Berlin – Und plötzlich waren da wieder Grenzkontrollen. Mitten in Europa. Wo man früher ungehindert von einem ins andere Land fahren oder sogar gehen konnte, standen plötzlich Zäune und die Polizei. Die Corona-Pandemie hatte es erfordert.
Normalität kehrt zwar weiterhin keine ein, doch zumindest zwischen Österreich und Deutschland werden bereits immer mehr Grenzübergänge wieder geöffnet - am Mittwoch waren es fünf. Die Kontrollen an der Grenze zu Luxemburg sollen in der Nacht zum kommenden Samstag enden, ähnliche Pläne gibt es für die deutsch-dänische Grenze.
Seehofer pflichtbewusst
Sofern sich der positive Trend mit sinkenden Infektionszahlen bestätigt, öffnen die Grenzen zu Frankreich, Österreich und der Schweiz ab dem 15. Juni wieder komplett. Um diese Thematik zu vertiefen, hatte die Redaktion von TV-Talkerin Sandra Maischberger am Mittwochabend Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eingeladen.
Der Anfang des Gesprächs legte jedoch erstmal den Verdacht nahe, dass Seehofer einen anstrengenden Tag gehabt haben muss. Für Politiker ist das nichts Ungewöhnliches, gerade in Krisenzeiten. Maischbergers Eingangsfragen nach den Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und dem inzwischen vom Dienst freigestellten Mitarbeiter des Innenministeriums, der die Strategie zur Pandemiebekämpfung öffentlich massiv angezweifelt hatte, beantwortet der ehemalige bayerische Ministerpräsident pflichtbewusst.
Lockerung an den Grenzen geht voran
Jeder habe ein Recht, seine Meinung auf der Straße kundzutun - wenngleich Seehofer die zunehmende Gewalt gegen Polizisten und Journalisten auch mit Sorge wahrnimmt. Und über seinen Mitarbeiter sagt er lediglich, der Grund für die Freistellung sei nicht seine Meinung gewesen, sondern die Tatsache, dass er den Briefkopf des Innenministeriums benutzt habe.
Eigentlich will der CSU-Politiker viel lieber über die Lockerungen sprechen: besonders an den Grenzen. In dieser Hinsicht geht es nämlich voran. Zunächst bringt Seehofer Licht ins Dunkel und erklärt das geplante Prozedere der schrittweisen Öffnungen. Ab Samstag werde der Grenzübertritt nach und aus Deutschland nicht nur an einzelnen Übergängen möglich sein, sondern an allen.
„Nicht mehr so systematisch und dicht kontrolliert”
“Außerdem wird nicht mehr so systematisch und dicht kontrolliert”, erzählt Seehofer. Die Polizei führe Stichproben durch, da müsse man sich auf das gute Näschen und Fingerspitzengefühl der Beamten verlassen. Zudem gehöre der Besuch eines Lebenspartners fortan zu den “triftigen Gründen”, die zu einem Grenzübertritt berechtigten.
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Die “Notbremse” bleibt indes auch an den Grenzen dieselbe wie in der restlichen Republik. “Bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen im grenznahen Raum müssen wir mit den Nachbarländern reden”, betont Seehofer. Doch er ist sehr zuversichtlich. “Wenn das Infektionsgeschehen günstig bleibt, dann beenden wir am 15. Juni die Grenzkontrollen.”
Seehofer gegen das Virus
Je länger Seehofer spricht, desto mehr lächelt er. Und dann menschelt es plötzlich. Maischberger spricht den Innenminister auf seine Viruserkrankung an, die ihn vor einigen Jahren für lange Zeit außer Gefecht gesetzt hatte. Ein Virus, “das ich zunächst nicht ernstgenommen habe”, sagt Seehofer aus heutiger Perspektive selbstkritisch, ruft bei ihm eine Herzmuskelentzündung hervor.
Etliche Wochen verbringt Seehofer im Krankenhaus. “Drei davon auf der Intensivstation”, sagt er. “Ich hatte eine Herzpumpleistung von sieben Prozent.” Deshalb könne er sich heute in die Lage von schwer Corona-Erkrankten gut hineinversetzen. “Ich hatte keine andere Chance, als dass der Körper mit dem Virus fertig wird.” Das sei aktuell ohne Impfstoff oder Medikamente genauso.
Seehofer hat den Kampf gewonnen. Vielleicht wird das Coronavirus irgendwann auch besiegt sein.
Seehofer mit Merkel und Söder
Auch sonst hat der Innenminister einen ausgesprochen guten Tag. Milde gestimmt, schüttet er kübelweise Lob aus, das man noch vor einiger Zeit aus seinem Mund für unmöglich gehalten hätte. Warum er sich nun so gut mit Angela Merkel verstehe? “Wahrscheinlich habe ich mich verbessert”, antwortet Seehofer.
Die vergangenen Fehden mit der Bundeskanzlerin - gerade in der Flüchtlingskrise - hat Seehofer längst abgehakt. “Man kann doch in der Politik Diskussionen haben und muss trotzdem nicht ein Leben lang im Streit leben.” Aktuell mache Merkel ihre Arbeit schlichtweg “exzellent”.
Sie bringe ihr eigenes Fachwissen als Naturwissenschaftlerin in die Debatten ein, außerdem sei es ihr gelungen, das “Kabinett als Team zusammenzuführen und weitestgehend die Dinge gemeinsam mit den Ministerpräsidenten umzusetzen”. Es folgt eine bedeutungsvolle Pause. Und der Nachsatz: “Das ist eine Leistung.”
Auch seinem alten Partei-Erzfeind Markus Söder windet Seehofer einen Kranz. “Das ist doch Neandertal”, klagt er, als Maischberger alte Aussagen von ihm über Söder zitiert. “Er macht jetzt seine Sache gut, das kann man nicht bestreiten.”
Das lässt nur einen Schluss zu: Ja, Seehofer hat sich wahrscheinlich wirklich verbessert.
Arbeitsplätze gegen Klimaschutz
Als der Bundesinnenminister sich in den Feierabend verabschiedet, darf die Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock noch ein paar Worte sagen. Ob in der Krise kein Platz für den Klimaschutz sei, fragt Maischberger. Und Baerbock antwortet wenig überraschend: “Das wäre fatal.”
Man müsse die Konjunktur ankurbeln und verhindern, dass Deutschland in eine “harte Wirtschaftskrise” reinrutsche. “Aber wir dürfen nicht kurzfristig Dinge abfedern, die uns in fünf oder zehn Jahren auf die Füße fallen”, sagt die Grünen-Chefin.
Es gehe darum zu verhindern, dass die Milliarden, die nun ins Wiederankurbeln der Wirtschaft gepumpt werden, “in die Klimakrise führen”. Besonders spektakulär wirken die Aussagen nicht.
Fazit
Alle Augen schauten auf Seehofer, der mehr und mehr aufblühte und lebendig wurde, je länger das Gespräch dauerte. Die neue Regelung, die im besten Fall im Juni mit der Beendigung aller Grenzkontrollen endet, erklärt der Innenminister - na gut, das sollte man von ihm auch erwarten - präzise.
Sein Lob für Merkel und Söder kam aufgrund Seehofers allgemeiner Zufriedenheit mit seinen beiden ehemaligen Rivalen in letzter Zeit nicht mehr überraschend. Solche Worte aus seinem Mund zu hören, erfordert dennoch erst eine Umgewöhnung.