Berlin – Ist die Corona-Pandemie jetzt endlich vorbei? Immerhin gibt es kaum noch Maßnahmen – wie beispielsweise die Maskenpflicht und 2G. In der Tat sehen Virologinnen und Virologen inzwischen einen Übergang zur Endemie.
Die Pandemieroutinen bröckeln. Menschen drängen sich wieder durch Innenstädte, Bars und Restaurants. Masken werden seltener in Supermärkten, Schulen, an Flughäfen. Lange Schlangen vor Test- und Impfzentren gibt es nicht mehr. Wer sich mit Corona angesteckt hat, muss sich nur noch sieben Tage, ab Mai voraussichtlich nur noch fünf Tage isolieren.
Aber bedeutet das Ende von politischen Maßnahmen auch das Ende der Pandemie? War es das jetzt endlich mit Corona?
Offiziell ist die pandemische Phase zumindest noch nicht vorbei. Dafür müsste die Weltgesundheitsorganisation die „Notlage von internationaler Tragweite“ für beendet erklären. Es gilt aber weiterhin die höchste Alarmstufe, und das weltweit.
Mitte März 2020 hatte die WHO den Corona-Ausbruch zur Pandemie erklärt – also vor etwas mehr als zwei Jahren. Die Gesundheitsbehörden in Deutschland bleiben ebenfalls vorsichtig. Das Robert Koch-Institut (RKI) beurteilt die Gefährdung durch Covid-19 für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als weiterhin „sehr hoch“, für Geimpfte und Genesene noch als „hoch“ und für Geboosterte als „moderat“.
Die Welt: Irgendwo zwischen Pandemie und Endemie
Verschwunden ist das Virus nämlich nicht, ansteckend und tödlich ist es auch geblieben. Ende April stecken sich allein hierzulande mehr als 100.000 Menschen täglich mit Corona an, die Dunkelziffer nicht mit eingerechnet. Auch 200 bis 300 Tote werden pro Tag gemeldet. Trotzdem: Die Lage hat sich im Vergleich zu den Vorjahren verbessert, was das Lockern von Maßnahmen auch erst möglich macht. „Wir können tatsächlich vom Beginn der Endemie sprechen“, sagt der Virologe Marco Binder, der am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg zu Sars-CoV-2 forscht.
Aber was bedeutet das, ist die Gefahr damit gebannt? Den einen Zeitpunkt, wann und wie genau der endemische Zustand die Pandemie ablöst, gibt es nicht. Ebenso wenig eine eindeutige Definition. „Der Übergang von Pandemie zu Endemie ist fließend und kann nicht an klar messbaren Parametern festgemacht werden“, erläutert Binder. Er orientiere sich daran, dass das Coronavirus für das Immunsystem der meisten Menschen wegen Impfungen und Ansteckungen weltweit und in Europa inzwischen nicht mehr neu sei. Vor etwas mehr als zwei Jahren sah das noch ganz anders aus.
Allein in Deutschland sind inzwischen rund 76 Prozent der Erwachsenen gegen Covid-19 geimpft, rund 60 Prozent geboostert (Stand: 29. April). Zudem sind sehr viele Menschen in den vergangenen Monaten durch Omikron mit dem Virus in Kontakt gekommen.
Erhebungen zufolge hat es allein im Zeitraum von Januar bis März dieses Jahres 65 Prozent aller Covid-Infektionen gegeben. Das Virus trifft hierzulande jetzt also überwiegend auf Menschen mit einem (Teil-)Immunschutz. Dieser bremst den Erreger zunehmend aus, wenngleich er das Virus nicht ausrotten wird – wie man es zu Beginn der Pandemie noch hoffte.
Erkältungsvirus oder Grippe: Wie harmlos wird das Coronavirus?
Durch Auffrischungsimpfungen und weitere Infektionswellen in den kommenden Monaten und Jahren wird sich diese Immunität auf Bevölkerungsebene noch weiter verbessern, vermutet Binder, „was es dem Virus Stück um Stück schwerer machen dürfte, sich zu verbreiten und zu hoher Krankheitslast zu führen.“
Missverständlich ist hingegen die Annahme, dass das Coronavirus an sich dadurch automatisch harmlos würde. Der weiter ansteigende Immunschutz in der Bevölkerung wird Binder zufolge zwar „mit hoher Sicherheit“ dafür sorgen, dass es nicht noch einmal zu katastrophalen Zuständen wie 2020 oder 2021 kommt. Ob die Krankheitslast aber vergleichsweise niedrig bleibt wie derzeit bei Omikron, ist unklar.
