann auf Twitter.

Was die Ergebnisse der Datenspende-Analyse auch verdeutlichen: Die Impfung kann das Risiko für langanhaltende Beschwerden reduzieren – ergo schützt sie nicht nur vor schweren Erkrankungen und Todesfällen, sondern auch vor Long Covid und dem Post-Covid-Syndrom. Studien aus England und den USA sehen ebenfalls Hinweise darauf, dass das Risiko für Corona-Spätfolgen nach einer Durchbruchsinfektion, also einer Infektion nach Impfung, geringer ist.

„Mit der Impfung vermeidet man in den meisten Fällen den Ausbruch der Erkrankung“, sagte der Long-Covid-Spezialist Rembert Koczulla, Chefarzt am Fachzentrum für Pneumologie der Schön Klinik Berchtesgadener Land in Prien am Chiemsee, kürzlich gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Deshalb ist es logisch, dass auch Folgeerscheinungen von Covid-19 ausbleiben.“ Wie hoch die Schutzwirkung der Corona-Impfung hinsichtlich Long Covid genau ist, ist aber noch nicht genau einschätzbar. (RND/lb)