Berlin – Seit Anfang März geht es bei der ARD-Talkrunde Anne Will nur um ein Thema: Die Corona-Pandemie. Die zehn Sendungstitel spiegeln wider, wie die Entwicklung in Deutschland diskutiert wurde. Von “Wie berechtigt ist die Angst vor dem Corona-Virus” über “Wie drastisch müssen die Maßnahmen sein?" bis “Waren und sind die Grundrechtseingriffe verhältnismäßig?"
An diesem Sonntag ging es nun um die Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen des weltweiten Shutdowns. “Milliarden gegen die Krise – wird das Geld richtig investiert?" lautet diesmal der Titel der Sendung. Hilft viel wirklich viel, fragte die Moderatorin zu Beginn der Talkrunde.
Doch wer nun glaubte, die Runde diskutiere das, was viele Menschen in Deutschland bewegt - nämlich weitere Hilfen für die gebeutelten Branchen und deren Mitarbeiter sowie Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur - musste sich mehr als eine halbe Stunde gedulden.
Zuvor ging es nämlich um eine Frage, die für viele Zuschauer ziemlich abstrakt sein dürfte: Solle die EU weitere Hilfen an die Mitgliedsstaaten als Zuschüsse oder als Kredite ausgestalten? Für diejenigen, die bei der ermüdenden Diskussion um “Kreditfazilitäten”, “Haftungsunion” oder “Nettozahler” noch nicht zu “Fluch der Karibik IV” umgeschaltet hatten, wurde es danach wenigstens zeitweise doch noch interessant. Denn es wurde konkret.
So argumentierten die Gäste bei “Anne Will” am Sonntag
Olaf Scholz dementierte zunächst Berichte vom Wochenende, wonach das Konjunkturpaket der großen Koalition insgesamt 150 Milliarden Euro umfassen soll. Es mache doch keinen Sinn, erst eine Summe festzulegen und sie dann mit Maßnahmen auszufüllen, so der Bundesfinanzminister. Vielmehr müsse zunächst geschaut werden, was notwendig sei - und dann sollte geprüft werden, ob es finanzierbar sei.
“Und das kann dann viel weniger sein, als die Summen, die gegenwärtig im Gespräch sind", sagte der Vizekanzler mit Blick auf die 150 Milliarden. Scholz dementiert auch, dass er Konsumgutscheine plane. Er bestätigte dann aber, dass die SPD mit der Forderung nach einem Familienbonus von 300 Euro pro Kind in die Verhandlungen mit der Union über ein Konjunkturpaket gehen will.
Annalena Baerbock lehnte eine derartige Unterstützung ab. Am wichtigsten für Familien sei jetzt die Öffnung von Kitas und Schulen, meinte die Grünen-Parteichefin. Mit den fünf Milliarden Euro, die der Familienbonus der SPD kosten würde, könnte man ein “riesen Bildungsfonds” auflegen, um die Öffnung zu ermöglichen.
Baerbock verteidigte zudem die Idee der Grünen für einen „Kauf-vor-Ort-Gutschein“ für jeden Bürger in Höhe von 250 Euro. Es gehe darum, sehr gezielt den Handel und die Gastronomie vor Ort zu unterstützen, nicht aber Käufe zum Beispiel beim Online-Händler Amazon.
Reiner Holznagel, der Präsident des Bundes der Steuerzahler, forderte erst einmal einen Kassensturz: “Wir müssen doch wissen, wo wir eigentlich stehen, bevor wir wieder etwas On-Top tun." Man könne nicht immer nur mehr Geld ausgeben, sondern müsse auch über Einsparungen sprechen.
Holznagel, der CDU-Mitglied ist, nannte als Beispiel eine Verkleinerung des Bundestags, der mit über 700 Abgeordneten derzeit eine Milliarde Euro pro Jahr koste: “Wir haben in der Krise gesehen, dass es durchaus effektiver ist, wenn weniger Abgeordnete da sind.” Und er schlug pauschale Kürzungen in den Bundesministerien vor. Wenig überraschend verlangte Holznagel schließlich auch Steuersenkungen. Sein Argument: "Das hilft allen.”
Monika Schnitzer, Mitglied im Beraterkreis der sogenannten Wirtschaftsweisen, mahnte, Konjunkturhilfen dürfte es nur für zukunftsfähige Produkte und Branchen geben. Die Autoindustrie zählt sie nicht dazu. “Wenn man jetzt Kaufprämien verschenkt, dann werden viele Verbrennerautos verkauft. Das ist aber nicht die Zukunft, denn die Automobilbranche hat die Zukunft schon lange verschlafen.”
Man müsse stattdessen in wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle investieren, etwa in den Aufbau einer digitalen Infrastruktur, um die Wirtschaft nachhaltig anzukurbeln. Ansonsten werde der Staat die Schulden, die er jetzt mache, nie wieder zurückzahlen können, warnte Schnitzer. Konsumgutscheine lehnte sie strikt ab: “Jeder Euro, den wir jetzt einfach nur verschenken, um ein kleines bisschen Konjunktur anzuregen, ist verkehrt ausgegeben. Das verpufft sofort.”
Carsten Linnemann lehnte Konsumgutscheine ebenfalls ab. Der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) verlangte gezielte Hilfen für die Unternehmen, die am stärksten unter der Pandemie und den neuen Hygieneregeln leiden: Hotels, Gaststätten, die Reise- und Veranstaltungsbranche sowie den Messebau. “Die sind fertig. Die brauchen unsere Unterstützung”, so der CDU-Politiker.
Er schlug weitere Zuschüsse für die Betriebskosten und Liquiditätshilfen wie zum Beispiel eine bessere Verrechnung früherer Gewinne mit jetzigen Verlusten vor. Kaufprämien für Verbrenner lehnte der Vize-Fraktionschef der Union hingegen ab. Linnemann sprach sich aber dafür aus, die Autoindustrie “technologieoffen” bei der Umstellung ihrer Produkte zu helfen, also nicht nur das E-Auto zu fördern, sondern auch den Wasserstoffantrieb.
Die interessanteste Debatte
Sie gab es leider nicht. Sie wäre aber wünschenswert gewesen, schließlich ist der nunmehr konkrete Plan für einen Kinderbonus höchst umstritten Baerbock wies völlig zu Recht darauf hin, dass es fragwürdig sei, warum sie selbst mit einem überdurchschnittlichen Einkommen 600 Euro für ihre beiden Kinder bekommen soll. Für Familien mit einem niedrigen Einkommen reiche das Geld hingegen noch nicht einmal aus, um für jedes Kind ein Tablet kaufen. “Das geht vollkommen an den Bedürfnissen der Familien vorbei”, lautet ihre Kritik.
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Doch ehe die Debatte richtig begann, war sie auch schon wieder vorbei. Auch über konkrete Hilfen für besonders betroffene Branchen wäre eine vertiefte Diskussion sinnvoll gewesen. Schließlich werden diese Unternehmen erst zur Normalität zurückkehren können, wenn es einen Impfstoff gibt. Das wird noch mindestens ein Jahr dauern.
Das Fazit
Viele Vorschläge für eine Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie liegen auf dem Tisch. Doch Anne Will kam nicht darüber hinaus, die Positionen ihrer Gäste abzufragen. Eine richtige Debatte über Vor- und Nachteile der einzelnen Vorschläge kam nicht in Gang, was zumindest nicht an der Kompetenz der Gäste lag. Der Titel der Sendung klang interessant, doch der Zuschauer blieb eher ratlos zurück. Um- oder Ausschalten wäre wohl die bessere Wahl gewesen.