Denn das Virus wird in jedem Fall weiter mutieren, darin sind sich Fachleute einig. In welche Richtung, weiß momentan aber niemand. Wird Corona wie bei der Grippe mitunter viele Tausende Tote pro Saison in Deutschland verursachen – oder eher zu einem harmloseren Erkältungs-Coronavirus mutieren?
„Das kann ich nicht absehen“, sagt auch Binder. Erst über die kommenden Jahre werde sich ein Gleichgewicht einstellen. So sieht das auch der Epidemiologe Timo Ulrichs, der ebenfalls auf momentan bestehende Unsicherheiten verweist. „Wirklich sicher kann man dann sein, wenn saisonal keine weiteren Wellen mehr auftreten, sondern nur noch überschaubare Häufungen von Erkrankungsfällen“, sagt der Corona-Experte, der an Berliner Akkon-Hochschule forscht.
Pandemie läuft regional unterschiedlich aus
Der Übergang von der Pandemie zur Endemie verläuft in Europa zudem regional unterschiedlich – und daran hängt auch, wie gefährlich Infektionswellen in diesem Herbst und Winter noch werden könnten. In Ländern mit hoher Impfabdeckung und Kontaktbeschränkungen sei man weiter als in Deutschland, gibt Ulrichs zu Bedenken. „Unsere Impflücke wird dem Virus auch im kommenden Herbst noch Gelegenheit geben, eine weitere pandemische Welle von Neuinfizierten auszulösen. Jetzt wäre eigentlich die Zeit, diesem Risiko durch eine umfassende Impfkampagne zu begegnen.“
Auch weltweit gibt es große Unterschiede: „Während im Vereinigten Königreich durch eine hohe Impfquote und eine sehr hohe Rate an Genesenen die Entwicklung schon weit fortgeschritten ist, ist China zum Beispiel noch ganz am Anfang“, sagt Virologe Binder. Die dort verwendeten Impfstoffe schützten deutlich weniger, vor allem gegen die Omikron-Variante.
Durch die strenge Null-Covid-Politik gebe es zudem kaum Genesene, weshalb die Situation in Hongkong, Shanghai und anderen Städten momentan extrem schwierig sei.
Impfen, Maske, Abstand und Isolation weiter sinnvoll
Wie sollte man sich nun im Frühjahr 2022, in Zeiten des Übergangs, verhalten? Bei steigender Grundimmunität in der Bevölkerung sinkt zwar das Erkrankungsrisiko – auch für Menschen mit Risikofaktoren. Immer wieder können aber auch Einzelne schwerer an Covid-19 erkranken und sterben.
„Ein vollständiger Impfschutz ist nach wie vor sinnvoll, um dieses Risiko möglichst niedrig zu halten“, betont Ulrichs. Bei aktuell stark zirkulierendem Virus sei auch Maskentragen in Innenräumen, in Bus und Bahn immer noch sinnvoll. Eine verkürzte Isolationszeit von sieben auf fünf Tage empfiehlt Ulrichs nicht. „Das Restrisiko steigt dann ziemlich“, sagt er.
Zudem unterscheidet sich das Risiko im Übergang zur Endemie von Mensch zu Mensch. Es gibt anfälligere Personen mit Risikofaktoren, bei denen die Impfung zum Beispiel kaum bis gar nicht anschlägt – etwa nach Organtransplantationen oder bei einer Krebserkrankung. „Diese Menschen werden sich auch künftig in besonderem Maße schützen müssen“, prognostiziert Binder.
FFP2-Masken und das Meiden von Menschenmengen blieben für sie wahrscheinlich weiterhin notwendig, vor allem während der Erkältungssaison. Bei den aktuellen Infektionszahlen könnten Maskenpflicht und Abstandsgebot in Innenräumen durchaus auch für alle noch sinnvoll sein, um das Risiko für anfällige Mitmenschen zu mindern, sagt der Virologe. (RND)